Gesundheitspolitik

Alles muss man sich nicht gefallen lassen!

Ein Urteil des BVerwG zu Pflichtmitgliedschaft in einer berufsständischen Kammer lässt auch Apotheker aufhorchen

Kammermitglieder dürfen ihre Kammer dazu auffordern, den gemeinsamen Dachverband zu verlassen, wenn dieser seine Kompetenzen überschreitet – etwa indem er zu allgemein­politischen Themen Stellung nimmt. Das hat das Bundesverwaltungsgericht kürzlich entschieden. Der Münchener Rechtsanwalt Dr. Christian Bilcher zeigt auf, was das Urteil für die Standesvertretung der Apotheker bedeuten kann.

Bekanntermaßen existiert in Deutschland für verschiedene Berufsgruppen – so auch für Apotheker, Ärzte und Rechtsanwälte – die Pflicht zur Mitgliedschaft in berufsständischen Körperschaften. Aktuell versuchen mehrere Initiativen den Kreis der Pflichtmitgliedschaften im Bereich des Gesundheitswesens sogar zu erweitern: Sie wollen bundesweite Pflegekammern einführen. Solche Zwangsmitgliedschaften sind vor dem Hintergrund der allgemeinen Handlungsfreiheit zwar verfassungsrechtlich kritisch zu hinterfragen, gehören aber schon zur guten alten deutschen Tradition. Bisherige Versuche einzelner Apotheker, einen ABDA-Austritt ihrer Kammer juristisch zu erzwingen, hatten keinen Erfolg. In letzter Zeit wächst die Kritik an den Zwangsmitgliedschaften wieder – und wird nun beflügelt durch eine kürzlich veröffentlichte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts.

In einer im Bereich der Industrie- und Handelskammern ergangenen Entscheidung stellt dieses klar, dass sich ein gesetzliches Zwangsmitglied einer Berufskammer nicht alles gefallen lassen muss (BVerwG, Urteil vom 23. März 2016, Az.: 10 C 4.15). Das Gericht statuiert darin, dass ein Kammermitglied seine Berufskammer (hier: IHK) dazu verpflichten kann, aus einem überregionalen Dachverband (hier: Deutscher Industrie- und Handelskammertag e. V. – DIHK) austreten zu müssen, wenn sich die Berufskammer beziehungsweise der Dachverband außerhalb des gesetzlich vorgegebenen Kompetenzrahmens betätigen. Das kann insbesondere der Fall sein, wenn sie Stellungnahmen zu allgemeinpolitischen Themen abgeben. Ein Pflichtmitglied muss nur die Tätigkeiten seiner Kammer hinnehmen, die das Gesetz der Kammer zuteilt.

Eine Berufskammer darf es ferner weder vornehmen noch dulden, wenn der Dachverband ihre Interessen einseitig oder unvollständig repräsentiert, namentlich beacht­liche Minderheitspositionen übergeht oder Gebote der Sachlichkeit und Objektivität missachtet. Sollte ein Dachverband entsprechend agieren, muss die Kammer dafür sorgen, dass dieser derartige Kompetenzüberschreitungen unterlässt und – falls nötig – aus dem Dachverband austreten. Diesen Austritt kann laut Bundesverwaltungsgericht jedes Kammermitglied von seiner Kammer verlangen. Dies gilt nur dann nicht, wenn es sich um einen atypischen „Ausreißer“ handelt, da in diesem Fall keine konkrete Gefahr einer erneuten Kompetenzüberschreitung bestehe.

Worüber sich Apothekerkammern klar sein müssen

Durch diese Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts wird die Position der Zwangsmitglieder erheblich gestärkt. Inwiefern dies im Ergebnis Auswirkungen auf andere berufsständische Organi­sationen haben könnte, ist noch ungeklärt. Jedenfalls sollten sich sowohl die Landesapothekerkammern als auch deren Dachverband, die ABDA, darüber im Klaren sein, dass eine ihre gesetzlich vorgeschriebenen Kompetenzen übersteigende Tätigkeit dazu führen kann, dass ein Apotheker versuchen wird, den Austritt aus dem Dachverband – notfalls gerichtlich – zu erwirken. Die Landesapothekerkammern müssen sich letztlich bei jeder Handlung der ABDA fragen, ob sich diese Handlung im gesetzlich gesteckten Kompetenzrahmen der Kammer bewegt oder darüber hinausgeht. Dies wird jede Landesapothekerkammer anhand des eigenen Rechtsrahmens, insbesondere der Heilberufe-Kammergesetze auf Länderebene, bewerten müssen.

Berufliche Belange müssen im Vordergrund stehen

Insbesondere bei allgemeinpolitischen Äußerungen des Dachverbandes ist jedenfalls Vorsicht geboten. Die ABDA sollte sich beispielsweise nicht – wie der DIHK e. V. im Fall des Bundesverwaltungsgerichts – zum außenpolitischen Auftreten der Bundeskanzlerin äußern. Politische Meinungen dürfen nur geäußert werden, wenn sie einen Bezug zu dem jeweiligen Kammerberuf aufweisen. Die beruflichen Belange der Pflichtmitglieder müssen dabei im Vordergrund stehen. Außerdem ist, was eigentlich selbstverständlich sein dürfte, bei allen Äußerungen auf Sachlichkeit und Objektivität zu achten. In diesem Zusammenhang ist auch klarzustellen, dass Äußerungen von Vorständen, sofern es sich dabei nicht nachweislich um private Meinungskundgaben handelt, der jeweiligen Organisation zu­gerechnet werden können.

Zusammenfassend ist festzuhalten: Der Dachverband darf den Kompetenzrahmen der einzelnen Kammer nicht erweitern. Sollte es dennoch zu einer Überschreitung der gesetzlich zugeteilten Aufgaben kommen, können für die Mitglieder Austrittsansprüche entstehen, wodurch die jeweilige Kammer zum Austritt aus dem Dachverband gezwungen werden kann. In letzter Konsequenz könnte dies den Aktionsradius eines Dachverbands erheblich limitieren. |

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