Gesundheitspolitik

Ein Sieg für die Pharmazie

Europäischer Gerichtshof bestätigt deutsche Regelungen zur Defekturherstellung

BERLIN (ks) | Dass von Apotheken in begrenzter Menge selbst ­hergestellte Arzneimittel in Deutschland nicht zulassungspflichtig sind, steht im Einklang mit dem Europarecht. Dies entschied am 26. Oktober der Europäische Gerichtshof (EuGH). ­Erstaunlicherweise war es die gleiche Kammer, die eine Woche zuvor das weitaus weniger erfreuliche Urteil zur Rx-Preisbindung gesprochen hatte.

Für Winfried Ertelt, Apotheker aus dem baden-württembergischen Bisingen, ist das Urteil ein „kleines Trostpflaster“ nach der EuGH-Entscheidung zur (Nicht-)Preisbindung für ausländische Versandapotheken. Derselbe Generalanwalt, Maciej Szpunar, hatte in beiden Fällen plädiert und dieselbe Kammer entschieden – erneut im Einklang, doch diesmal im Sinne der deutschen Apotheken. Vor allem jenen, die Rezepturen und Defekturen herstellen.

Weihrauchkapseln als Defekturarzneimittel

Doch worum ging es diesmal? Ertelt stellt selbst Weihrauch-Kapseln in seiner Apotheke her und wirbt auf verschiedene Art für diese. Er vertreibt sie als Arzneimittel, besitzt jedoch keine arzneimittelrechtliche Zulassung. Die braucht er nach dem Arzneimittelgesetz auch nicht. Denn es handelt sich um Arzneimittel, von denen er nicht mehr als 100 Packungen am Tag herstellt. Im Jahr 2015 gab der Apotheker lediglich 213 Packungen seiner Kapseln ab. Solche Defekturarzneimittel sind von der Zulassungspflicht ausgenommen (§ 21 Abs. 2 AMG).

Der Firma Hecht-Pharma, die Weihrauchkapseln als Nahrungsergänzungsmittel vertreibt, war dieses Vorgehen ein Dorn im Auge. Sie mahnte den Apotheker ab. Er sollte nicht mehr für seine Weihrauchkapseln werben. Das Unternehmen stützte sich dabei auf eine Vorschrift des Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel (EU-Richtlinie 2001/83), die eine generelle Zulassungspflicht für Arzneimittel vorsieht. Wären die Kapseln also doch zulassungspflichtige Arzneimittel, wäre eine Werbung hierfür unzulässig nach dem Heilmittelwerbegesetz und könnte verboten werden. Weil Ertelt nicht nachgab, folgte ein rund fünfjähriger Rechtsstreit. Dieser wurde nun in Luxemburg beendet.

Vorlagefrage des BGH

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die in § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG geregelte Ausnahme von der generellen Zulassungspflicht mit dem Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel vereinbar ist. Schon der Generalanwalt hatte in seinen Schlussanträgen dafür plädiert, dass dies so ist. Und auch diesmal ist das Gericht seinen Argumenten gefolgt. Die Erste Kammer ist mit Szpunar der Meinung, dass die handwerkliche Kleinherstellung von Arzneimitteln in der Apotheke – wie sie aus Sicht der Kammer im gegebenen Fall vorliegt – nicht unter die fragliche Richtlinie fällt. Denn diese erfordert gerade, dass die Humanarzneimittel „entweder gewerblich zubereitet werden oder bei deren Zubereitung ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt“. Die in Deutschland geltende Obergrenze von 100 Packungen am Tag schließe aus, dass die Herstellung offizinaler Zubereitungen einen Umfang erreicht, der als bedeutend eingestuft und unter den Begriff „industrielles Verfahren“ im Sinne der Richtlinie gefasst werden kann.

Sollte allerdings der BGH nach den „tatsächlichen Feststellungen“ doch zu der Auffassung gelangen, es liege eine gewerbliche oder industrielle Fertigung vor, müsse er eine weitere Ausnahme prüfen. Denn auch der Humanarzneimittel-Kodex sieht solche vor. So gilt die Richtlinie nicht für „in der Apotheke nach Vorschrift einer Pharmakopöe zubereitete Arzneimittel, die für die unmittelbare Abgabe an die Patienten bestimmt sind, die Kunden dieser Apotheke sind (sogenannte formula officinalis)“ (Art. 3 Nr. 2 RL).

Zweifel an der Vereinbarkeit der nationalen und der europäischen Ausnahmeregelung – § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG verlangt zwar ausdrücklich, dass ein Arzneimittel in einer Apotheke zubereitet wird, jedoch nicht, dass diese Zubereitung „nach Vorschrift einer Pharmakopöe“ erfolgt – können nach Auffassung des EuGH ausgeräumt werden. Dazu setzen sie § 21 AMG in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Apothekenbetriebsordnung. Nach dieser Bestimmung „[müssen] Arzneimittel, die in der Apotheke hergestellt werden, … die nach der pharmazeutischen Wissenschaft erforderliche Qualität aufweisen. Sie sind nach den anerkannten pharmazeutischen Regeln herzustellen und zu prüfen; enthält das Arzneibuch entsprechende Regeln, sind die Arzneimittel nach diesen Regeln herzustellen und zu prüfen“. In diesem Zusammenspiel seien Apotheker letztlich doch verpflichtet, bei der Zubereitung von Arzneimitteln in der Apotheke die Pharmakopöe zu beachten. Es obliege jedoch dem vorlegenden Gericht, zu prüfen, ob die Weihrauchkapseln nach Vorschrift einer Pharmakopöe zubereitet wurden.

Eine pharmazeutische Genugtuung

Apotheker Winfried Ertelt und sein Anwalt Cord Willhöft sind ­jedenfalls aber schon jetzt sehr zufrieden. Nach fünf Jahren Rechtsstreit falle ihm nun ein „Steinbruch von der Seele“, sagte der Apotheker. Für ihn ist das Urteil gerade nach der Entscheidung der vergangenen Woche eine „pharmazeutische Genugtuung“. Es sei ein „Sieg für die Pharmazie und die Präsenzapotheke vor Ort, die Rezepturen und Defekturen betreiben“. Dem Apotheker ist klar: Er hätte sich viel erspart, hätte er ­seine Kapseln gleich als Nahrungsergänzungsmittel vertrieben. Aber das wollte er nicht. Er ist überzeugt von der arzneilichen Wirkung des Weihrauchs und wollte die „altehrwürdige Arzneipflanze nicht verramschen“. |

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