Feuilleton

Arznei- und Heilkunde im Museum

Eine Tour durch Deutschlands Museen für Medizin und Pharmazie

cae | Sie sind beruflich öfters unterwegs und haben zwischendurch mal eine Stunde Freizeit? Oder Sie sind schon im Ruhestand und reisen gern? Dann sollten Sie die Ge­legenheiten nutzen, hin und wieder eins der etwa 170 Museen zu besichtigen, die eine Ausstellung zum Thema Medizin- oder Pharmaziegeschichte ausstellen. Der dazu passende Museumsführer ist soeben auf den Markt gekommen.

Alte Apotheke wird Museum

Jeder, der sich ein bisschen für Literatur oder Kulturgeschichte interessiert, war schon einmal in Weimar. Wer aber weiß schon, dass sich ganz in der Nähe, in Blankenhain, ein Apothekenmuseum befindet? Erst im Jahr 2010 im ehemaligen Gebäude der Stadt-Apotheke eröffnet, ist es auf die Sammlung von Fertigarzneimitteln der DDR spezialisiert. Seltenheitswert hat auch eine Fotografie der Apotheke von etwa 1940: Ein Leuchtschild über dem Rundbogenportal zeigte an, dass die Apotheke zugleich Drogeriehandlung war, etwas tiefer hinter der Glasscheibe hing das Apotheken-A, das mit der nationalsozialistischen Man-Ruhe (statt der Schlange mit Kelch) verziert war, und neben dem Eingang warb ein Emailschild für Togal (s. Foto).

Fotos: Apothekenmuseum Blankenhain

Bis 1993 war hier die Stadt-Apotheke von Blankenhain. Im Museum findet sich auch diese Verpackung für Abführpillen mit dem dazugehörigen kurzen Werbespruch, der den langen Beipackzettel von heute ersetzte.

Blankenhain ist eins von vielen Beispielen, wie durch private Initiative altes Apothekeninventar nicht nur erhalten, sondern auch aufbereitet wird, um den Besuchern die Pharmazie von gestern oder vorgestern verständlich zu machen. Dass man es durch Sammeln und Ausstellen zu hoher Professionalität bringen kann, zeigt z. B. Ausbüttels Apotheken-Museum in der Adler-Apotheke Dortmund, deren Mittelpunkt die Offizin dieser Apotheke aus dem Jahr 1898 bildet. 7000 Exponate auf 130 m2 Fläche zeugen von der ehemaligen Apothekerkunst mit ihren typischen Geräten zur Verarbeitung der Arzneidrogen und zur Herstellung der verschiedenen Arzneiformen. Pillenbretter, die in Apotheken seit Jahrzehnten nicht mehr gebraucht werden – hier sieht man sie noch und bekommt eine Vorstellung, wie auf ihnen die Pillen „gedreht“ wurden.

Foto: Ausbüttels Apotheken-Museum / Ulf Preising

Ältere Besucher hören in Gedanken, wie die Kasse klingelt.

Kurier‘ die Leut‘ auf meine Art …

Zwischen der Pharmazie und Medizin stand früher die Wundarzneikunst. Wie Apotheker erhielten auch Wundärzte eine handwerkliche Ausbildung, und sie verstanden sich genauso gut auf die Herstellung der von ihnen applizierten Arzneien – von der Salbe bis zum Klistier. Der wohl populärste Wundarzt Doktor Eisenbarth ließ Arzneimittel sogar manufakturmäßig herstellen und vertreiben. In seinem Geburtsort Oberviechtach erinnert ein Museum an diesen geschäftstüchtigen, aber fachlich keineswegs unbedarften Chirurgus, der seine Patienten gern vor großem Publikum behandelte und dabei nicht nur selbst eine Schau abzog, sondern auch noch Gaukler zur allgemeinen Unterhaltung auftreten ließ. 

Foto: Doktor-Eisenbarth- und Stadtmuseum Oberviechtach

Er war besser als sein Ruf: der Doktor Eisenbarth.

Ästhetik der Medizin

Älteste naturwissenschaftliche Grundlage der Medizin ist die Anatomie – Physiologie und Pharmakologie kamen erst später hinzu. Sektionen, die schon im 16. Jahrhundert im „anatomischen Theater“ vollführt wurden, waren der Höhepunkt im Medizinstudium. Natur­echte Wachsmodelle ergänzten als Anschauungsobjekte die vergänglichen Leichname, aber erst vor zwei Jahrzehnten vollzog Gunther von Hagens durch seine Plastinate die Synthese von Original und Modell. Nachdem seine Wanderausstellung „Körperwelten“ Furore gemacht hatte, richtete er in Berlin sein „Menschen Museum“ ein. Weniger bekannt ist das Plastinarium in Guben an der Oder, ein Museum, das die Geschichte der Anatomie und der Konservierungstechniken von Leichnamen seit den Anfängen bis zur Gegenwart zeigt – für Leute, die dabei keinen Ekel empfinden.

Fotos: Plastinarium Guben

Obwohl sich der Geist nicht konservieren lässt, spürt man die geistige Anspannung des Schachspielers. Plastinierte Tote gewähren den Lebenden einen Blick unter die Haut.

Medizintechnik

Ohne eine Sektion, ohne Verletzung der Haut in den Körper hineinzuschauen – diese Kunst brachte als erster Wilhelm Conrad Röntgen vor 120 Jahren zustande. In seinem Geburtsort Remscheid-Lennep ist dem Physiker das Deutsche Röntgen-Museum gewidmet, das auch die vielfältigen Anwendungen des Röntgens dokumentiert, nicht zuletzt in der medizinischen ­Diagnostik.

Foto: Deutsches Röntgen-Museum

Ohne systematisches Screening mithilfe von Röntgenstrahlen hätte man die Volksseuche Tuberkulose nicht so schnell eindämmen können.

Therapien von gestern

Die medizinische Therapie lässt sich im Museum nicht so gut darstellen wie die Diagnostik oder die alte Apothekerkunst. Eine Ausnahme bildet die Chirurgie, deren handwerkliche Wurzeln schon im Zusammenhang mit Doktor Eisenbarth angesprochen wurden, mit ihren Randgebieten. Eine ursprünglich chirurgische Maßnahme hat die akademische Medizin schon übernommen, als die beiden Professionen noch streng voneinander getrennt waren: den Aderlass. Die Geburtshilfe, einst die Domäne von Badern und weisen Frauen, entwickelte sich erst im 19. Jahrhundert zu einem Fach der Medizin. Von den internistischen Therapien die anschaulichste ist vermutlich die Irrigation, das Setzen von Klistieren, das im 18. Jahrhundert eine Hochkonjunktur hatte. Eine köstliche Darstellung ist im Deutschen Medizinhistorischen Museum in Ingolstadt zu sehen.

Foto: Deutsches Medizinhistorisches Museum

Klistierszene im Deutschen Medizinhistorischen Museum, Kopie nach einem ­Gemälde von 1778. Die Darstellung ist zugleich ein Dreigenerationenbild und zeigt den Anfang, die Blüte und den Verfall des menschlichen Lebens.

Von den medizinischen Fachmuseen haben auffällig viele die Psychiatrie zum Thema. Wegen des jahrelangen Aufenthalts der Patienten in der Klinik entstanden oft enge Beziehungen, zu den behandelnden Ärzten, die die Letzteren bewogen haben mögen, Erinnerungsstücke ihrer Patienten aufzubewahren. Manche Museen erinnern an die Euthanasie, der viele Patienten in der NS-Zeit zu Opfer fielen. Bevor in den 1950er Jahren die ersten Neuroleptika entwickelt wurden, machte die Psychiatrie nur wenig Fortschritte und verirrte sich immer wieder in therapeutischen Sackgassen. Ein physikalisches Verfahren, das auch heute noch manchmal angewandt wird, ist die Elektrokrampftherapie.

Foto: Psychiatriemuseum des Bezirksklinikums Regensburg

Mit Stromimpulsen lassen sich epileptische Anfälle auslösen, die bei Patienten mit schweren Depressionen heilend wirken. Dieses Kabel befindet sich im Psychiatriemuseum des Bezirksklinikums Regensburg.

Viele Tipps

Ergänzend zu den Museumsporträts geben die Autoren immer noch einen „Tipp“, z. B. was es in der Nähe noch Interessantes zu besichtigen gibt oder auf welcher Website sich weiterführende Informationen zu bestimmten Themen des jeweiligen Museums finden. Hilfreich kann auch ein Tipp sein, was nicht mehr oder nur noch ausnahmsweise zu besichtigen ist. Das betrifft in Würzburg die berühmte Rokoko-Apotheke im Juliusspital, die für das Publikum geschlossen ist und nur noch sonntags für die Teilnehmer einer Führung durch das Weingut Juliusspital geöffnet wird. 







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Eckart Roloff, Karin Henke-Wendt

Besuchen Sie Ihren Arzt oder Apotheker; Eine Tour durch Deutschlands Museen für Medizin und Pharmazie

S. Hirzel Verlag, Stuttgart 2015

Band 1: Norddeutschland, 266 S., zahlr. Abb. 29,90 €

(Bundesländer: Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein)

ISBN 978-3-7776-2510-2


Band 2: Süddeutschland, 258 S., zahlr. Abb. 29,90 €

(Bundesländer: Baden-­Württemberg, Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland, ­Thüringen)

ISBN 978-3-7776-2511-9

Set mit Band 1 und 2: 49 €

ISBN 978-3-7776-2509-6

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