Arzneimittel und Therapie

120 statt 140 mmHg?

SPRINT-Studie zu Blutdruckzielen erschüttert Leitlinien und bisherige Praxis

Gerade erst wurden die Blutdruckziele vieler Leitlinien gelockert und mit unter 140/90 mmHg für fast alle Patienten stark vereinfacht. Doch die SPRINT-Studie stellt genau diese Vorgaben wieder infrage. Wie ist die Studie zu bewerten und welche Fragen beantwortet sie?
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SPRINT-Studie: Startschuss für neue Blutdruck-Zielwerte?

Mit den aktuellen Leitlinien und entspannteren Zielen konnte man eigentlich ganz gut leben: Nachdem man in der ACCORD-Studie [1] festgestellt hatte, dass Diabetiker von einer intensiven Blutdrucksenkung eher Schaden nehmen denn profitieren, wurden die meisten Leitlinien auf die mildere Zielvorgabe von unter 140/90 mmHg umgestellt. Die Leitlinie der European Society of Hypertension (ESH) und der European Society of Cardiology (ESC) von 2013 empfiehlt einen systolischen Blutdruck von unter 140 mmHg, bei Patienten über 80 Jahren sogar von 140 bis 150 mmHg [2]. Diastolisch gilt unter 90 mmHg, für Diabetiker möglichst zwischen 80 und 85 mmHg. Auch die 8. Empfehlungen des Joint National Committees (JNC-8) von 2014, einer übergeordneten US-amerikanischen Leitlinie, gehen in diese Richtung, nachdem man die JNC-7 Empfehlungen 10 Jahre lang unverändert ließ [3]. JNC-8 empfiehlt einen systolischen Blutdruck von 140 bis 150 mmHg. Nur wenn es ohne größere Komplikationen möglich ist, sollte nach JNC-8 ein Blutdruckziel von unter 140 mmHg angestrebt werden.

Die Action to Control Cardiovascular Risk in Diabetes (ACCORD)-Studie

Fragestellung: Ist bei Diabetikern mit kardiovaskulärer Erkrankung eine strengere Blutdruckeinstellung von Vorteil?

Studiendurchführung: 4733 Teilnehmer mit einem mittleren Alter von 62 Jahren wurden entweder auf den Zielwert 120 mmHg oder 140 mmHg therapiert und im Mittel 4,7 Jahre lang beobachtet.

Ergebnis: Das Eintreffen des primären Endpunkts, die Kombination aus Herzinfarkt, Schlaganfall oder kardiovaskulärem Tod, konnte durch eine strengere Blutdruckkontrolle nicht vermindert werden: Die Reduktion der jährlichen Rate an kardiovaskulären Ereignissen (1,9% vs. 2,1%) war nicht signifikant. Die Gesamtmortalität war bei strenger Einstellung mit einer jährlichen Rate von 1,3% vs. 1,2% leicht, aber nicht signifikant, erhöht.

Die aktuelle SPRINT-Studie schloss Diabetiker aus, um die Effizienz eines niedrigen Zielwerts auch für die bislang noch nicht untersuchte Gruppe der nicht-diabetischen Hypertoniker bewerten zu können.

Typischer Bluthochdruckpatient untersucht

Der jetzt beendete, unabhängig finanzierte Systolic Blood Pressure Intervention Trial (SPRINT) untersuchte „typische, unkomplizierte Bluthochdruck-Patienten“ [4]: Die eingeschlossenen Patienten hatten zwar ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko, aber keine Komorbiditäten wie Diabetes oder Schlaganfall, da diese speziellen Patientengruppen bereits ausreichend untersucht wurden. Die Studienteilnehmer wurden randomisiert zwei unterschiedlichen Gruppen zugeteilt: Gruppe 1 mit Standardtherapie und einem systolischen Zielwert von unter 140 mmHg und Gruppe 2 mit einer intensivierten Blutdrucktherapie und einem Zielwert von unter 120 mmHg. Die Studie wurde nach etwas über drei Jahren vorzeitig abgebrochen, nachdem der Nutzen der intensiveren Blutdrucksenkung eindeutig war. Erreicht wurde ein durchschnittlicher Blutdruck von 136,2 mmHg unter Standardtherapie und von 121,4 mmHg unter intensiver Therapie.

Der primäre kombinierte Endpunkt bestand aus Herzinfarkt, akutem Koronarsyndrom, Schlaganfall, akuter Herzinsuffizienz oder Tod durch kardiovaskuläre Ereignisse und trat in der Gruppe mit intensivierter Blutdrucktherapie relativ 25% seltener auf als unter Standardtherapie (jährliche Ereignisrate 1,7 vs. 2,2%; p < 0,001). Die „number needed to treat“, also die Anzahl der notwendigen Behandlungen, betrug 61 zur Vermeidung eines primären Endpunktes oder 90 zur Vermeidung eines Todesfalles. Auch die Gesamtsterblichkeit war bei intensivierter Therapie signifikant reduziert (s. Kasten). Erkauft wurden diese Effekte bei 4,7% der Patienten der intensiv behandelten Gruppe und bei 2,5% der Patienten unter Standardtherapie mit schweren Nebenwirkungen wie Hypotension, Synkope, Elektrolytverschiebungen oder Nierenversagen, die wahrscheinlich oder definitiv mit der Intervention in Verbindung standen. Die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) sank bei diesen Patienten deutlich. Im Durchschnitt wurde für die intensivere Blutdrucksenkung genau ein Antihypertonikum mehr benötigt (2,8 vs. 1,8). Auffällig bei den sekundären Endpunkten ist, dass bei den intensiv behandelten Patienten besonders das Auftreten einer Herzinsuffizienz verhindert werden konnte. |

Die Systolic Blood Pressure Intervention (SPRINT)-Studie

Fragestellung: Kann ein systolischer Zielwert von 120 mmHg das kardiovaskuläre Risiko effektiver senken als ein Zielwert von 140 mmHg? Die Studie betrachtet Hypertoniker mit kardiovaskulärem Risiko ohne Diabetes und Schlaganfall.

Studiendurchführung: 9361 Patienten im Alter von 50 Jahren aufwärts (mittleres Alter 68 Jahre) wurden in die zwei Zielwert-Gruppen randomisiert und im Schnitt 3,3 Jahre lang beobachtet. Der behandelnde Arzt entschied über den Einsatz der Antihypertensiva, als Erstlinientherapie waren Diuretika empfohlen.

Ergebnis: Der primäre kombinierte Endpunkt, bestehend aus Herzinfarkt, akutem Koronarsyndrom, Schlaganfall, akuter Herzinsuffizienz oder kardiovaskulärem Tod trat mit 1,7% vs. 2,2% pro Jahr bei der strengeren Einstellung seltener auf (Hazard Ratio HR 0,75). Auch die Gesamtsterblichkeit war mit einer Rate von 1,0% pro Jahr vs. 1,4% erniedrigt (HR 0,73). Schwere Nebenwirkungen traten bei der strengeren Einstellung mit 4,7% vs. 2,5% vermehrt auf.

Für die strengere Blutdruckeinstellung wurden im Schnitt 2,8 Wirkstoffe benötigt, für die weniger strenge 1,8.

Die Studie, die bis 2018 laufen sollte, wurde im August dieses Jahres abgebrochen. Die Ergebnisse waren bereits zu diesem Zeitpunkt eindeutig zugunsten eines systolischen Zielwerts von 120 mmHg ausgefallen.

Quelle

[1] ACCORD Study Group, Cushman WC et al. Effects of intensive blood-pressure control in type 2 diabetes mellitus. N Engl J Med. 2010;362(17):1575-1585

[2] Mancia G et al. 2013 ESH/ESC guidelines for the management of arterial hypertension: the Task Force for the Management of Arterial Hypertension of the European Society of Hypertension (ESH) and of the European Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J. 2013;34(28):2159-2219

[3] James PA et al. 2014 evidence-based guideline for the management of high blood pressure in adults: report from the panel members appointed to the Eighth Joint National Committee (JNC 8). JAMA. 2014;311(5):507-520.

[4] The SPRINT Research Group. A Randomized Trial of Intensive versus Standard Blood-Pressure Control. N. Engl. J. Med. 2015, online veröffentlicht 9. November 2015

Olaf Rose, PharmD


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