Arzneimittel und Therapie

Mehr oder weniger Gliome? 

Hormonelle Kontrazeptiva und das Risiko für Hirntumore

Welchen Einfluss haben hormonelle Kontrazeptiva auf das Risiko, ein Gliom zu entwickeln? Die Datenlage dazu ist wenig beweiskräftig und inkonsistent. In einer aktuellen Studie wurde dieser Frage bei prämenopausalen Frauen nachgegangen. Die Langzeiteinnahme hormoneller Kontrazeptiva war assoziiert mit einem erhöhten Gliomrisiko, das mit der Anwendungsdauer anstieg. Ein besonders hohes Risiko zeigte sich unter langfristiger Verhütung mit einer Gestagen-Monotherapie. Doch die Studie hat Schwächen und widerspricht den Ergebnissen einer Metaanalyse, nach denen orale Kontrazeptiva vor einem Gliom schützen.

Gliome sind die häufigsten bösartigen Hirntumore in den nördlichen Ländern. Da die Inzidenz bei Frauen niedriger ist als bei Männern, liegt es nahe, dass weibliche Hormone möglicherweise einen protektiven Effekt haben. Damit rückte auch der Einfluss hormoneller Kontrazeptiva auf das Gliomrisiko in den Fokus. Epidemiologische Studien konnten bislang keinen oder einen nur schwachen inversen Zusammenhang zwischen der Anwendung der Kontrazeptiva und dem Gliomrisiko zeigen, allerdings ganz überwiegend bei postmenopausalen Frauen. Daten mit prämenopausalen Frauen gab es dagegen kaum. In einer dänischen Fall-Kontroll-Studie untersuchten Andersen et al. nun den Zusammenhang zwischen hormonellen Kontrazeptiva und dem Gliomrisiko bei prämenopausalen Frauen. Die Daten stammten aus verschiedenen dänischen Registern, allen voran dem dänischen Krebsregister, dem dänischen Bevölkerungsregister und den dänischen Verschreibungsdaten, die es ermöglichen, einen Zusammenhang zwischen einer Krebserkrankung und der Medikamentenanamnese eines Patienten herzustellen.

Mehr Gliome unter hormoneller Kontrazeption

In die Auswertung wurden Frauen zwischen 15 und 49 Jahren mit einem histologisch gesicherten, erstmals dia­gnostizierten Gliom zwischen 2000 und 2009 eingeschlossen, die bis dahin nicht an Krebs erkrankt waren. Jeder dieser Frauen wurden als Kontrolle acht Frauen im vergleichbaren Alter, vergleichbarer Zahl geborener Kinder und vergleichbarer Schuldauer zugeordnet. Innerhalb des Beobachtungszeitraums entwickelten 317 Frauen ein Gliom, denen 2126 Frauen als Kontrolle zugeordnet wurden. 59% der erkrankten Frauen und 50% der Kontrollen hatten jemals mit einem hormonellen Kontrazeptivum verhütet. Für Frauen, die jemals hormonell verhütet hatten, errechnete sich eine adjustierte Odds Ratio (OR) von 1,5 (95% Konfidenzintervall 1,2 bis 2,0). Bei Frauen, die zum Zeitpunkt der Diagnose oder in nahem zeitlichem Zusammenhang so verhütet hatten, stieg die OR auf 1,7 (95% KI 1,3 bis 2,4). Dagegen lag das Risiko für Frauen, die in der Vergangenheit hormonell verhütet hatten, lediglich bei einer OR von 1,2.

Je kürzer die Einnahmedauer, umso geringer das Risiko

Die Studie ging aber auch ins Detail und untersuchte die Assoziationen abhängig von der Dauer der Einnahme, der Art des hormonellen Kontrazeptivums sowie den Gliomtyp. Mit Blick auf die Einnahmedauer ergab sich: je kürzer die Dauer, umso geringer die OR. Wurde weniger als ein Jahr hormonell verhütet, lag sie bei 1,4, wurde fünf ­Jahre und länger hormonell verhütet, bei 1,9. Nutzten die Frauen immer ein Estrogen-Gestagen-Kombinationsprä­parat, errechnete sich ein niedrigeres Risiko (OR: 1,4) als bei ausschließlicher Kontrazeption mit einem Gestagen-­Monopräparat (2,8). Wurde sowohl mit einer Kombinations- als auch mit einer Monotherapie verhütet, ergab sich wiederum eine OR von 1,5. Histologische Daten zeigten vor allem ein erhöhtes Risiko für ein Glioblastom multiforme.

Metaanalyse sieht protektiven Effekt

Eine Metaanalyse (Qi Z et al. PLOS ONE 2013; 8(7), e68695) auf Basis publizierter Fall-Kontroll-Studien spürte dem Einfluss endogener und exogener Faktoren auf das Gliomrisiko nach. Eingeschlossen wurden Untersuchungen aus den Literaturbanken PubMed und EMBASE, die einen Zusammenhang zwischen hormonellen Kontrazeptiva, Hormonersatztherapie oder reproduktiven Faktoren und dem Gliomrisiko untersucht hatten. Schließlich konnten elf Studien ausgewertet werden, mit 4860 Patientinnen mit einem Gliom und 14.740 Kontrollen. Das Ergebnis: Frauen, die jemals Hormone eingenommen hatten, hatten ein niedrigeres Gliomrisiko mit einem relativen Risiko unter hormonellen Kontrazeptiva von 0,70, unter einer HRT von 0,68 verglichen mit Frauen, die nie Hormone eingenommen hatten. Gleichzeitig wurde gefunden, dass ein höheres Alter zum Zeitpunkt der Menarche das Gliomrisiko erhöht. Dagegen gab es keine Assoziation mit dem Menopausenstatus, der Parität, dem Alter bei Menopause oder dem Alter zum Zeitpunkt der Geburt des ersten Kindes.

Quelle

Qi Z et al. Exogenous and Endogenous Hormones in Relation to Glioma in Women: a meta-analysis of 11 case-control studies. PLOS one 2013;8(7)e68695

Übergewicht als Störvariable

Die Studie hat allerdings ihre Schwächen. Insbesondere mit Blick auf das erhöhte Risiko unter langfristiger Gestagen-Exposition räumen die Autoren der Studie ein, dass eine limitierte statistische Genauigkeit eine robuste Aussage gar nicht erlaubt. Als Stör­variable wird zudem das Übergewicht diskutiert, das in einer früheren Untersuchung mit einem erhöhten Gliom­risiko einhergeht. Gerade bei übergewichtigen Frauen werden wegen des erhöhten Thromboserisikos unter kombinierten oralen Kontrazeptiva häufig Gestagene verordnet. Den Autoren war es mangels verfügbarer Daten allerdings nicht möglich, den BMI bei der Berechnung der OR zu berücksichtigen. Auch reproduktive Faktoren wie das Alter zum Zeitpunkt der Menarche konnten nicht berücksichtigt werden.

BfArM schaut auf neue Risikosignale

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hält sich bei der Einschätzung der Studie noch zurück. Aktuell ließe sich noch nichts Abschließendes, sondern zunächst so viel sagen: „Derzeit sehen wir uns die Studie auf neue Risikosignale hin genau an. Mögliche neue Erkenntnisse fließen dann in die Diskussion auf europäischer Ebene ein, aus der sich bei Bedarf neue Maßnahmen ergeben können.“

Der Gynäkologe: „Die Studie ist schlicht Unsinn“

Foto: Privat

Prof. Dr. Joseph Neulen

Klare Töne kommen dagegen von Prof. Dr. Joseph Neulen, Klinikdirektor an der Klinik für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin an der Uniklinik der RWTH Aachen. Er verweist auf eine 2013 publizierte Metaanalyse aus elf klinischen Studien, die im Gegenteil auf eine Schutzwirkung hormoneller Kontrazeptiva vor Gliomen zeigt (siehe Kasten). „Die hier zur Diskussion stehende Publikation ist aus mehreren Gründen schlicht Unsinn: 1. Fall-Kontroll-Studien überschätzen grundsätzlich das zu testende Risiko, da man ja explizit auf die „Fälle“ wartet. Die Kontrollen sind dann unter Umständen doch nicht so passend und werden irgendwie dazugematched. Daher haben diese Studien einen niedrigen Evidenzlevel. 2. Die ­Signifikanz knapp über 1 in solchen Studien ist aus den genannten Gründen unzureichend. Und man muss 3. bedenken, dass die Inzidenz von Gliomen insgesamt bei 6 : 100.000 liegt.“

Der Neurologe: „Kaum Einfluss auf die Verschreibungspraxis“

Foto: Privat

Prof. Dr. Michael Weller

Prof. Dr. Michael Weller von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, Klinikdirektor der Klinik für Neurologie, Universitätsspital Zürich, betont, dass bis auf eine gewisse familiäre Häufung die Risikofaktoren für die Entwicklung von Gliomen umstritten sind. In der vorliegenden epidemiologischen Studie des Dänischen Krebsregisters wurden 317 Patientinnen im Alter von 15 bis 49 Jahren identifiziert, bei denen zwischen 2000 und 2009 ein Gliom diagnostiziert wurde. Sie wurden mit einer Gruppe von 2126 Kontrollpersonen verglichen. Der Gebrauch von Kontrazeptiva war mit einem 1,5-fach erhöhten Risiko für ein Gliom verbunden, bei mehr als fünfjähriger Einnahme betrug die Risikoerhöhung 1,9. Bei alleiniger, mehrjähriger Progestagen-Einnahme stieg das Risiko auf 4,1. Die Autoren diskutieren umfassend potenzielle Störfaktoren ihrer Analyse, kommen aber nachvollziehbar zu dem Schluss, dass der Zusammenhang valide ist. Die biologische Bedeutung der Beobachtung bleibe aber offen, so Weller: Untersuchungen zu hormoneller Beeinflussung des Wachstums und Verhaltens von Gliomzellen in vitro waren widersprüchlich. Die Effektgröße ist allerdings insgesamt gering, so dass diese Beobachtung kaum einen Einfluss auf die Verschreibungspraxis von Kontrazeptiva oder das Monitoring von Patientinnen haben wird, die Kontrazeptiva einnehmen. Interessant in diesem Zusammenhang ist allerdings eine Beobachtung aus Frankreich, die ein akzeleriertes Gliomwachstum während der Schwangerschaft berichtete. |

Quelle

Andersen L et al. Hormonal contraceptive use and risk of glioma among younger women. BJCP 2014; publ. online 26. Oktober 2014

Qi Z et al. Exogenous and Endogenous Hormones in Relation to Glioma in Women: a meta-analysis of 11 case-control studies. PLOS one 2013;8(7)e68695

Apothekerin Dr. Beate Fessler

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