Arzneimittel und Therapie

So kommen Arzneimittel schneller zum Patienten

Das PRIME-Schema als ein neuer Weg der Arzneimittelzulassung

Seit einigen Jahren ist auf dem Gebiet der Arzneimittelzulassung ein großer Umdenkungsprozess im Gang. Die Arzneimittelbehörden und die Antragsteller wollen schon in frühen Stadien der Arzneimittelentwicklung einen engeren Schulterschluss üben. Dies macht die Verfahren effizienter und spart Ressourcen. Im Fokus stehen dabei Medikamente mit einem hohen medizinischen Bedarf. Mit dem neuen PRIME-Schema will die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) ihre „Servicebereitschaft“ nun noch weiter ausbauen.

Die Europäische Arzneimittel-Agentur will den Antragstellern frühzeitig und mit Hochdruck wissenschaftliche und rechtliche Unterstützung anbieten, damit diese schneller zu robusten Daten zu ihren Wirkstoffen für die Zulassung kommen. Außerdem soll die fachliche Bewertung für die Zulassung beschleunigt werden. Es soll vor allem die Entwicklung von Arzneimitteln für Krankheiten fördern, für die es derzeit keine Behandlungsmöglichkeiten gibt oder die möglicherweise einen großen therapeutischen Vorteil gegenüber bestehenden Behandlungen bieten. Sie werden von der EMA als „priority medicines“ eingestuft, daher der Name „PRIME“-Schema.

„Scientific advice“ hilft viel

Die Grundzüge des Projektes sind nicht neu. Sie basieren vielmehr auf vorhandenen Zulassungs-Instrumenten. So können die Antragsteller sich bereits jetzt durch die Arzneimittel­behörden wissenschaftlich beraten lassen (Scientific advice). Sie verschaffen sich damit Klarheit, welche Daten für den Beleg der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit zur Zulassung ihres Arzneimittels im Detail gefordert werden. Auf diese Weise werden Irrwege und Missverständnisse minimiert, und das Verfahren ist erheblich erfolgversprechender.

Eine beschleunigte Bewertung für voraussichtlich bahnbrechende Innovationen und Arzneimittel mit einem besonderen therapeutischen Bedarf (accelerated assessment) gibt es ebenfalls schon. Die Frist für die Beurteilung verkürzt sich dann von 210 auf 150 Tage. Ein Beispiel hierfür ist Eculizumab (Soliris®) zur Behandlung der paroxysmalen nächtlichen Hämo­globin­urie (PNH).

Ohne Abstriche

Die EMA betont, dass Medikamente, die während ihrer Entwicklung von PRIME profitieren, genauso wie andere Arzneimittel nachweisen müssen, dass ihr Nutzen das Risiko überwiegt. Hier werden gegenüber dem regulären Verfahren keine Abstriche gemacht. Insofern sollte es nicht verwechselt werden mit der „bedingten Zulassung“ (conditional marketing authorization) und der „Zulassung in Ausnahme­fällen“ (under exceptional circumstances).

  • Eine bedingte Zulassung ist möglich, wenn zwar noch Daten fehlen, diese aber wahrscheinlich nachgereicht werden können. Solche Genehmigungen sind nur ein Jahr gültig, aber verlängerbar. Nach Vorlage der fehlenden Daten wird aus ihnen eine normale Zulassung. Ein Beispiel für eine conditional marketing authorization ist Delamanid (Deltyba®) gegen multiresistente Tuberkulose.
  • Eine zentrale Zulassung in Ausnahmefällen kommt infrage, wenn auch in Zukunft wahrscheinlich keine vollständigen Daten über die Wirksamkeit und Sicherheit zur Verfügung gestellt werden. Dies kann zum Beispiel bei sehr seltenen Tumorerkrankungen oder kleinen Patientenkollektiven der Fall sein. Die Bedingungen werden jährlich neu beurteilt. Ein Beispiel ist die Zulassung für Laronidase (Aldurazyme®) gegen Mucopolysaccharidose I.

Im Verzeichnis der öffentlichen Bewertungsberichte (EPARs) auf der EMA-Webseite (www.ema.europa.eu/ema/) sind diese Sonderzulassungen erkennbar an den Kürzeln C = conditional, E = exceptional circumstances.

Was ist das Neue am PRIME-Schema?

Die Eingangsvoraussetzungen sind dieselben wie beim „accelerated procedure“. Die Antragsteller sollten hierfür schon vorläufige klinische Beweise vorlegen können. Für Mikro-, kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und Bewerber aus dem akademischen Bereich soll das System schon in einem früheren Entwicklungsstadium offen sein. Sie spielen heute eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung innovativer Arzneimittel und könnten von der PRIME-Unterstützung noch mehr profitieren, meint die EMA. Konkret sollen mit der neuen Initiative vielversprechende Kandidaten und Projekte noch früher als bisher identifiziert und der Entwicklungsprozess, orientiert an erreichten Meilensteinen, noch engmaschiger und konsequenter begleitet werden. Dabei könnten auch andere Beteiligte, wie Institutionen der Nutzenbewertung von Arzneimitteln und Patientengruppen mit eingebunden werden.

Die Europäische Arzneimittel-Agentur hat mit einem „reflection paper“ eine öffentliche Konsultation über die wichtigsten Grundsätze des neuen PRIME-Schemas gestartet (siehe EMA-Webseite). Stellungnahmen hierzu sind bis zum 23. Dezember 2015 möglich. Im ersten Quartal 2016 soll es dann los­gehen mit PRIME. |

Apothekerin Dr. Helga Blasius

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