Arzneimittel und Therapie

Risiko Guillain-Barré-Syndrom?

Nutzen der Influenza-Impfung überwiegt

Das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) ist eine seltene Erkrankung. Dennoch erregt sie hin und wieder Aufmerksamkeit, vor allem in der Grippe-Saison. Bereits mehrfach hatte man eine zeitliche Assoziation zwischen der Influenza-Impfung und einem vermehrten Auftreten von GBS-Fällen beobachtet. Mithilfe von biostatistischen Simulationsmodellen hat nun eine kanadische Arbeitsgruppe gezeigt, dass die Grippe-Impfung dieses Risiko in den meisten Fällen eher senkt als erhöht.

Typisch für die Autoimmunkrankheit Guillain-Barré-Syndrom sind akute Entzündungen der peripheren Nervenbahnen und der Nervenwurzeln (Polyradikuloneuritis). Zu den initialen Symptomen zählen Rücken- und Gliederschmerzen sowie Missempfindungen (Kribbeln, Taubheitsgefühl) in den Extremitäten. Nach wenigen Tagen kommt es aufsteigend zu Lähmungserscheinungen, die tödlich enden können, wenn die Atemmuskulatur betroffen ist. Meistens bilden sich die Symptome zurück, neurologische Schäden können aber bleiben.

Infektions- versus Impfrisiko

Die Ursachen des Guillain-Barré-­Syndroms sind bisher nicht eindeutig identifiziert; wahrscheinlich gehören auch Erreger von Atemwegs- und Magen-Darm-Erkrankungen zu den Auslösern. Neben der Hypothese, dass die Influenza-Impfung das GBS-Risiko erhöht, ist daher auch denkbar, dass sie dieses verringert, indem sie vor der Virusinfektion schützt. Mehrere Studien konnten diese Vermutung untermauern: Eine Virus-Grippe erhöhte darin das Risiko für ein Guillain-­Barré-Syndrom bis zum 16- bis 18-­fachen, während bei der Influenza-Impfung dies nur höchstens bis zum Doppelten der Fall war. Das individuelle GBS-Risiko wird zudem von mehreren Faktoren bestimmt: von Alter, Geschlecht, Impfstatus sowie geografischen und soziodemografischen Einflüssen. Es ist höher bei Männern und Älteren und reicht in der Allgemeinbevölkerung von 0,45 pro 100.000 Personenjahre bei Mädchen unter zehn Jahren bis zu 3,7/100.000 Personenjahre bei Männern über 80. Im Jahre 2013 war eine Metaanalyse mit Daten von 23 Millionen Personen veröffentlicht worden, die 2009 während der Influenza A/H1N1-Pandemie in den USA eine Impfung erhalten hatten. Innerhalb von sechs Wochen danach bestand ein 2,35-fach erhöhtes Risiko für ein Guillain-Barré-Syndrom.

Risikoabschätzung mithilfe von Wahrscheinlichkeits-Modellen

In einer kürzlich publizierten Arbeit wurde mithilfe von Simulationsmodellen versucht, die Auswirkung einer saisonalen Grippe-Impfung auf das GBS-Risiko zu ermitteln. Einbezogen wurden dabei Schätzwerte zum alters- und geschlechtsspezifischen GBS-Risiko, zur Influenza-Inzidenz und zur Effektivität der Impfung. Für zwei hypothetische Personen – eine 45-jährige Frau und einen 75-jährigen Mann – ermittelte man auf diese Weise ein GBS-Risiko nach Influenza-Impfung gegenüber Nichtimpfung von -0,36 pro 1 Million Impfungen (95% Konfidenzintervall, KI, -1,22 bis 0,28) bzw. -0,42/1 Mio (95% KI -3,68 bis 2,44).

Die beiden wichtigsten Faktoren, die den Nutzen bzw. das Risiko der Impfung bestimmten, waren in der Analyse die Influenza-Inzidenz und die Effektivität der Impfung. Etwas differenzierter betrachtet sagten die Analysen bei niedriger Inzidenz und geringer Effektivität ein leicht erhöhtes GBS-­Risiko voraus. Dieses Szenario, also die Kombination aus niedriger Influenza-Inzidenz und geringer Effektivität des Impfstoffs, diskutieren die Autoren als realistisch: So ist beispielsweise die Grippe-Impfung bei Älteren erwiesenermaßen weniger effektiv als bei Jüngeren, die Inzidenzraten schwanken von Saison zu Saison und können daher auch sehr niedrig sein. In keinem Fall lag jedoch das GBS-­Risiko über 1 pro 1 Million Impfungen.

Insgesamt ergaben die Modellrechnungen, dass unter vielen Bedingungen eine Grippe-Impfung das GBS-­Risiko eher senkt als erhöht. Die Autoren hoffen, dass ihre Ergebnisse das allgemeine Vertrauen in die Sicherheit der Impfung stärken und darüber hinaus Mitarbeitern der Gesundheitsberufe Rückhalt geben können, wenn sie Impfrisiken mit ihren Patienten diskutieren. |

Quelle

Hawken S et al. Simulation study of the effect of influenza and influenza Vaccination on risk of acquiring Guillain-Barré syndrome. Emerg Infect Dis 2015;21(2):224-231, www.cdc.gov/eid

Salmon DA et al. Association between Guillain-Barré syndrome and influenza A (H1N1) 2009 monovalent inactivated vaccines in the USA: a meta-analysis. Lancet 2013;381(9876):1461-1468

Bruhn C. Guillain-Barré-Syndrom nach H1N1-Impfung: Nutzen überwiegt dennoch Risiko. Dtsch Apoth Ztg 2013;16:37

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.