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Medizin

Schon wieder was vergessen!

Sind Gedächtnisstörungen alterstypisch oder Alzheimer?

Gedächtnisstörungen können verschiedene Facetten aufweisen. Die Spannweite reicht von altersbedingten Einbußen über meist neurologische Erkrankungen und Traumen bis hin zur manifesten Demenz. Auch internistische Risikofaktoren können eine Rolle spielen. Vor allem im Anfangsstadium sind die Übergänge zwischen physiologisch und pathologisch fließend. Später können auch andere kognitive Funktionen verloren gehen. Die Therapie ist schwierig und sollte interdisziplinär erfolgen. | Von Clemens Bilharz

Bereits unsere normale Konzentrations- und Gedächtnisleistung kann – je nach Lebensumständen und persönlicher Verfassung – größeren Schwankungen unterliegen. Einflussfaktoren sind etwa Zeitdruck, erhöhte Stresspegel, Schlafmangel, seelische Belastungen, eine laute und hektische Umgebung, aber auch positive Ablenkungen wie „schrecklich verliebt sein“. In der Regel handelt es sich hierbei um passagere und „situative“ Einschränkungen kognitiver Funktionen.

Dabei darf das Vergessen als solches keinesfalls nur als Defizit gewertet werden. Es ist essenziell, dass unser Gehirn aus einer Flut von Daten und Signalen wichtige Inhalte herausfiltert und unwichtige aussortiert. Was beispielsweise nur kurzfristig von Bedeutung ist, etwa Einkaufswünsche, wird im Kurzzeitgedächtnis gespeichert (s. Kasten „Was wird wo gespeichert?“).

Was wird wo gespeichert?

Der Begriff Gedächtnis umfasst generell die Hirnleistungen Aufnahme (Lernen), Speichern und Abruf (Erinnern) von Information. Nach dem Kriterium der Speicherzeit lassen sich verschiedene „Systeme“ unterscheiden:

  • Die Funktion des Kurzzeitgedächtnisses ist das Behalten von verbalen (z. B. einer Telefonnummer) oder visuell-räumlichen (z. B. einer Wegbeschreibung) Informationen in einem Zeitraum von Sekunden bis wenige Minuten – eine kontinuierliche Aufmerksamkeitspanne vorausgesetzt. Seine Kapazität ist begrenzt auf fünf bis neun gleichzeitig behaltene Informationseinheiten.
  • Das Arbeitsgedächtnis kann man als eine Art „Zwischenspeicher“ verstehen, mit dessen Hilfe behaltene Informationen organisiert und manipuliert werden. Eine wichtige Kontrollinstanz hierbei ist die sogenannte zentrale Exekutive, die Informationen nach ihrer Priorität für einen Handlungsablauf filtert und gegebenenfalls auch einen Transfer in das Langzeitgedächtnis vorbereitet.
  • Das Langzeitgedächtnis umfasst alle Informationen, die langfristig gespeichert und bei Bedarf abrufbar sind, um weiterverarbeitet zu werden. Seine Kapazität ist theoretisch unbegrenzt.

Die Modalitäten des Langzeitgedächtnisses lassen sich wiederum inhaltlich unterteilen, wobei sich nur Störungen des erstgenannten durch klinische Tests untersuchen lassen:

  • Das deklarative (oder explizite) Gedächtnis beinhaltet konkrete und bewusst verbalisierbare Informationen und lässt sich abermals unterteilen in ein semantisches (Faktenwissen) und episodisches (Lebenserinnerungen) Gedächtnis.
  • Dagegen sind im nondeklarativen (oder impliziten) Gedächtnis die Informationen unbewusst verankert. Hierzu gehören konditioniertes Lernen (z. B. das Meiden einer heißen Herdplatte) und motorische Abläufe (z. B. Fahrradfahren).

Neuroanatomisch sind die verschiedenen Gedächtnissysteme über mehrere Regionen „verteilt“. Beispielsweise sind für das Erlernen prozeduraler Fähigkeiten vor allem das Kleinhirn und die Basalganglien von Bedeutung, während beim deklarativen Gedächtnis der gesamte Neokortex beteiligt ist. Eine bedeutende Rolle sowohl bei der Bildung des Langzeitgedächtnisses als auch beim Abrufen seiner Inhalte spielen der Hippocampus und seine angrenzenden Gebiete.

Kognitiver Abbau bereits mit 45 Jahren?

Der allgemeine Begriff der Gedächtnisstörung gilt laut der derzeit gültigen deutschen Leitlinie als Oberbegriff für alle Einbußen des Lernens und Behaltens sowie des Abrufens eben dieser gelernten Informationen. Diese Definition sagt zunächst weder etwas über mögliche Ursachen aus noch darüber, ob die Störung isoliert oder zusammen mit anderen kognitiven Störungen auftritt. Vor allem lässt sich klinisch oft nicht eindeutig unterscheiden, ob eine Gedächtnisstörung physiologischen kognitiven Veränderungen des Alters geschuldet oder durch einen pathologischen Prozess verursacht ist. Bisher ging man davon aus, dass die „Altersvergesslichkeit“ erst um das 60. Lebensjahr einsetzt. Neuere Studien­daten sprechen dafür, dass die kognitive Leistungsfähigkeit bereits ab einem Alter von etwa 45 Jahren zurückgeht [11].

Kognitive Reserve wichtig für Verlauf

Defizite, die über altersbedingte Leistungsverluste hinausgehen, aber nicht den Grad einer Demenz erreichen, werden oft unter dem Begriff der leichten kognitiven Beeinträchtigung zusammengefasst. Die Prävalenz wird auf etwa 17% in der Bevölkerung über 65 Jahre geschätzt. Verlaufsstudien zeigen, dass etwa 10 bis 20% der Betroffenen nach einem Jahr an einer Alzheimer-Demenz erkranken. In einigen Fällen besteht die kognitive Störung als solche weiter oder bildet sich sogar wieder zurück.

Hierbei beeinflussen bestimmte modulierende Faktoren den individuellen Zeitpunkt, an dem sich die Demenz klinisch manifestiert. Neben somatischen Gegebenheiten sind das vor allem das persönliche Bildungs- oder allgemeiner das bisherige kognitive Aktivitätsniveau. Letzteres kann als eine Art kognitiver Reserve verstanden werden, mit deren Hilfe der Betroffene erste zerebrale Defizite über einen gewissen Zeitraum ausgleichen kann.

Schleichender Gedächtnisverlust

Zeigt sich die Beeinträchtigung von Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Denkvermögen in Verbindung mit somatischen Erkrankungen und Risikofaktoren, spricht man auch von leichter kognitiver Störung statt Beeinträchtigung. Im klinischen Sprachgebrauch dürften beide Begriffe jedoch ätiologisch und prognostisch oft uneinheitlich angewandt werden.

Darüber hinaus wurden in den letzten Jahren verschiedene Konzepte und Klassifikationssysteme entwickelt, so zum Beispiel der altersassoziierte kognitive Abbau (age-associated cognitive decline, AACD). Wichtige Kriterien sind hierbei

  • ein schleichender Verlust kognitiver Funktionen, der sowohl subjektiv als auch fremdanamnestisch geschildert wird,
  • mindestens ein Defizit in psychometrischen Tests zu Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Konzentration, Sprache und räumlichem Vorstellungsvermögen sowie
  • eine höhere Prävalenz zumindest leichtgradiger depressiver Symptome im Vergleich zu Kontrollpersonen.

Hirnmorphologisch zeigt sich hier eine erste Volumenabnahme der Area entorhinalis einschließlich des Gyrus parahippocampalis im Temporallappen. Dieser Bereich ist Teil des limbischen Systems und spielt eine wichtige Rolle nicht nur bei der Gedächtnisbildung, sondern wahrscheinlich auch bei der räumlichen Selbstverortung.

Die leichte Störung als Demenz-Vorstufe

Verbreitet ist auch das Konzept der schon genannten leichten kognitiven Störung (mild cognitive impairment, MCI). Hauptsächlich zunächst auf Defizite der Gedächtnisleistung bezogen, werden seit einer Revision im Jahr 2004 auch andere kognitive Störungen berücksichtigt. Auch hier zeigt sich bei den Funktionen Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Denkvermögen ein Leistungsniveau, das unterhalb der einer vergleichbaren Alters- und Bildungsstufe liegt. Allerdings sind die Betroffenen generell noch in der Lage, ihre täglichen Alltagsanforderungen zu bewältigen, auch wenn komplexere Vorgänge durchaus mit minimalen Handlungsdefiziten einhergehen können. Zwar mündet nicht jede leichte kognitive Störung in eine Alzheimer-Demenz, dennoch wird die Störung als Vorstufe gewertet.

Nach Ansicht zahlreicher Autoren existieren mehrere somatische Erkrankungen und Risikofaktoren, die in unterschiedlichem Ausmaß mit dem Auftreten eines „mild cognitive impairment“ und später auch einer Demenz assoziiert sind (siehe Tabelle 1).


Tab. 1: Wichtige Risikofaktoren einer leichten kognitiven Störung
somatischer Faktor
Mechanismus
Relevanz
Therapieempfehlung
arterielle Hypertonie
vaskulär bedingte kognitive Störungen durch Arteriosklerose, Minderperfusion, Hirninfarkte
wahrscheinlich
Blutdrucksenkung
Diabetes mellitus
Erkrankungsdauer ohne antidiabetische Therapie, aber auch hohe Zahl hypoglykämischer Episoden
sicher
möglichst normoglykämische Blutzuckereinstellung
Hyperlipidämie
Einfluss vor allem im mittleren Lebensalter, bei Personen > 65 Jahre keine Assoziation zwischen MCI und Hypercholesterinämie
möglich
Statin-Therapie (in der Mehrheit der Studien Nachweis eines protektiven Effektes)
Niereninsuffizienz
vaskulär (renaler Hochdruck), eventuell auch inflammatorisch oder durch Anämie
sicher
Therapie der Grunderkrankung, z. B. Diabetes; Diuretika
Schilddrüsen-Dysfunktion
Risikofaktor für Atherosklerose und kardiovaskuläre Erkrankungen;bei M. Alzheimer oft Nachweis von Antikörpern gegen Thyreoperoxidase
fraglich
keine generelle Hormonsubstitution (keine eindeutigen Studienresultate)
Vitamin-B12-Mangel
keine Verzögerung der Hirnatrophie durch Senkung des Homocystein-Spiegels
fraglich
keine generelle Substitution (keine eindeutigen Studienresultate)
Alkoholkonsum
eventuell gefäßprotektiv unter anderem durch HDL-Erhöhung und antiinflammatorische Effekte (Rotwein)
wahrscheinlich
Toleranz bei geringem bis moderatem Konsum (WHO 10 bis 30 g/Tag)
körperliche Aktivität
Reduktion kardiovaskulärer Risiken, verbesserte zerebrale Perfusion, Induktion kortikaler Gefäßneubildung
wahrscheinlich
vor allem Ausdauersport („Cardio“), soweit möglich auch im Alter
mediterrane Kost
protektiver Effekt durch antioxidative und antiinflammatorische Eigenschaften
wahrscheinlich
Ernährung mit hohem Anteil an Fisch, Gemüse, Obst

Nicht nur das Gedächtnis gestört

Auch wenn Gedächtnisstörungen das Kernsymptom fast aller demenziellen Erkrankungen darstellen, umfasst die Definition der Demenz auch die Störung anderer höherer kortikalen Funktionen wie Denken, Orientierung, Auffassungsgabe, Lernfähigkeit, Urteilsvermögen, Rechnen und Sprache. Ätiologisch wird die Demenz als Syndrom infolge einer meist chronischen oder progredienten, meist neurodegenerativen Erkrankung verstanden.

Für die definitive Diagnose müssen die Symptome über mindestens sechs Monate bestanden haben. Das Bewusstsein ist dabei nicht getrübt, und die Sinnesorgane funktionieren im für die jeweilige Person und ihre Altersstufe üblichen Rahmen. Gewöhnlich begleiten Veränderungen der emotionalen Kontrolle, des Sozialverhaltens oder der Motivation die kognitiven Beeinträchtigungen, gelegentlich können diese Symptome aber auch den kognitiven Defiziten vorausgehen. Die Alzheimer-Demenz ist mit ca. 70% die häufigste Form, abzugrenzen sind die vaskuläre Demenz, die frontotemporale Demenz (Pick-Krankheit) und die Lewy-Körperchen-­Demenz (s. Kasten „Hauptkriterien der von der Alzheimer-Krankheit abzugrenzenden Demenzformen“).

Hauptkriterien der von der Alzheimer-Krankheit abzugrenzenden Demenzformen

Vaskuläre Demenz

  • Folge einer (bei kleinen ischämischen Ereignissen auch „kumulativen“) Infarzierung des Gehirns im Rahmen einer vaskulären Erkrankung, z. B. einer zerebrovaskulären Hypertonie
  • als Kernmerkmal Störung des Gedächtnisses und von mindestens zwei der folgenden Fähigkeiten: Orientierung, Aufmerksamkeit, Sprache, visuell-räumliche Fähigkeiten, Urteilsvermögen, Handlungsfähigkeit, Abstraktionsfähigkeit, motorische Kontrolle
  • obligat auch eine gestörte Bewältigung von Alltagsanforderungen
  • stufenförmige Verläufe mit langen Phasen ohne Progredienz und Phasen leichter Besserung möglich
  • Ausschlusskriterien: Psychose, Bewusstseinsstörung, Delirium, schwere Aphasie, Zeichen einer systemischen, nicht-vaskulären Gehirnerkrankung

Frontotemporale Demenz

  • seltener neurodegenerativer Prozess mit unspezifischem Nervenzellverlust mit reaktiver Gliavermehrung (vor allem in Stirn- und Schläfenlappen)
  • Erkrankungsbeginn deutlich früher als bei anderen demenziellen Syndromen, oft schon zwischen 50 und 60 Jahren
  • als Leitsymptom zum einen Veränderungen der Persönlichkeit (z. B. Selbst-Vernachlässigung) und des Sozialverhaltens (z. B. Rückzug von anderen), zum anderen Rückgang sprachlicher Fähigkeiten (z. B. Wortfindungsstörungen)
  • je nach klinischer Ausprägung Unterscheidung einer verhaltensbetonten und einer sprachbetonten Variante
  • im weiteren Verlauf Störung des Gedächtnisses, jedoch nicht so ausgeprägt wie bei der Alzheimer-Demenz
  • im fortgeschrittenen Stadium zusätzlich Apathie und Antriebsstörung, auch parkinsonähnliche Symptome (Gangstörungen, Inkontinenz)

Lewy-Körperchen-Demenz

  • zytoplasmatische Einschlusskörperchen mit anomalen Protein­aggregaten in Neuronen von Großhirnrinde und Hirnstamm, hierdurch Verminderung der Dopamin-Synthese
  • als eigenständige Erkrankung oder im Rahmen des Morbus Parkinson auftretend (dort Lewy-Körperchen hauptsächlich in der Substantia nigra)
  • als Kernmerkmal Fluktuation kognitiver Funktionen (insbesondere der Aufmerksamkeit, Wachheit und Konzentration)
  • Gedächtnisfunktion v. a. bei Erkrankungsbeginn relativ gut erhalten
  • typisch auch Parkinson-Symptome, wiederkehrende visuelle Halluzinationen sowie Verhaltensstörungen im REM-Schlaf (Schreien, Sprechen, motorisches Ausagieren von Träumen)
  • auffällig eine ausgeprägte Empfindlichkeit gegenüber Neuroleptika

Auch bei Morbus Parkinson kann sich im Verlauf ein demenzielles Syndrom ausbilden. Hierbei sind nicht nur kognitive Funktionen wie Gedächtnis, Aufmerksamkeit oder visuell-räumliche Fähigkeiten (jedoch nicht die Sprache) beeinträchtigt. Möglich sind auch Persönlichkeitsveränderungen, depressive Symptome, Halluzinationen und paranoide Wahnvorstellungen.

Plaques aus Proteinen

Bei der Alzheimer-Demenz handelt es sich um eine primär degenerative zerebrale Erkrankung unbekannter Ätiologie. Bereits vor der klinischen Manifestation bilden sich im Gehirn

  • sogenannte senile Plaques, die extrazelluläre Protein­ablagerungen aus einem (zytotoxischen) Beta-Amyloid-Polypeptid darstellen und
  • intrazelluläre Neurofibrillen-Bündel, die aus Aggregaten eines (hier anomal hyperphosphorylierten) Vorläuferproteins bestehen, des Tau-Proteins.

Im Krankheitsverlauf nimmt die Hirnmasse durch das Absterben von Neuronen vermehrt ab, die progrediente Atrophie betrifft im Wesentlichen die Großhirnrinde. Im Vergleich zur leichten kognitiven Störung sind jetzt der gesamte Hippocampus und die Amygdala (Kerngebiet im Temporallappen) betroffen. Nachfolgend ist daher unter anderem auch die Synthese des Neurotransmitters Acetylcholin vermindert.

In Deutschland leiden aktuell etwa 1,5 Millionen Menschen an einer Demenzerkrankung, davon sind rund zwei Drittel von ihnen von Alzheimer betroffen. Jahr für Jahr treten mehr als 300.000 Neuerkrankungen auf. Infolge der demografischen Veränderungen kommt es zu weitaus mehr Neuerkrankungen als zu Sterbefällen, bis zum Jahr 2050 wird ein Anstieg auf etwa 2,6 Millionen Demenzkranke prognostiziert. Insgesamt erkranken weitaus mehr Frauen (ca. 70%) an einer Demenz als Männer (ca. 30%). Nachdem die Diagnose Alzheimer gestellt worden ist, beträgt die verbleibende Lebenserwartung im Schnitt etwa sieben bis zehn Jahre.

Hilflosigkeit im Spätstadium

Bei den meisten Betroffenen (oder ihren Angehörigen) ­dürften Störungen des Kurzzeitgedächtnisses zu ersten ­Verdachtsmomenten führen. Diagnostische Kriterien – zunächst des Früh- und Mittelstadiums – sind

  • ein Erkrankungsbeginn meist nach dem 65. Lebensjahr,
  • progrediente Störungen des Gedächtnisses und anderer kognitiver Funktionen (Defizite in mindestens zwei kognitiven Bereichen), die im weiteren Verlauf zu einer Beeinträchtigung des Alltagsablaufs führen,
  • zunehmende Verschlechterung anderer spezifischer kognitiver Funktionen, wie z. B. der Sprache (Aphasie), der Motorik (Apraxie) oder der Wahrnehmung (Agnosie),
  • keine Bewusstseinsstörungen und keine Einschränkungen im Bereich der Sinnesorgane sowie
  • erste Unsicherheiten der Feinmotorik (etwa beim Schreiben oder Ankleiden), die bei komplexeren Handlungen eine Unterstützung erfordern.

Im fortgeschrittenen Stadium verlernen die Patienten altbekannte Fertigkeiten, erkennen nahestehende Personen und alltägliche Gegenstände nicht mehr wieder und benötigen auch Hilfe selbst bei einfachen Tätigkeiten. Weitere Krite­rien sind

  • das Auftreten von Verhaltensänderungen (scheinbar unbegründete Aggressionen, Abnahme von Einsicht und Selbstreflexion),
  • Begleitsymptome wie Depression, Schlaflosigkeit, Halluzinationen und Wahnvorstellungen,
  • neurologische Auffälligkeiten wie erhöhter Muskeltonus, Myoklonien oder Gangstörungen, auch Harn- und Stuhlinkontinenz,
  • fortschreitender Abbau der Skelettmuskulatur (typisch: Trippelschritte) sowie
  • weiter abnehmende Mobilität bis hin zur Bettlägerigkeit.

Zwei Formen der Amnesie

Neben den primär demenziellen Prozessen können auch andere akute sowie progrediente neurologische Erkrankungen wie die multiple Sklerose mit einer Störung der Gedächtnisfunktion oder Amnesie einhergehen. Auch der Begriff der Amnesie bedeutet eine isolierte, schwere Störung des Lernens und Behaltens, während andere kognitive Funktionen, etwa die Sprache, weitgehend erhalten sind. Darüber hinaus lässt er sich im Einzelfall auf den Zeitpunkt eines (Akut-)Geschehens beziehen, sodass zwei Formen von Amnesie unterschieden werden können:

  • Bei der anterograden Amnesie ist der Betroffene unfähig, nach einer Hirnschädigung deklarative Informationen zu speichern und wiederzugeben.
  • Bei der retrograden Amnesie können Inhalte, die vor der Hirnschädigung in das Gedächtnis gelangten, nicht mehr abgerufen werden.

In der Regel tritt die anterograde Amnesie zusammen mit der retrograden auf, umgekehrt ist es nicht zwingend der Fall. Versucht der Betroffene, seine Gedächtnislücken spontan durch falsche, nicht plausible und unzusammenhängende „phantastische“ Angaben auszufüllen (die er selbst für „richtig“ hält), spricht man von Konfabulationen.

Traumatische und vaskuläre Hirnschädigung

Besonders häufig sind Gedächtnisstörungen als Folge eines Schädel-Hirn-Traumas (Gehirnerschütterung, Kontusion, umschriebene Hirnverletzung, epidurale oder subdurale Blutung). Zwar kann man davon ausgehen, dass in den meisten Fällen gedächtnisrelevante Areale geschädigt sind, dennoch lassen sich posttraumatisch trotz kognitiver Defizite radiologisch nicht immer strukturelle Schädigungen nachweisen. Bei leichteren Traumen, etwa einer Gehirnerschütterung, ist die Amnesie in der Regel vorübergehend (transiente Amnesie).

Auch akute zerebrovaskuläre Erkrankungen sind häufige Ursachen schwerer und anhaltender Gedächtnisstörungen (stabile organische Amnesie), auch wenn in der Regel fokal-neurologische Defizite im Vordergrund stehen. Ereignisse sind beispielsweise ischämische Infarkte (Schlaganfall) oder eine Subarachnoidalblutung aus einer Gefäßmissbildung. Häufige Läsionsorte sind das hippokampale System (z. B. bei Infarkt der A. cerebri posterior), der Thalamus und Strukturen des basalen Stirnhirns. Die meisten Patienten zeigen hier eine ausgeprägte anterograde Amnesie. Dagegen weist ihre retrograde Amnesie häufig einen zeitlichen Gradienten auf und betrifft vor allem die Gedächtnisinhalte, die kurz vor dem hirnschädigenden Ereignis erworben wurden, während länger zurückliegende Ereignisse meist unbeeinträchtigt abgerufen werden können.

Sonderfall transiente globale Amnesie

Eine besondere Form einer akuten zerebrovaskulären Erkrankung ist die transiente globale Amnesie (TGA). Leitsymptom ist eine akut einsetzende Blockade aller Gedächtnisinhalte für einen Zeitraum von einer bis maximal 24 Stunden (im Schnitt sechs bis acht Stunden). Während dieser Attacke entspricht die Störung sowohl einer retrograden als auch einer anterograden Amnesie, so beträgt die Behaltensspanne für neue Informationen maximal 180 Sekunden. Dabei können die Patienten zeitlich und örtlich desorientiert sein, wobei die Orientierung zur Person allerdings in der Regel erhalten bleibt.

Wahrscheinlich ist die transiente globale Amnesie multifaktoriell bedingt. Mehrere Studien stützen die Vermutung, dass ein Valsalva-Manöver, bei dem man kräftig ausatmet, während man sich Nase und Mund zuhält, mit nachfolgender intrakranieller venöser Hypertension als Auslöser wirkt (in absteigender Häufigkeit: ausgeprägte physische Aktivität, Geschlechtsverkehr, Schwimmen bzw. Sprung ins kalte Wasser). Ebenso kann einer transienten globalen Amnesie ein emotional belastendes Ereignis vorangehen. Differenzialdiagnostisch muss eine transiente Amnesie bei Epilepsie abgegrenzt werden, eine spezielle Therapieempfehlung gibt es nicht.

Konfabulieren beim Korsakow-Syndrom

Auch chronischer Alkoholmissbrauch kann zu einem zunehmenden Gedächtnisverlust führen, welcher als Korsakow-Syndrom oder Korsakow-Psychose bezeichnet wird. Charakteristisch sind schwere Störungen der Merkfähigkeit und zunehmend auch des Langzeitgedächtnisses (vor allem des episodischen Gedächtnisses), wobei Gedächtnislücken häufig durch Konfabulationen kompensiert werden. Häufig sind auch Persönlichkeitsstörungen mit starken Gefühlsschwankungen, apathischen Phasen und mangelnder Krankheitseinsicht.

Anatomisch findet man Veränderungen im Bereich des Zwischen- und Mittelhirns. Oft geht das Korsakow-Syndrom aus einer Wernicke-Enzephalopathie hervor. Deren Leitsymptome sind eine Ophthalmoplegie (Augenmuskellähmung mit Doppelbildern), Ataxie (unkoordiniert-überschießende Bewegungen insbesondere beim Gehen) sowie Bewusstseinsstörungen. Ursache ist nicht nur die zelltoxische Wirkung chronischer Alkoholzufuhr, sondern auch eine gestörte Myelin­bildung als Folge fehlender neurotroper Vitamine, vor allem Thiamin (durch einseitige Ernährung und Resorptionsstörungen bei Alkoholismus).

Besteht bei der stationären Behandlung eines akuten alkoholischen „Verwirrtheitszustandes“ der Verdacht auf eine Wernicke-Enzephalopathie, sollte dem Patienten hoch­dosiert Vitamin B1 zugeführt werden (intravenös bis zu 3 × 100 mg). Ein Alkoholentzugssyndrom bis zum unvollständigen Delir wird je nach Situation mit Clomethiazol oder Diazepam/Clonazepam oder Chlordiazepoxid bekämpft.

Einfacher Screeningtest

Aufgrund der vielfältigen Facetten von Gedächtnisstörungen ist in der Regel eine differenzierte neurologisch-neuropsychologische Untersuchung erforderlich. Hierzu stehen verschiedene psychometrische Tests und Skalen zur Verfügung.

Ein Screeningverfahren im Hinblick auf einen demenziellen Prozess bietet der weit verbreitete standardisierte Mini-Mental-Status-Test (MMST). Als Interview mit dem Patienten durchgeführt, werden anhand von neun Aufgabenkomplexen zentrale kognitive Funktionen überprüft, beispielsweise die zeitliche und räumliche Orientierung, Merk- und Erinnerungsfähigkeit, Aufmerksamkeit und Sprache (siehe Tabelle 2). Allerdings liefert der MMST nur eine grobe Einschätzung kognitiver Defizite.


Tab. 2: Mini-Mental-Status-Test zur Schweregradeinteilung einer Demenz
Score
Schweregrad
Kognition
Lebensführung
< 23 bis 24
leicht
komplizierte Aufgaben nicht mehr möglich
eingeschränkt, aber möglich
< 20
mittel
einfache Aufgaben nur teilweise lösbar
auf fremde Hilfe angewiesen
< 10
schwer
Gedankengänge nicht mehr nachvollziehbar
selbstständige Lebensführung komplett aufgehoben

Wirksam sind Cholinesterase-Hemmer und Memantin

Vor allem für die leichte bis mittelschwere Demenz vom Alzheimer-Typ ist die Wirksamkeit von Cholinesterase-Hemmern wie Donezepil, Rivastigmin und Galantamin belegt, in mehreren Studien konnte eine Verlangsamung der Progression nachgewiesen werden. Bei der mittelschweren bis schweren Form wird der Einsatz von Memantin empfohlen. Aufgrund ihrer Bindung an den NMDA-Rezeptor blockiert die Substanz schädliche Wirkungen des Glutamats und fördert dadurch kognitive Prozesse, etwa einen Lernvorgang. Zudem verstärkt Memantin die Wirkung von Anticholinergika und Dopamin-Agonisten.

Viele der Studien befassen sich fast ausschließlich mit der Behandlung von Schädel-Hirn-Verletzten. So werden Donepezil, Rivastigmin und Methylphenidat als Optionen zur Verbesserung der Gedächtnisleistung nach Schädel-Hirn-Trauma genannt.

Nootropika wie Ginkgo biloba, Piracetam, Hydergin oder Nimodipin werden nach bisheriger Studienlage mit unzureichenden Evidenzen in den Leitlinien nicht empfohlen.

Smartphone als echte Hilfe

Im Rahmen neuropsychologischer Therapieansätze werden kognitive Verfahren und spezifische Lernstrategien durchgeführt, mit deren Hilfe Funktionen wie Gedächtnis, Merkfähigkeit und Aufmerksamkeit wieder gestärkt werden können. Auch der Einsatz externer Gedächtnishilfen, beispielsweise eines Smartphones, kann therapeutisch zur Kompensation von Gedächtnisstörungen beitragen. Zumindest leichter betroffene Patienten sollten dadurch in der Lage sein, ihren Alltag samt Terminen und Erledigungen eigenständig zu planen. |

Literatur

 [1] Diagnostik und Therapie von Gedächtnisstörungen, S2e-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, AWMF-Registernummer 030/124, September 2012

 [2] Diagnose und Therapie von Demenzen. S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde, AWMF-Registernummer 038/013, November 2009

 [3] Etgen T, Dander D, Bickel H, Förstl H. Leichte kognitive Störung und Demenz. Dtsch Arztebl Int 2011;108(44):743–750

 [4] Seidl U, Ahlsdorf E, Toro P. Die leichte kognitive Beeinträchtigung. Epidemiologische, neuropsychologische und neurobiologische Aspekte. Journal of Preventive Medicine 2007;3:286-293

 [5] Transiente globale Amnesie. S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. AWMF-Registernummer 030/083, September 2012

 [6] Alkoholdelir und Verwirrtheitszustände. S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. AWMF-Registernummer 030/006, Mai 2015

 [7] Informationsblatt Frontotemporale Demenz. Deutsche Alzheimer Gesellschaft, Juli 2013

 [8] Diagnostik akuter zerebrovaskulärer Erkrankungen. S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, AWMF-Registernummer 030/117, September 2012

 [9] Kopelman M, Thomson AD, Guerrini I, Marshall EJ. The Korsakoff Syndrome: Clinical Aspects, Psychology and Treatment. doi: 10.1093/alcalc/agn118

[10] Rohkamm R. Taschenatlas Neurologie. Thieme 2000:134-137

[11] Singh-Manoux A, Kivimaki M, Glymour MM et al. Timing of onset of cognitive decline: results from Whitehall II prospective cohort study. BMJ 2012;344:d7622

Autor

Clemens Bilharz

ist Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin und zusätzlich als wissenschaftlicher Fachzeitschriftenredakteur ausgebildet. Er ist als Autor und Berater für Fachver­lage und Agenturen tätig.

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