Inkontinenz

Hilfe gegen das Tröpfeln

Eine Übersicht zur Pharmakotherapie der Harn- und Stuhlinkontinenz

Von André Said | Das Unvermögen, Harn oder auch Stuhl kontrolliert abzugeben bzw. zu halten, beeinträchtigt die Lebensqualität der betroffenen Personen enorm und ruft Schamgefühl und Unsicherheit hervor, sodass der notwendige Gang zum Arzt oder Apotheker oft eine beträchtliche Überwindung erfordert. Dabei kann die Inkontinenz heutzutage mit einer Vielzahl von Möglichkeiten behandelt werden. Die individuelle Therapie richtet sich hierbei nach der jeweiligen Ursache bzw. der eigentlichen Inkontinenzform.

Das zentrale Nervensystem innerviert die Blasen-, Becken- sowie Schließmuskeln beziehungsweise den Verschluss­apparat des Afters und koordiniert hierbei den Spannungsgrad der glatten Muskulatur. Fehler in der Signalüber­tragung über die Nervenfasern oder organisch bedingte Dysfunktionen können jedoch dazu führen, dass die Blasenentleerung nicht mehr bewusst kontrolliert werden kann bzw. dass der Darminhalt sowie Darmgase nicht mehr willkürlich im Enddarm zurückgehalten werden können. Die Deutsche Kontinenzgesellschaft definiert den Begriff der Inkontinenz daher als mangelnde Fähigkeit des Körpers, den Blasen- und/oder Darminhalt sicher zu speichern und selbst zu bestimmen, wann und wo dieser entleert werden soll [1].

Sowohl Harn- als auch Stuhlinkontinenz betrifft Menschen aller Altersstufen, kommt jedoch weit häufiger bei älteren Personen vor. Infolge der Tabuisierung der Symptome variieren die Angaben zur Prävalenz der Blasenschwäche in Deutschland, wobei es als sicher gilt, dass dieses Problem mit der veränderten Altersverteilung der Bevölkerung zunehmen wird. Tatsächlich leiden 30 bis 60% der Menschen in institutionellen Pflegeeinrichtungen an Harn- bzw. 25% an Stuhlinkontinenz [2]. Angesichts dieser Fakten ist es daher von enormer Bedeutung, die Öffentlichkeit über das Leiden aufzuklären, wobei den Apotheken hierbei eine besondere Rolle zukommt. Im Rahmen des Beratungsgesprächs kann sich mittels einfacher Fragen ein Hinweis auf eine bestehende Harn- und/oder Stuhlinkontinenz ergeben (siehe Kasten: „Einfache Fragen“). Darüber hinaus sollte versucht werden, der betroffenen Person die Angst vor einem Arztbesuch zu nehmen, um die Anamnese abzuklären und weiterhin die Ursachen zu ergründen bzw. entsprechende Therapieoptionen zu erläutern.

Einfache Fragen zur Erfassung der Beschwerden

  • Wie oft müssen Sie auf die Toilette?
  • Konnten Sie den Harn- oder Stuhlgang schon einmal nicht hinauszögern?
  • Bemerken Sie, wenn Ihre Blase bzw. Ihr Darm gefüllt ist und verspüren Sie einen Harn- oder Stuhldrang?
  • Verspüren Sie das Gefühl einer unvollständigen Blasen- bzw. Darmentleerung?
  • Wenn Sie ausgehen, suchen Sie sich stets einen Platz in der Nähe der Toiletten? (sogenanntes „Toilet Mapping“)
  • Verlieren Sie Harn oder Stuhl bei körperlicher Anstrengung und sind Sie hierdurch in Ihren sozialen Aktivitäten eingeschränkt?

Formen der Harn- und Stuhlinkontinenz

Tab. 1: Pathogenese der Harninkontinenzformen
Belastungsinkontinenz Operationen und UnfälleBeckenoperationen, ProstataoperationenNervenverletzungen und -reizungen im Beckenbereich (Muskeln des Becken­bodens werden nicht mehr richtig gesteuert)Vorwölbung der HarnblaseSchwangerschaften und Entbindungen Belastung des Beckenbodens (häufig während der letzten SS-Monate oder nach Entbindung)Wechseljahre durch hormonelle Umstellung gibt das Bindegewebe nach (Beckenorgane sinken ab)
Drang­inkontinenz OperationenAuslösen von Nervenschäden oder -reizungen neurologische Erkrankungenmultiple Sklerose, Parkinson, Alzheimer Hirntumor Schlaganfallstetige Reizung der BlaseBlasensteine Harnwegsinfekte Diabeteserhöhter Blutzuckerspiegel schädigt das Nervensystempsychische Probleme
überaktive Blase (OAB) vermehrte muscarinerge Reize vermitteln Kontraktionen des Detrusors mangelhafte zentralnervöse Hemmung von Harndrangimpulsen
Reflex­inkontinenz Verletzungen des RückenmarksQuerschnittslähmungneurologische ErkrankungenParkinson, multiple Sklerose, Schlaganfall, Demenz
Überlaufinkontinenz Vergrößerung der ProstataAbflussverhinderungHarnröhrenverengungTumore, Harnsteine
extra­urethrale Inkontinenz zumeist angeborene Fehler

Obwohl die Harninkontinenz umgangssprachlich auch als „Blasenschwäche“ bezeichnet wird, so ist die Blase nicht immer als Ursache für den ungewollten Harnverlust zu sehen. Man unterscheidet hierbei nach der jeweiligen Pathogenese fünf Inkontinenzformen (Tabelle 1). Zudem existieren klinische Scores zur detaillierten Beurteilung der Schweregrade [3]. Die Symptomatik einer Belastungsinkontinenz ist durch Harnverlust bei schwerer körperlicher Anstrengung charakterisiert, bei welcher sich der Druck im Bauchraum erhöht. Hierzu gehört das Tragen oder Anheben von schweren Lasten. Aber auch durch Husten, Niesen oder Lachen kann unkontrollierter Urinverlust provoziert werden. Dabei wird kein Harndrang verspürt, ehe Urin abgeht. Bei schweren Formen passiert dies bereits bei jeglicher Bewegung und sogar im Liegen oder Stehen. Frauen sind hiervon weit häufiger betroffen als Männer. Die Dranginkontinenz zeichnet sich durch überfallartigen und häufig vorkommenden Harndrang aus, bei der die Personen oftmals nicht mehr rechtzeitig die Toilette erreichen. Typischerweise ist die Blase jedoch selten ganz gefüllt. Das Symptom der überaktiven Blase (overactive bladder, OAB) ist ebenfalls durch imperativen Harndrang sowie mehrmalige Miktionen (> 8) und nächtliches Wasserlassen gekennzeichnet, jedoch zeigt sich noch kein unwillkürlicher Urinverlust. Personen mit Reflex­inkontinenz verspüren dagegen keinen echten Harndrang mehr und merken daher auch nicht, wenn die Blase gefüllt ist, sodass sich diese von selbst entleert. Trotz voller Blase fließen bei einer Überlaufinkontinenz stets nur geringe Mengen an Urin ab, wobei die Personen auch oft einen ständigen Harndrang verspüren. Eine weitere Form stellt die extraurethrale Harninkontinenz dar, bei der ein unnatürlicher Kanal zwischen Blase und beispielsweise Darm einen ständigen Urinabgang verursacht. Aufgrund dieser Fistel geschieht der Harnverlust jedoch nicht über die Harnwege, sondern „extraurethral“. Zudem können verschiedene Arzneimittel eine Harninkontinenz auslösen bzw. verstärken. Die Medikation sollte daher unbedingt dahingehend abgeklärt werden, auch um mögliche Interaktionen in der Pharmakotherapie der Inkontinenz zu vermeiden (siehe Tabelle 2 auf S. 51).

Die Stuhlinkontinenz wird in drei Stadien eingeteilt, die sich entsprechend des Schweregrades des Stuhl- oder Gasverlusts definieren [5]. Die Symptomatik der Teilinkontinenz 1. Grades zeichnet sich durch unkontrolliertes Entweichen von Darmgasen und gelegentlichem belastungsinduziertem „Stuhlschmieren“ aus, also dem Abgang von stuhligem Sekret, welche ursächlich sind für „braune Streifen“ in der Unterwäsche. Patienten mit Teilinkontinenz 2. Grades können den Abgang von Darmgasen sowie dünnflüssigem Stuhl nicht willentlich beeinflussen. Der komplette Verlust der Kontrolle zur Darmentleerung, auch bei festem Stuhl, zeichnet die Teilinkontinenz 3. Grades aus.

Auch die Stuhlinkontinenz wird entsprechend der pathogenen Ursachen in unterschiedliche Formen eingeteilt, wobei diese entweder angeboren oder erworben ist. Bei Wahrnehmungsstörungen der sensiblen Schleimhaut des Analkanals liegt eine sensorische, bei Schädigung des Analsphinkters eine muskuläre und bei degenerativen Erkrankungen der Nerven, bzw. bei peripheren Neuropathien, eine neurogene Stuhlinkontinenz vor. Inkontinenz durch rektale Koprostase zeichnet sich durch eine lange Verweildauer des Stuhls im Dickdarm aus. Dadurch wird dem Darminhalt viel Flüssigkeit entzogen und entstehende Kotsteine können eine einfache Passage verhindern, sodass trotz vorliegender Obstipation nur dünnflüssiger Stuhl am verhärteten Darminhalt vorbei Leckage-artig ausgeschieden wird. Auch kann eine verringerte Speicherfunktion des Rektums, beispielsweise aufgrund vorheriger Operationen, eine reservoirbedingte Stuhlinkontinenz provozieren.

Hilfe bei Harninkontinenz

Das Ziel der Inkontinenzbehandlung ist die Vermeidung unwillkürlichen Urin- bzw. Stuhlabgangs mit all seinen psychischen und sozialen Folgen. Um die nötige Sicherheit vor unangenehmen Vorfällen zu gewährleisten, erhalten die Betroffenen begleitende Inkontinenzprodukte, welche Nässe und Schmieren aufnehmen und so vor Gerüchen schützen. Dazu gehören Urinableitungssysteme, Pessare, Vorlagen, Tampons und Pflegetücher, die hier nicht genauer beschrieben werden. Auch hygienische und hautpflegende Maßnahmen mittels Cremes, Salben und regelmäßiger Wäsche sind indiziert, um Infektionen, Reizungen oder Läsionen des Urogenitalbereiches vorzubeugen.

Behandlung der Belastungsinkontinenz

Bei Belastungsinkontinenz ist das körperliche Training einer Pharmakotherapie mindestens gleichwertig und sollte dieser vorausgehen. Dazu gehören Biofeedback-Therapien und Übungen zur Kräftigung und Schonung der ­Beckenbodenmuskulatur, inklusive Elektrostimulationen. Hierauf sprechen etwa 70% der betroffenen Frauen an, sofern die Inkontinenz nicht allzu stark ausgeprägt ist. Auch eine Reduktion von Übergewicht kann sich positiv auswirken [6].

Die periphere Innervation der Harnblase wird sowohl über das autonome (Sympathikus und Parasympathikus) als auch über das somatische Nervensystem reguliert. Der parasympathische N. pelvicus führt zu einer Kontraktion der glatten Muskulatur des M. Detrusor vesicae über die Stimulierung muskarinerger Rezeptoren. Der sympathische N. hypogastricus erhöht den Tonus und die Kontraktion im Bereich des Blasenhalses sowie des Detrusor selbst. Dies wird durch die Neurotransmitter Noradrenalin im postganglionären Anteil an adrenergen Rezeptoren und Acetylcholin im präganglionären Anteil an nicotinergen Rezeptoren vermittelt.

Die Pharmakotherapie zielt vor allem auf die Erhöhung der Muskelkraft und des Muskeltonus des Schließmuskels ab. Hierzu ist das Antidepressivum Duloxetin (Yentreve®), ein Noradrenalin-Serotonin-Reuptake-Inhibitor (SSNRI), indiziert, das eine Vergrößerung der Harnblasenkapazität sowie eine Erhöhung des Muskeltonus des quergestreiften Sphinktermuskels der Harnblase bewirkt. Duloxetin kann hierdurch die Inkontinenzepisode der Frau verringern, wobei durch die Kombination aus Pharmakotherapie und Beckenbodentraining noch bessere Ergebnisse erzielt werden können [7]. Beim Mann ist Duloxetin bisher nicht zugelassen, wird jedoch off label verwendet [8]. Die Dosierung bei Inkontinenz ist zwar geringer als bei der Anwendung als Antidepressivum, dennoch sollte das Ein- bzw. das Absetzen der Therapie schleichend erfolgen. Durch hepatische Metabolisierung und renale Ausscheidung von Duloxetin ergibt sich eine mittlere Halbwertszeit von zwölf Stunden, wobei eine Gabe bei Leber- bzw. schwerer Niereninsuffizienz kontraindiziert ist. Bei leichter Niereninsuffizienz ist gegebenenfalls eine Dosisanpassung notwendig. Weitere Kontraindikation zur Anwendung als Präparat gegen Belastungsinkontinenz umfassen unkontrollierte Hypertonie, Schwangerschaft und Stillzeit. Bekannte Nebenwirkungen umfassen Übelkeit, Müdigkeit, Schlaflosigkeit, Mundtrockenheit, Verstopfung, Schwindel, Hyponatriämie und Bewegungsunruhe. Aufgrund der Gefahr eines Serotonin-Syndroms ist eine Wechselwirkung mit MAO-Inhibitoren, SSRI sowie Inhibitoren von CYP1A2-Enzymen zu beachten.

Bei Frauen in der Menopause kann zusätzlich eine lokale Östrogen-Behandlung erfolgen, wodurch sich die altersbedingte Struktur- und Gewebsveränderung verlangsamt. Auch wird hierdurch der Verschluss der Harnröhre verbessert [9].

Behandlung der Dranginkontinenz (und OAB)

Muscarinerge Acetylcholinrezeptoren kommen in vielen Organen vor. Je nach Selektivität der Anticholinergika treten als Nebenwirkungen Mundtrockenheit, Obstipation, Übelkeit, Tachykardie, Akkommodationsstörungen am Auge sowie Augeninnendruckerhöhungen auf. Darifenacin und Solifenacin wirken am stärksten auf den für die Blasenkontraktion verantwortlichen M3-Rezeptor. Sie gelten als blasenselektiv und verursachen praktisch keine zentralnervösen Nebenwirkungen.

Ist ein verstärkter Harndrang durch Infektionen oder Harnsteine ausgelöst, sollte entsprechend kausal behandelt werden. Zusätzlich können Patienten mit Dranginkontinenz mittels Miktionsprotokoll die Trink- und Urinmengen dokumentieren. So kann die Häufigkeit ihrer täglichen Toilettengänge erkannt und mit eigenständigem Toilettentraining prophylaktisches bzw. überflüssiges Urinieren bei nicht komplett gefüllter Blase vermieden werden. Weitere Verhaltensübungen dienen dazu, den ständigen Harndrang besser zu kontrollieren. Hierzu wird zum Beispiel die Flüssigkeitszufuhr auf 1,5 Liter pro Tag beschränkt bzw. zwei Stunden vor dem Zubettgehen komplett vermieden [10]. Daneben haben Beckenbodentrainings sowie die Pharmakotherapie einen hohen Stellenwert in der Behandlung der Dranginkontinenz.

Für Letzteres steht eine Reihe anticholinerg-wirkender Substanzen (neurotrope Spasmolytika) zur Verfügung, welche die Erschlaffung der Blasenmuskulatur vermitteln und die Zahl der Drang- und Inkontinenz-Episoden sowie die tägliche Miktionsfrequenz reduzieren [11]. Dabei unterscheiden sich die verfügbaren Anticholinergika in ihrer Selektivität gegenüber der in der glatten Muskulatur des Detrusors vorkommenden M3-Rezeptoren. Fesoterodin (Toviaz®), Trospiumchlorid (Spasmex®), Tolterodin (Detrusitol®) sowie die direkt zusätzlich muskulotrop spasmolytisch-wirkenden Anticholinergika Oxybutinin (Cystonorm®) und Propiverin (Mictionorm®) gelten als unselektive Vertreter, bei denen vermehrt mit anticholinergen Nebenwirkungen gerechnet werden muss. Darifenacin (Emselex®) und Solifenacin (Vesicur®) zeigen dagegen eine relative Selektivität zu M3-Rezeptoren. Zwar besitzen Oxybutinin und Propiverin als neurotrop-muskulotrope Spasmolytika eine weitere Wirkkomponente, nämlich die direkte Krampflösung der glatten Muskulatur durch Hemmung der L-Typ-Ca2+-Kanäle, jedoch scheint die Wirksamkeit aller Präparate vergleichbar [12]. Zudem sollte wegen der guten Liquorgängigkeit sowie der Affinität der unselektiven Anticholinergika zu zentralen M1-Rezeptoren besonders auf zentralnervöse Störungen wie Müdigkeit, Schwindel, Tremor und kognitive Beeinträchtigungen geachtet werden. Die kognitiven Beeinträchtigungen sind vor allem in einem immer älter werdenden Patientenkollektiv als äußerst problematisch anzusehen, zumal Menschen mit Demenz häufig an einer hyperaktiven Blase leiden. Vor allem für Oxybutinin ist eine negative Veränderung der Gedächtnisleistung beschrieben [13, 14]. Tolterodin und Fesoterodin zeigen sich dagegen „ZNS-neutral“, und auch die hohe Affinität zu M3-Rezeptoren spricht für eine geringe zentrale Beeinträchtigung durch Solifenacin und Darifenacin. Trospiumchlorid findet sich aufgrund seiner quartären Ammoniumstruktur nur in geringen Spuren im ZNS. Typische periphere Nebenwirkungen umfassen Mundtrockenheit, verminderte Schweißsekretion, Hautrötung, Wärmestau, gastrointestinale Störungen und Mydriasis. Kontraindikationen für anticholinerg-wirkende Substanzen umfassen die Beeinträchtigung der Motilität des Gastrointestinaltraktes, Engwinkelglaukom, Miktionsstörungen, Leberinsuffizienz und Myasthenia gravis. Dabei werden retardierte Präparate generell besser vertragen, da hierdurch Wirkstoffspitzen vermieden werden. Vor allem ältere Patienten sind aufgrund von Begleiterkrankungen und entsprechender Arzneimitteleinnahme anfällig für Interaktionen, sodass die Verordnung von neurotropen Spasmolytika sorgfältig abzuwägen ist. Die anticholinerge Wirkung von Anti-Parkinsonmitteln, Antihistaminika, Neuroleptika sowie trizyklischen Antidepressiva wird erhöht, die tachykarde Wirkung von Sympathomimetika verstärkt, und die Effekte gastrointestinaler Prokinetika werden abgeschwächt. Arzneimittel, die Harnretention und Detrusorkontraktion induzieren bzw. Polyurie, Nykturie und Pollakisurie fördern, können die urologische Wirkung der Anticholinergika abschwächen, andere wiederum diese erhöhen (Tabelle 2). Da auch hier das hepatische CYP-Enzymsystem den Abbau der Wirkstoffe vermittelt, muss auf Wechselwirkungen mit CYP–Inhibitoren (Azol-Antimykotika, Makrolide) geachtet werden. Einzig Trospiumchlorid wird unverändert renal ausgeschieden und gilt damit als mögliche Alternative bei der Gefahr von Arzneimittelinteraktionen.

Tab. 2: Pharmakologische Ursachen einer Harninkontinenz [4]
Alkohol Polyurie, Nykturie
Opiate Detrusorkontraktion
Diuretika Polyurie, Pollakisurie, Dranginkontinenz
ACE-Hemmer Husten-induzierte Belastungsinkontinenz
Calcium-Antagonisten Detrusor-Relaxation mit Restharnbildung
α-Adrenozeptorenblocker Belastungsinkontinenz durch urethrale Dilatation
Sedativa/Hypnotika, Anti-Parkinsonmittel, Anticholinergika, Antihistaminika, Antipsychotika, Antidepressiva, β-Adrenozeptor-Agonisten, α-Adrenozep­tor-Agonisten Harnretention, Überlaufinkontinenz

Auch kann eine Off-label-Injektion von Botulinumtoxin A in den Detrusor die Drang- und Inkontinenzepisode reduzieren. Hierbei wird die Exozytose von Acetylcholin und anderen Neurotransmittern aus cholinergen Nervenenden verhindert, wodurch die Erregungsübertragung auf die Muskelzelle langanhaltend blockiert wird [15]. Als neue Therapieoption zur symptomatischen Behandlung von Dranginkontinenz gilt der Adrenozeptoragonist Mirabegron (Betmiga®) [16]. Dieser stimuliert den in der Harnblase lokalisierten β3-Rezeptorsubtyp und vermittelt die Spasmolyse der glatten Muskulatur, wodurch sich das Harnspeichervolumen erhöht, die Miktionsrate reduziert und die Anzahl der Inkontinenzphasen verringert. Mirabegron wird als Retardformulierung appliziert und soll auch eine Symptomverbesserung bei Personen zeigen, die nur wenig auf eine Therapie mit Anticholinergika ansprechen bzw. diese nicht vertragen. Jedoch sah das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) bisher keinen Zusatznutzen für Mirabegron [17]. Da das Nebenwirkungsprofil von Mirabegron dennoch als geringfügig besser eingestuft wird als das der Anticholinergika, wird Mirabegron besonders für ältere Patienten empfohlen. Die Elimination erfolgt ebenfalls hepatisch und renal, sodass bei gleichzeitiger Gabe von CYP-Inhibitoren bzw. bei Funktionsstörungen der Eliminationsorgane auf eine Dosisanpassung geachtet werden muss. Als typische Nebenwirkungen gelten Harnwegsinfektionen, Tachykardie, Palpitation, Vorhofflimmern, Dyspepsie, Gastritis, Urtikaria und erhöhter Blutdruck. Kontraindiziert ist Mirabegron bei starken Nieren- und Leberfunktionsstörungen sowie bei Personen mit schwerer, nicht behandelter Hypertonie.

Behandlung der Reflexinkontinenz

Die generelle Problematik bei neurogener Detrusor-Hyperaktivität ist eine mögliche Schädigung der Nieren als Spätfolge des Rückstaus in die oberen Harnwege. Da die Blase stets Harn zurückhält, muss für eine ausreichende Entleerung gesorgt werden, was häufig mittels Katheter erfolgt. Sollten die Patienten körperlich und geistig dazu in der Lage sein, kann dies sogar selbständig und nach Anleitung über Einmalkatheter erfolgen, wobei alle drei bis vier Stunden eine Entleerung stattfindet (intermittierende Katheterisierung). Sollte dies nicht möglich sein, so ist eine dauerhafte Katheterisierung, zumeist über die Bauchdecke, notwendig. Eine Elektrostimulation (Blasenschrittmacher) kann hierbei unterstützen. Durch die Injektion von Botulinumtoxin A soll die Kontraktion des Detrusors verhindert und somit die unwillkürliche Miktion verhindert werden. Operationen sind erst bei Fehlschlagen der konservativen Therapie indiziert.

Behandlung der Überlaufinkontinenz

Zunächst wird die vollständige Blasenentleerung mittels Katheter ermöglicht, wonach anschließend die Ursache für die Inkontinenz abzuklären ist. Falls die obstruktive Überlaufinkontinenz durch die Verengung des Blasenausgangs verursacht wird, ist oftmals eine operative Resektion notwendig. Eine abgesenkte Gebärmutter und bösartige Tumore werden ebenfalls operativ behandelt. Bei verringerter Aktivität der Harnblasenmuskulatur ist eine Elektrostimulation oder eine intermittierende Einmalkatheterisierung indiziert.

Ist bei einer benignen Prostatahyperplasie (BPH) noch keine operative Entfernung des Prostatagewebes indiziert, so können auch kurz- [Prazosin (Adversuten®) und Alfuzosin (Urion®)] oder langwirksame [Terazosin (Flotrin®), Doxazosin (Alfamedin®), Tamsulosin (Alna®) und Silodosin (Urorec®)] α1-Adrenozeptorenblocker angewandt werden, um den Auslasswiderstand zu senken und Symptome der Miktionsstörung zu verringern. Die Blockade der α1-Adrenozeptoren entspannt die Muskulatur der Prostatadrüse, des Harn­blasenhalses sowie der Urethra und erleichtert die Miktion bzw. verringert die eventuelle Restharnmenge. Als Nebenwirkungen können Kopfschmerzen, Benommenheit oder Blutdruckabfall auftreten, wobei Letztere bei selektiven α1-Inhibitoren wie Tamsulosin und Silodosin geringer ausgeprägt sind. Herzinsuffizienz, Hypotonie oder Leber- und Niereninsuffizienz stellen Kontraindikationen für die Anwendung von α1-Adrenozeptorenblocker dar. Darüber hinaus haben diese keinen Einfluss auf das weitere Wachstum der Prostata, sodass gegebenenfalls eine Kombination dieser Wirkstoffgruppe mit 5α-Reduktasehemmern [Dutasterid (Avodart®), Finasterid (Proscar®)] indiziert ist, um eine langfristige Verkleinerung der Prostata zu erreichen. Die Blockade der Dihydrotestosteron(DHT)-Produktion verlangsamt das Zellwachstum der Prostata, jedoch wird dieser Effekt nicht sofort erzielt. 5α-Reduktasehemmer sind daher nur zur Langzeittherapie geeignet [18].

Behandlung der extraurethralen Harninkontinenz

Die Therapie richtet sich hier nach der Ursache der Fehlbildung. Zumeist wird chirurgisch eingegriffen, um die Fistel zu entfernen. Ist kein funktionstüchtiger Schließmuskel mehr vorhanden, muss dieser mittels Implantat nachgebildet werden, wobei eine Entleerung der Blase nur manuell erfolgen kann. Die Ausleitung des Urins erfordert unter Umständen die Anlage eines Urostomas, einer chirurgisch hergestellten Öffnung zur Körperoberfläche (künstlicher Blasenausgang), um einer lebenslangen Harninkontinenz vorzubeugen.

Therapie der Stuhlinkontinenz

Die Behandlung richtet sich auch hier nach der Ursache der Stuhlinkontinenz. Antibiotika sind bei bakteriellen Infekten indiziert. Entzündliche Darmerkrankungen werden mittels immunsuppressiven und antiinflammatorisch wirkenden Substanzen behandelt. Bei Schließmuskelschäden, Tumoren und anderen Veränderungen der Schleimhaut und Darmwand kann operativ geholfen werden. Ebenso können Biofeedback- und Elektrotherapien (sakrale Stimulation des Pudendrusnervs), Toilettentrainings sowie Beckenbodenübungen hilfreich sein, um die willentliche Entleerung des Darms zu ermöglichen. Im Rahmen der Supportivtherapie kann die Stuhlfrequenz diätetisch optimiert werden. Die Patienten können lernen, den Konsum blähender, scharfer und säurehaltiger Speisen zu reduzieren und weniger motilitätserhöhende Getränke wie Kaffee zu trinken. Pflanzliche Ballaststoffe wie Flohsamenschalen (Plantago ovata) oder Weizenkleie können das Volumen des Stuhls vergrößern und erleichtern die Kontrolle des Toilettengangs, da zudem auch die Konsistenz des Stuhls erhöht wird.

Die Pharmakotherapie zielt vornehmlich auf die Verlängerung der Darmpassage, wobei das Opioid Loperamid (z. B. Lopedium®) vor allem bei bettlägerigen Patienten die ungewollte Darmentleerung verhindert und mittels Klysmen oder Einläufen eine kontrollierte, künstliche Stuhlabgabe vom Pflegepersonal überprüft werden kann. Loperamid selbst gilt nur als Scheinopioid, da es normalerweise keine zentralen Opioidrezeptoren stimuliert. Verantwortlich hierfür ist das P-Glykoprotein, das den aktiven Transport in die Peripherie vermittelt. Gerade bei älteren Personen mit Polymedikation ist daher auf Wechselwirkungen mit bekannten Inhibitoren des Transportproteins (Chinidin, Verapamil, Ritonavir) zu achten, wodurch zentrale Symptome wie Atemdepression induziert werden können. Seit 2013 ist das antisekretorisch wirksame Racecadotril (Tiorfan®) im Handel, ein Enkephalinase-Hemmstoff, der den Abbau körpereigener Enkephaline verringert [19]. Diese binden an δ-Opioidrezeptoren und verhindern die Sekretion von Wasser und Elektrolyten in das Darmlumen. Nebenwirkungen wie Schwindel, Erbrechen, gastrointestinale Schmerzen und Appetitlosigkeit sind zu beachten. In klinischen Studien wird zudem die Wirksamkeit des 5-HT3-Antagonisten Alosetron (Lotronex®) bzw. des trizyklischen Antidepressivums Amitriptylin (Saroten®) zur Inkontinenzbehandlung untersucht [20, 21]. Auch die submuköse Injektion von Quellmitteln (stabilisierte Hyaluronsäure mit Dextranomer) in den Sphinkter gilt als neue nicht-invasive Option [22]. Wird die Stuhlinkontinenz dagegen durch eine Obstipation bedingt, gelten Laxanzien zur Stimulation des Dickdarms als gängige Therapieoption. Zu Beginn kann die Stuhlentleerung in Form von Tabletten, Tropfen oder Suppositorien forciert werden. Gängige Wirkstoffe wie Bisacodyl (Dulcolax®) und Natriumpicosulfat (Laxoberal®) bewirken eine Inhibition der Flüssigkeitsabsorption aus Dick- und Dünndarm und erhöhen zugleich die Sekretion von Kochsalz, wodurch die Darmperistaltik angeregt wird. Diese sollten jedoch nur kurzfristig angewandt werden, da eine längere Applikation die Gefahr der Elektrolytverschiebung erhöht und aufgrund einer Hypokaliämie auch Abhängigkeit resultieren kann. Anschließend sollte eine Umstellung auf osmotisch wirkende Laxanzien (Mannitol, Sorbitol), Gleitmittel (Paraffinum subliquidum) oder Glycerin-haltige Zäpfchen erfolgen, um einen Defäkationsreflex zu provozieren bzw. die Darmentleerung zu erleichtern. Das Führen eines Stuhltagebuches, ähnlich dem Miktionsprotokoll, sollte den Erfolg der Therapie dokumentieren, um möglichst zeitnah einen kompletten Verzicht von Laxanzien zu ermöglichen.

Fazit

Nützliche Informationsseiten und Selbsthilfegruppen

Die Harn- oder Stuhlinkontinenz gilt immer noch als gesellschaftliches Tabu. Betroffene Personen sind oft depressiv und ziehen sich aus dem aktiven sozialen Leben zurück. Dabei ist Inkontinenz keineswegs eine gesellschaftliche Randerscheinung, sondern betrifft Millionen Menschen. Die Apotheke kann hier Vorbild sein und die Bevölkerung aktiv für dieses Thema sensibilisieren. Auch können Patienten auf die vielfältigen Behandlungsoptionen aufmerksam gemacht werden und sollten dadurch die Scham vor einem Arztbesuch verlieren. Nützliche Internetadressen können dabei helfen, die betroffenen Personen zu überzeugen, ihr Problem aktiv anzupacken und nicht still zu leiden (siehe Kasten „Nützliche Informationen“). |

Autor

Dr. André Said studierte von 2004 bis 2008 Pharmazie an der FU Berlin. Die Approbation als Apotheker erhielt er 2010 und arbeitete anschließend als Doktorand im Fachbereich Pharmakologie/Toxikologie an der FU Berlin bei Prof. Dr. Günther Weindl. Seine Promotion mit dem Titel „Funktionelle Charakterisierung von dendritischen Zellen unter entzündlichen Bedingungen in vitro und Integration in humane Vollhautäquivalente“ schloss er 2014 erfolgreich ab. Seit 2013 ist Dr. André Said für die DAZ als freier Autor tätig.

Literatur

Angaben zur Literatur finden Sie am Ende dieses Beitrages auf DAZ.online unter www.deutsche-apotheker-zeitung.de

Literatur

 [1] Deutsche Kontinenz Gesellschaft, www.kontinenz-gesellschaft.de

 [2] Perry S et al. Prevalence of faecal incontinence in adults aged 40 years or more living in the community. Gut 2002; 50:480-484

 [3] Schüssler B, Alloussi S. Zur Klassifikation der Stressinkontinenz nach Ingelman-Sundberg. Gynäkologisch-geburtshilfliche Rundschau 1983;23(3):166-174

 [4] Wehling M. Klinische Pharmakologie, Thieme (2011)

 [5] Menche N. Pflege heute: Lehrbuch für Pflegeberufe, Elsevier, Urban und Fischer (2011)

 [6] Herdegen T. Kurzlehrbuch Pharmakologie und Toxikologie, Thieme (2013)

 [7] Mariappan P et al. Duloxetine, a serotonin and noradrenaline reuptake inhibitor (SNRI) for the treatment of stress urinary incontinence: a systematic review. Eur Urol, 2007;51:67-74

 [8] Cornu J et al. Duloxetine for mild to moderate postprostatectomy incontinence: preliminary results of a randomised, placebo-controlled trial. Eur Urol, 2011;59:148-154

 [9] Maurer-Major E. Einfluss von Hormonen auf den Beckenboden. coloproctology 2001;23(5):272-275

[10] Bilharz C. Inkontinenz im Alter. DAZ 2013;26:38

[11] Ouslander JG. Management of overactive bladder. N Engl J Med 2004;350(8):786–799

[12] Urologische Spasmolytika - Anticholinergika. Wirkstoff aktuell 4/2013, www.akdae.de/Arzneimitteltherapie/WA/Archiv/Urologische-Spasmolytika.pdf

[13] Schneider T, Michel MC. Anticholinerge Therapie der überaktiven Blase. Ist alles dasselbe? Urologe 2009;48:245-249

[14] Kay G et al. Differential effects of the antimuscarinic agents darifenacin and oxybutynin ER on memory in older subjects. Eur. Urol. 2006;50:317-326

[15] Visco AG et al. Anticholinergic Therapy vs. OnabotulinumtoxinA for Urgency Urinary Incontinence. N Engl J Med 2012;367(19):1803-1813

[16] Khullar V et al. Efficacy and tolerability of mirabegron, a β(3)-adrenoceptor agonist, in patients with overactive bladder: results from a randomised European-Australian phase 3 trial. 2013;63:283-295

[17] Mirabegron - Nutzenbewertung gemäß § 35a SGB V (Dossierbewertung) [A14-19]. www.iqwig.de/de/projekte-ergebnisse/projekte/arzneimittelbewertung/a14-19-mirabegron-nutzenbewertung-gemass-35a-sgb-v-dossierbewertung.6147.html

[18] Therapie des benignen Prostatasyndroms (BPS), Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Urologie e. V. (DGU), www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/043-035.html

[19] Leemans L. [The treatment of acute diarrhea]. J Pharm Belg 2013;3:4-11

[20] Jing F, Zhang J. Metabolic kinetics of 5-hydroxytryptamine and the research targets of functional gastrointestinal disorders. Dig Dis Sci 2014;59(11):2642-2648

[21] Sohn W et al. Tianeptine vs amitriptyline for the treatment of irritable bowel syndrome with diarrhea: a multicenter, open-label, non-inferiority, randomized controlled study. Neurogastroenterol Motil 2012;24(9):860-e398

[22] Danielson J, Karlbom U, Sonesson AC et al. Submucosal injection of stabilized nonanimal hyaluronic acid with dextranomer: a new treatment option for fecal incontinence. Dis Colon Rectum 2009;52:1101–1106

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