Aus den Ländern

Hagers Wissen für die Praxis

Fortbildung der Landesapothekerkammer Brandenburg

RHEINSBERG (ck) | In diesem Jahr wird der 200. Geburtstag von Hermann Hager begangen – Anlass genug, die eigenständige Fortbildungsveranstaltung der Landesapothekerkammer Brandenburg als 1. Hager-Tagung zu veranstalten. Ein sehr passender Namens­geber, denn Hermann Hager lag zeitlebens die Vermittlung praxisnaher Informationen am Herzen. Und rund 150 Apothekerinnen und Apotheker konnten sich davon überzeugen, dass auf der Hager-­Tagung sehr praxisnah Wissen zu onkologischen Themen vermittelt wurde.

In seiner Eröffnung wies der Präsident der Apothekerkammer Brandenburg, Jens Dobbert, auf die Neuausrichtung des Fortbildungswochenendes, den neuen Namen und das neue Logo (siehe oben) hin: Die 1. Hermann-Hager-Tagung wurde allein von der LAK Brandenburg ausgerichtet. Der Apothekerverband Brandenburg hatte die bisherige Kooperation von Kammer und Verband aufgekündigt. Das endgültige Aus der Beziehung zwischen Kammer und Verband bedauerte Dobbert. Vor allem mache ihn traurig, dass es nicht gelungen sei, den Standesorganisationen ein gemeinsames Haus zu geben: das Apothekerhaus in Potsdam stehe zur Disposition und werde bald Geschichte sein, so Dobbert. Da dadurch auch die berufspolitische Durchsetzungskraft der brandenburgischen Apotheker geschwächt wird, bezeichnete er diese Entwicklung als gefährlich, sie zeuge von mangelndem Weitblick.

Hermann-Hager-Medaille verliehen

Foto: Nowy/LAK Brandenburg

Ehrung für Dr. Paul BielaDer Präsident der Apothekerkammer Brandenburg, Jens Dobbert, überreichte die Hager-Medaille an Paul Biela (rechts).

Die Landesapothekerkammer Brandenburg ist Stifterin der Hermann-Hager-Medaille und verleiht sie seit 2000 an verdienstvolle Apothekerinnen und Apotheker sowie an Personen, die sich um das Apothekenwesen des Landes Brandenburg verdient gemacht haben. In diesem Jahr wurde Apotheker Dr. Paul Biela geehrt. Paul Biela, der von 1969 bis 2000 die Rehbrücker Paulus-Apotheke leitete, hat sich die Brandenburger Apothekengeschichte und eine „komplette Inventur“ der Brandenburger Apotheken zur Aufgaben gemacht. Unter anderem ist von ihm erschienen „Apotheken, die keiner mehr kennt: zur Historie der Apotheken in der Neumark und der örtlichen Niederlausitz von den Anfängen bis 1945“. Alle Apotheken­standorte hat Biela per Bahn, Auto oder Fahrrad aufgesucht und fotografiert, hat Besitzer und Ausstattung recherchiert und versucht, die Apotheken und ihre Geschichten der Nachwelt zu erhalten.

Gefährlicher schwarzer Hautkrebs

Prof. Dr. Theo Dingermann, Frankfurt am Main, zeigte am Beispiel des Musikers Bob Marley, wie gefährlich der schwarze Hautkrebs ist und welche neuen Therapiemöglichkeiten es mittlerweile gibt. Das Melanom ist eine Krebsart, die sehr besorgniserregend zunimmt. In Deutschland sterben jährlich ca. 10.000 Menschen daran. Und das Melanom kann jeden treffen – auch so „untypische“ Patienten wie Bob Marley. Denn Jamaikaner mit schwarzer Hautfarbe sind eigentlich weniger anfällig für ein Melanom als weißhäutige Menschen. Allerdings hatte Bob Marley zwar eine Jamaikanerin als Mutter, aber der Vater war Engländer, und damit war sein Risiko ein Melanom zu bekommen, erheblich erhöht. Ursächlich für den schwarzen Hautkrebs sind maligne Transformationen der Zellen. Dabei spielen die Umwandlung von Protoonkogenen in Onkogene und ein Funktionsverlust von Tumorsuppressorgenen eine entscheidende Rolle. Protoonkogene sind zelleluläre Gene, deren Produkte an der Bildung oder Vermittlung von Wachstumssignalen beteiligt sind. Onkogenen sind mutierte Protoonkogene, die ein permanentes Wachstumssignal senden und dadurch eine unkontrollierte Zellteilung auslösen. Tumor­suppressorgene kodieren für Produkte, die das Zellwachstum hemmen oder eine Apoptose induzieren. Dabei läuft die Transduktion der Wachstumssignale über Ras und die MAP-Kinase-Kaskade. Das Ras-Protein dient als Schalter, der die MAP-­Kinase-Kaskade aktivieren kann. Und an dieser Stelle ist ein bremsender Eingriff durch die modernen Tyrosinkinase-Inhibitoren möglich. Bis vor fünf Jahren gab es keine überzeugende Therapieoption, es wurde operiert oder Interferone eingesetzt. Mit Vemurafenib und Dabrafenib stehen nun Wirkstoffe zur Verfügung, die bei Patienten wirken, die eine ganz bestimmte Mutation in einem Onkogen, dem B-Raf, tragen. Weitere Optionen sind MEK-Hemmer wie Trametinib oder Checkpoint-Inhibitoren (Ipilimumab, Nivolumab, Pembrolizumab), die das Immunsystem aktivieren. Damit wird der Tumor zu einer chronischen Erkrankung, so Dingermann, mit der Folge, dass Wirkstoffe wie Vemurafenib oder Dabrafenib ständig gegeben werden müssen, sie töten nicht den Tumor, sondern stoppen ihn nur. Dingermann blickte aber optimistisch in die Zukunft, vor allem wenn diese Wirkstoffe intelligent kombiniert werden.

Foto: Nowy/LAK Brandenburg

Glückliche Gewinnerin Antoinette Opitz gewann die HagerROM „Hagers Enzyklopädie der Drogen und Arzneistoffe“.

Auf den Spuren von Hermann Hager

Prof. Dr. Axel Helmstädter, Eschborn, stellte mit Hermann Hager den Namensgeber der Fortbildungveranstaltung als jemanden vor, der das umfassende Informationsbedürfnis der Apotheker erkannte – und versuchte, es zu befriedigen. Hager selber hat nie Pharmazie studiert, er hat als Auto­didakt 1841 ohne Studium das Staatsexamen abgelegt. Nach seiner Tätigkeit als Landapotheker ließ er sich 1859 als freier Schriftsteller in Berlin nieder. Er veröffentlichte das „Handbuch der pharmazeutischen Receptirkunst“, und später entwickelte er das „Handbuch der Pharmaceutischen Praxis“, sein Hauptwerk. Bis heute gilt es als Standard-Nachschlagewerk für die Offizin-Pharmazie, Pharmakologie und Forschung.

Praktisches zum Umgang mit oralen Zytostatika

Die Anzahl oral verfügbarer antineoplastischer Wirkstoffe nimmt zu. Für den Patienten hat das den großen Vorteil, dass eine Einnahme in Eigenregie möglich ist, wie Dr. Andrea Liekweg, Köln, und Dr. Ulrich Warnke, Nauen, erläuterten. Da das Spektrum der unerwünschten Wirkungen ähnlich dem der intravenösen Regime ist, sind eine adäquate Beratung und eine besondere Unterstützung der Patienten nötig, damit die Adhärenz gewährleistet werden kann. Alle Zytoralia sind hochwirksame und äußerst erklärungsbedürftige Arzneimittel. Zwar ist der Patient für die korrekte Anwendung verantwortlich, doch Arzt und Apotheker sollten ihre älteren, meist komorbiden Patienten nicht allein lassen.

Foto: DAZ/ck

Dr. Andrea Liekweg

Nausea und Emesis

Übelkeit und oft schwallartiges Erbreche zählen nach wie vor zu den wichtigsten Nebenwirkungen einer Therapie mit Zytoralia. Dabei werden drei Arten unterschieden: akutes Erbrechen, das innerhalb von 24 Stunden nach der Applikation einsetzt, verzögertes Erbrechen (24 bis 72 Stunden nach der Applikation) und antizipatorisches Erbrechen, das allein durch die Erwartung der schon bekannten Nausea und Emesis ausgelöst wird. Das emetogene Potenzial der Zytoralia ist meist bekannt. Als hochemetogen gilt Procarbazin, als moderat emetogen Cyclophosphamid, Temozolomid, Vinorelbin oder Imatinib. Daneben gibt es viele Wirkstoffe, die als gering oder minimal emetogen gelten. Das emetogene Potenzial der jeweiligen Therapie wird vom Arzt eingeschätzt und dementsprechend eine prophylaktische Medikation verordnet, die nach bestimmten Schemata eingesetzt wird. Unbedingt sollte darauf geachtet werden, dass die Arzneimittel eingenommen werden, bevor eine Übelkeit auftritt, nicht erst, wenn dem Patienten schlecht wird. Zur Prophylaxe stehen sowohl beim akuten als auch beim verzögerten Erbrechen 5-HT3-Antagonisten, Dexamethason oder Aprepitant zur Verfügung, wobei bei verzögertem Erbrechen die 5-HT3-Antagonisten keine Rolle mehr spielen, sie induzieren nur Verstopfungen. „Ondansetron für zu Hause“ nach einer Chemotherapie mitzugeben wird heute nicht mehr empfohlen. Um einem antizipatorischen Erbrechen vorzubeugen, sollten sowohl die akute als auch die verzögerte Emesis konsequent kontrolliert werden. Therapeutisch werden Benzodiazepine empfohlen. Diese sollten am besten am Abend vor der Chemotherapie genommen werden. Oft sind die Patienten aber auch dankbar, wenn sie einfache Tipps erhalten, die helfen, einer Übelkeit vorzubeugen. Zumal der Wunsch, etwas selber aktiv tun zu können, bei Tumorpatienten sehr groß ist. Empfohlen werden kalte oder lauwarme Speisen, die besser vertragen werden als heiße. Das gleiche gilt für flüssige oder halbfeste Speisen wie Pudding, Suppen, Kartoffelbrei oder Bananen. Saure Speisen wie Zitroneneis oder saure Gurken können den Speichelfluss anregen und die Beschwerden lindern – allerdings nicht bei Mukositis.

Foto: DAZ/ck

Dr. Ulrich Warnke

Problem Mukositis

Entzündungen und Ulcerationen an den Schleimhäuten im Mund, Rachen und Magen-Darm-Trakt sind extrem belastend und können zum Abbruch der Therapie führen. Das gleiche gilt für Mukositis-assoziierte Komplikationen: Schluckbeschwerden und Mangelernährung können die Compliance einschränken, eine gestörte Barrierefunktion der geschädigten Schleimhaut kann zu einer erhöhten Infektionsneigung führen. Zur Prophylaxe und Therapie sollten die Patienten zu einer konsequenten Mundpflegeroutine angehalten werden. Dazu gehört, sich viermal täglich mit einer weichen Zahnbürste und fluorierter Zahnpasta die Zähne zu putzen, die Lippen zu pflegen und prophylaktisch den Mund zu spülen. Zwar können Benzydamin-haltige Lösungen eingesetzt werden, aber es reicht auch schon Spülen mit Wasser, da primär Krümel entfernt und Schleimhäute befeuchtet werden sollen. Als sehr positiv wird ein Benzydamin-haltiges Mundspray empfunden, das mittels eines Aufsatzes direkt tief in den Rachen gesprüht werden kann, dorthin, wo eine normale gelartige Spüllösung gar nicht hinkommt. Bei einer milden Mukositis sollte alle zwei bis vier Stunden der Mund ausgespült werden, eine Lokalanalgesie und topische Antiinfektiva können eingesetzt werden. Bei schwerer Mukositis wird die Häufigkeit der Spülung im Mund erhöht: alle ein bis zwei Stunden, kombiniert mit systemischer‚ Analgesie und systemischen Antiinfektiva.

Foto: DAZ/ck

Das Maritim Hafenhotel Rheinsberg bot ein tolles Ambiente für die Fortbildungswilligen.

Nicht ungefährlich

Liekweg und Warnke betonten, dass orale Zytostatika nicht harmlos sind, nicht untoxisch, nicht problemlos und absolut erklärungsbedürftig! Und letzteres betrifft sowohl die Patienten, als auch die Angehörigen. Tipps für die Handhabung im Alltag sind unerlässlich. So sollten Tabletten oder Kapseln nur mit Handschuhen angefasst werden, auch ein Löffel oder eine Pinzette kann zur Hilfe genommen werden. Nur so wird eine Exposition von Haut und Schleimhäuten vermieden. Aber auch die Körperflüssigkeiten und Ausscheidungen der Patienten (Schweiß, Speichel, Erbrochenes, Urin, Faeces) sollten als gesundheitsgefährdend behandelt werden. Besonders in Urin und Faeces können – auch bis zu mehreren Tagen nach Therapieende – relevante Wirkstoffmengen gefunden werden. Zytoralia sollten möglichst getrennt von andere Arzneimitteln gelagert werden, um Verwechslungen zu vermeiden. Die Entsorgung dieser CMR-Substanzen erfolgt über die öffentliche Apotheke, in einigen Städten und Gemeinden aber auch über den Hausmüll. Damit aber in der Apotheke keiner vor einem Rezept für ein orales Zytostatikum „erschrickt“, empfahlen die Referenten vor allem, sich und den Patienten Zeit und Raum zur Verfügung zu stellen für die Beratung. |

Fotos: DAZ/ck

In Zusammenarbeit mit dem Brandenburgischen Apothekenmuseum Cottbus fand ein unterhaltsamer und lehrreicher Spaziergang auf den Spuren berühmter Apotheker mit einem Quiz zu pharmaziehistorischen Fragen statt. Als Preis winkte die DVD „Hagers Enzyklopädie der Drogen und Arzneistoffe“ (siehe Kasten "Auf den Spuren von Hermann Hager"), die von der Wissenschaftlichen Verlagsgesellschaft Stuttgart zur Verfügung gestellt wurde.

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