Arzneimittel und Therapie

Sensible Substanzen

Was beim Umgang mit Proteinarzneimitteln beachtet werden muss

Proteinwirkstoffe wie Insuline, Hormone, Enzyme, monoklonale Antikörper und Impfstoffe sind heute aus der Prophylaxe und Therapie akuter wie chronischer Erkrankungen nicht mehr wegzudenken. Ihre Herstellung und Formulierung ist jedoch sehr aufwändig und kostenintensiv. Es besteht daher ein großes Interesse daran zu verhindern, dass durch ungünstige Transport- oder Lagerungsbedingungen, Fehler bei der gegebenenfalls notwendigen Rekonstitution oder der Applikation die Wirksamkeit leidet. Was gibt es vonseiten der Hersteller, der Apotheken und der Anwender zu beachten?

Anders als chemisch-synthetische oder natürlich vorkommende niedermolekulare Wirkstoffe besitzen Pro-teinwirkstoffe bis zu vier Strukturebenen. Proteine, die aus einer Polypetidkette aufgebaut sind, haben neben ihrer Primärstruktur auch eine Sekundär- und Tertiärstruktur. Besteht ein Protein aus mehreren Polypeptidketten, beschreibt die Quartärstruktur zusätzlich deren Anordnung. Für die therapeutische Wirksamkeit müssen alle vier Strukturen intakt sein. Die chemischen und physikalischen Veränderungen, die zu Instabilitäten bei Proteinarzneimitteln führen können, sind sehr vielfältig, erläuterte Prof. Dr. Wolfgang Frieß, München, im Rahmen eines Vortrages auf der Scheele-Tagung 2015. Die Primärstruktur kann hauptsächlich durch Oxidation, Hydrolyse, Deamidierung in den Seitenketten oder Isomerisierung, das heißt die Umwandlung von der D- in die L-Konfiguration, modifiziert werden. Veränderungen in der Sekundärstruktur wie die Entfaltung der α-Helices oder der β-Faltblätter stellen insbesondere dann ein Problem dar, wenn funktional wichtige Bereiche davon betroffen sind.

Die Tertiärstruktur eines Proteins basiert auf nicht-kovalenten Bindungen wie zum Beispiel Van-der-Waals-Kräften oder hydrophoben Wechselwirkungen. Wenn infolge äußerer Einflüsse hydrophobe Bereiche aus dem Molekül-Inneren nach außen gelangt sind, können sich Aggregate bilden. Bei Zusammenlagerung zu noch größeren Komplexen besteht dann die Gefahr, dass das Löslichkeitsprodukt des Proteins überschritten wird und es zur sichtbaren Ausfällung (Präzipitation) kommt.

Wechselwirkungen mit dem Primärpackmittel

Wurde ein Proteinarzneistoff erfolgreich hergestellt und in das Primärpackmittel (z. B. Fertigspritze, Ampulle oder Durchstechflasche) verbracht, ist damit die Gefahr der Destabilisierung und des Wirksamkeitsverlustes noch nicht gebannt. So können beispielsweise Adsorptionsphänomene auftreten, wenn Proteine mit Packmittel-Innenflächen oder auch einem fremden Partikel in der Formulierung in Wechselwirkung treten. Dies war beispielsweise beim Erythropoetin (EPO)-Präparat Eprex® der Fall, das 2001 aufgrund des erhöhten Auftretens von Erythroblastopenien zeitweise vom Markt genommen werden musste. Der Hersteller hatte zuvor den im Produkt enthaltenen Stabilisator durch Polysorbat 80 ersetzt. Dies führte zur Herauslösung von Weichmachern aus unbeschichteten Stopfen der Eprex®-Spritzen. Bei mehr als 250 Patienten kam es zu Immunreaktionen und Erythroblastopenien, auch Todesfälle traten auf.

Bei einem anderen EPO-Produkt hatten Wolfram-Verbindungen zur Denaturierung des Wirkstoffs und nach der Applikation bei Patienten zur Bildung neutralisierender Antikörper geführt. In diesem Fall waren bei der Herstellung der EPO-Spritzenkörper glühende Wolframnadeln verwendet worden. Bei deren Abbrennen bildete sich Wolframoxid, das in die Spritze gelangte. Dies führte zur Aggregatbildung sowie zur Denaturierung von EPO. Nachdem diese Zusammenhänge aufgeklärt wurden, entwickelten die Hersteller von Glasspritzen wolframfreie Produkte.

Wechselwirkungen zwischen Proteinarzneimittel und Primärpackmittel können auch dann auftreten, wenn Fertigspritzen silikonisiert wurden, um das Gleiten des Stopfens zu verbessern oder wenn Klebstoff zum Einsatz kommt, um die Injektionsnadel in der Spritze zu befestigen. Silikonöltröpfchen oder andere Substanzen können dann in die Formulierung gelangen und die Stabilität des Proteinarzneimittels beeinträchtigen.

Eine Alternative zu Fertigspritzen und Infusionsfläschchen aus Glas sind solche aus durchsichtigem, farblosem Kunststoff wie beispielsweise zyklischen Olefin-Polymeren oder -Copolymeren, bei denen die genannten Probleme nicht in der Weise auftreten. Sie sind beispielsweise das Primärpackmittel der Präparate Eligard® und Zometa®. Auch silikonfreie Spritzen kommen zum Einsatz (z. B. silikonfreie Einmalspritze zur Rekonstitution in Orencia® 250 mg Pulver).

Nachweismethoden erforderlich

Wie an diesen Beispielen gezeigt, können Aggregate und Partikel nicht nur die Wirksamkeit des Proteins selbst beeinträchtigen, sondern auch Immun­antworten auslösen, weshalb sie sehr kritisch bewertet werden müssen. Die Zulassungsbehörden erwarten daher von den Herstellern den Einsatz von Methoden, mit denen sich solche Molekül-Veränderungen charakterisieren und die Immunogenität der Proteinarzneimittel überprüfen lassen, erläuterte Frieß. Es wird nicht nur eine Prüfung auf sichtbare, sondern auch auf kaum sichtbare Partikel (subvisible particles) gefordert. Für derartige Untersuchungen kommt eine Vielzahl verschiedener analytischer Methoden zum Einsatz. Dazu zählen LC-MS, Kapillarelektrophorese, Größenausschluss-Chromatografie, hydrophobe Wechselwirkungs-Chromatografie, analytische Ultrazentrifugation, Resonanz-Massenmessung (resonant mass measurement), Elektronenmikroskopie oder die Fluss-Feldfluss-Fraktionierung.

Rekonstitutions- und Anwendungsfehler vermeiden

Wichtige Hinweise zum Umgang mit Proteinarzneimitteln in der Apotheke und im häuslichen Bereich liefern die Fach- und Gebrauchsinformationen. Besondere Sorgfalt muss bei der Rekonstitution von Pulver zur Herstellung einer Injektions- oder Infusionslösung aufgewendet werden. Hinweise wie „Nicht schütteln“ oder „Vermeiden Sie längeres oder heftiges Schwenken“ sind unbedingt zu beachten. Leichtere Erschütterungen, wie sie beispielsweise beim Transport im Auto verursacht werden, sind jedoch in der Regel unproblematisch.

Als optimale Lagerungstemperatur wird häufig ein Bereich zwischen 2 und 8°C angegeben. Hierfür kann Patienten zum Transport nach Hause oder zur Arztpraxis ein Kühlpäckchen mitgegeben werden. Für die Lagerung zu Hause empfiehlt sich der Hinweis, das Produkt auf keinen Fall im Gefrierfach und auch nicht im hinteren Teil des Kühlschranks aufzubewahren, da dort die Gefahr des Anfrierens besteht. Wenn ein Proteinarzneimittel unbeabsichtigt ganz oder teilweise gefriert, entstehen neue Grenzflächen, die seine Stabilität beeinträchtigen können. Außerdem kann durch die Kristallisation die Konzentration der Wirkstofflösung ansteigen, was die Wahrscheinlichkeit von Wechselwirkungen und damit die Entstehung von Aggregaten erhöht. Bis zur Applikation wird zum Lichtschutz und zum Vermeiden von Verwechslungen eine Aufbewahrung im Originalkarton empfohlen. |

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

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