Gesundheitspolitik

BfArM muss Cannabis-Eigenanbau erlauben

Bundesverwaltungsgericht verpflichtet Behörde zu Ausnahmegenehmigung

BERLIN (ks) | Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) muss einem an multipler Sklerose (MS) erkrankten 52-Jährigen eine Ausnahmeerlaubnis zum Eigenanbau von Cannabis erteilen. Dies entschied das Bundesverwaltungsgericht. Im konkreten Fall sei das Ermessen der Behörde auf Null reduziert, weil das Betäubungsmittel für die medizinische Versorgung des Klägers notwendig sei und eine gleich wirksame und erschwingliche Therapiealternative ihm nicht zur Verfügung stehe. (Urteil vom 6. April 2016, Az.: VerwG 3 C 10.14)

Geklagt hatte ein Mann, der seit 1985 an MS erkrankt ist und seine Symptome seit etwa 1987 regelmäßig mit Cannabis behandelt. Strafgerichte hatten dafür schon Verständnis: Zuletzt war er 2005 vom Vorwurf des unerlaubten Besitzes und Anbaus von Betäubungsmitteln freigesprochen worden. Das Strafgericht sah sein Handeln als gerechtfertigt an, weil ihm keine Therapiealternative zur Verfügung stehe. Doch das BfArM zeigte sich weniger nachsichtig. Den schon im Mai 2000 gestellten Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zum Anbau von Cannabis zur medizinischen Selbstversorgung lehnte die Behörde 2007 und nach einem Widerspruchsverfahren nochmals 2010 ab. Der MS-Patient zog daraufhin vor Gericht. Schon das Verwaltungsgericht hob die Bescheide auf und verpflichtete das BfArM, den Antrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden. Die weitergehende Klage wies es zurück. Die Berufungen beider Seiten vor dem Oberverwaltungsgericht blieben ohne Erfolg.

Erste Erlaubnis überhaupt

Nun hat das Bundesverwaltungsgericht die Revision des BfArM zurückgewiesen und dieses verpflichtet, dem Kläger die gewünschte Erlaubnis zu erteilen. Damit wird es zum ersten Mal eine Genehmigung zum Eigenanbau von Cannabis für medizinische Zwecke in Deutschland geben. Die Urteilsgründe liegen zwar noch nicht vor, doch das Gericht zeigt in einer Pressemitteilung auf, worauf es seine Entscheidung stützt. Die Rechtsgrundlage für die Erlaubniserteilung bietet § 3 Abs. 2 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG). Danach kann das BfArM eine Erlaubnis zum Anbau von Cannabis nur ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen. Dem Bundesverwaltungsgericht zufolge ist vorliegend ausnahmsweise ein solches öffentliches Interesse anzunehmen. Denn die Einnahme von Cannabis führe beim schwer kranken Kläger zu einer erheblichen Linderung seiner Beschwerden – und ein gleich wirksames und für ihn erschwingliches Medikament stehe ihm nicht zur Verfügung. Auch der ebenfalls erlaubnispflichtige Erwerb von Medizinalhanf aus der Apotheke scheide aus Kostengründen als Therapiealternative aus. Die Krankenkasse des Klägers hatte eine Kostenübernahme wiederholt abgelehnt – und dessen eigene Erwerbsunfähigkeitsrente reiche nicht. Der Kläger kann laut Gericht auch nicht darauf verwiesen werden, nun noch den sozialgericht­lichen Klageweg zu beschreiten. Dies sei ihm unter den gegebenen Umständen nicht zumutbar.

Häusliche Gärtnerei ausreichend sicher

Ferner sieht das Gericht keine Versagungsgründe nach § 5 BtMG gegeben. Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs seien hinreichend gewährleistet. Der Kläger habe dafür gesorgt, dass die in seiner Wohnung gezogenen Cannabispflanzen ausreichend gegen eine unbefugte Entnahme geschützt seien. Es bestünden auch keine Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Verwendung durch ihn selbst. Er verfüge aufgrund der jahrelangen Eigentherapie inzwischen auch über umfassende Erfahrungen hinsichtlich Wirksamkeit und Dosierung der von ihm angebauten Cannabissorte. Außerdem stünden der Anbau und die Therapie unter ärztlicher Kontrolle. Letztlich sei das dem BfArM eröffnete Ermessen „auf Null“ reduziert. Davon unberührt bleibe seine Befugnis, die Erlaubnis mit Nebenbestimmungen zu versehen.

Der Anwalt des Klägers, Dr. Oliver Tolmein, zeigte sich erfreut über die „wegweisende Entscheidung“. „Wenn GKV nicht hilft, darf nicht auch noch Selbsthilfe untersagt werden“, fasste er sie auf Twitter zusammen. Auch wenn es sich um eine Einzelfallentscheidung handele, sei sie für Patienten, die auf Cannabis als Medizin angewiesen sind, von erheblicher Bedeutung.

BfArM setzt auf qualitäts­gesichertes Cannabis

Das BfArM erklärte, es prüfe jeden Antrag individuell und werde dabei künftig auch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts berücksichtigen. Der Eigenanbau von Cannabis könne aber auch künftig nur im Einzelfall erlaubt werden. Grundsätzlich könne eine medizinisch sinnvolle und qualitätsgesicherte Versorgung der Patienten aus Sicht des BfArM nicht mit selbst hergestellten Arzneimitteln unbekannter Qualität sichergestellt werden. Voraussetzung für eine medizinisch vertretbare Therapie sei die Bereitstellung von Cannabisprodukten in Arzneimittelqualität, deren Wirkstoffgehalt bekannt ist. Das BfArM setzt darauf, dass der Gesetzgeber hierfür künftig sorgt. Dieser will bekanntlich die Versorgung mit Cannabis für medizinische Zwecke erleichtern. Ein erster Gesetzentwurf liegt bereits vor. |

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