Arzneimittel und Therapie

Aufregung um einen vermeintlich tödlichen Impfstoff

Ein Kommentar

Was für eine Schlagzeile: Auf Focus online war am 19. Januar zu lesen „Neuer Wirkstoff weckt Zweifel: Sind Impfungen doch gefährlich?“ – noch dazu mit dem Übertitel „Tödliche Nebenwirkungen“. Das ist natürlich Wasser auf den Mühlen der Impfskeptiker und Impfgegner! Und es geht weiter: „Eine neue Meningitis-Impfung zeigte im Tierversuch tödliche Folgen“. Wie sind diese Aussagen zu bewerten, vor allem auch unter dem Aspekt, dass der fragliche Beitrag auf einer Publikation im renommierten Journal Science beruht?

Fakt 1: Die in der Publikation vor­gestellte „Impfung“ war nie als Impfstoff gegen Meningitis für den Menschen gedacht!

Für die wissenschaftliche Arbeit wurde ein Virus verwendet, das eine lymphozytäre Choriomeningitis (LCM) auslösen kann und deshalb LCMV abgekürzt wird. Eigentlich ist das Virus auf Nagetiere spezialisiert, kann aber in seltenen Fällen auch Menschen infizieren. Das Robert Koch-Institut zählt die lymphozytäre Choriomeningitis zu den „seltenen und importierten Infektionskrankheiten“ und warnt vor dem Kontakt mit Exkrementen von (wilden) Nagetieren.

Das, was im Impfkalender der Ständigen Impfkommission (STIKO) als Impfung gegen Meningitis empfohlen wird, ist ein Polysaccharid-Konjugatimpfstoff, der gegen die bakterielle Infektion mit Neisseria meningitidis schützen soll. Eine Infektion mit diesen Meningokokken kommt beim Menschen häufiger vor als die Infektion mit dem lymphozytären Choriomeningitis-Virus und führt auch häufiger zu einer Meningitis.

Fakt 2: Die durchgeführte Impfung der Mäuse diente zur Aufklärung der Fragestellung, ob eine spezifische Stimulation von CD4+-T-Zellen einen guten Immunschutz liefert.

Normalerweise versucht man, mit Impfungen eine umfassende Stimulierung des spezifischen Immunsystems zu erreichen und sowohl die Bildung spezifischer T- als auch B-Zellen zu aktivieren, von denen letztere neutralisierende Antikörper gegen das Antigen bilden. Im vorliegenden Fall wurde ein Teil des LCMV-spezifischen Oberflächen-Glykoproteins zur Immunisierung von Mäusen verwendet. Dieser Teil des Glykoproteins trägt ein Epitop, das sich nur an CD4+-T-Zellen richtet und diese aktiviert. Die derartig immunisierten Mäuse erhielten anschließend vermehrungsfähige LCM-Viren, die sich munter in den Mäusen vermehren konnten. Zwar wurden durch die Impfung tatsächlich spezifische CD4+-T-Zellen gegen das Oberflächen-Glykoprotein rekrutiert, die auch bei der späteren Infektion aktiviert wurden, allerdings fehlte diesen reaktiven CD4+-T-Zellen komplett die Unterstützung durch CD8+-T-Zellen und spezifische B-Zellen, respektive Antikörper für die Immunantwort. Während sich also die LCM-Viren weiterhin in der infizierten Maus ungehindert tummelten, liefen die aktivierten CD4+-T-Zellen quasi Amok und führten zum fatalen Zytokin-Sturm und zum Multiorganversagen.

Fakt 3: Ja, die gezeigten Ergebnisse waren ein Rückschlag für die HIV-Impfstoffforschung.

Nach wie vor wird verstärkt nach einem wirksamen Impfstoff gegen HIV gesucht. Da sich dieses Virus ausgerechnet CD4+-T-Zellen als bevorzugte Zielzelle aussucht, dachte man, über einen CD4+-T-Zellen-spezifischen Impfstoff eine gute Immunisierung zu erreichen. Eine erste Immunisierung mit einem CD4+-T-Zellen-spezifischen Epitop aus dem SIV (simian immunodeficiency virus) führte allerdings sogar zu einer stärkeren Virusvermehrung in Rhesusaffen im Vergleich zu ungeimpften Tieren. Ein nicht vorhergesehenes Paradoxon, für die die vorliegende Arbeit jetzt die Erklärung liefert.

Fakt 4: Schlagzeilen treffen nicht unbedingt die Sachlage.

Interessant am Beitrag auf Focus online ist, dass der eigentliche Text die Fakten aus dem Science-Paper ganz richtig zusammenfasst. Leider passen der Titel und auch die vorangestellte Zusammenfassung nicht dazu, denn weder handelt es sich um einen „neuen Wirkstoff“ noch um eine „neue Meningitis-Impfung“, die „tödliche Nebenwirkungen“ hat, und schon gar nicht ist die Schlussfolgerung richtig, dass „Impfungen doch gefährlich“ sein könnten. So wurden für eine „attraktive“ Schlagzeile leider ein paar Tatsachen falsch dargestellt. |

Quelle

Krassuski L. Tiere starben bei Tests: Tödliche Nebenwirkungen: Neuer Wirkstoff könnte Impfungen gefährlich machen. Focus online, 20. Januar 2015, www.focus.de

Penaloza-MacMaster P, Barber DL et al. Vaccine-elicited CD4 T cells induce immunopathology after chronic LCMV infection. Science. 2015;347:278-282

Dr. Ilse Zündorf und Prof. Dr. Theo Dingermann Institut für Pharmazeutische Biologie Goethe-Universität Frankfurt a.M.

Anmerkung

Seit dem 20. Januar 2015 hat der hier kommentierte Focus-Beitrag die etwas entschärfte neue Schlagzeile „Tödliche Nebenwirkungen: Neuer Wirkstoff könnte Impfungen gefährlich machen“ und den Übertitel „Tiere starben bei Tests“. Trotzdem impliziert der Titel nach wie vor, dass hier wirklich ein möglicher, zukünftiger Impfstoff getestet wurde.

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