Arzneimittel und Therapie

Gefährliche Nahrungsergänzungsmittel

„Dietary supplements“ verursachen in den USA jährlich über 23.000 Notfallbehandlungen

jb | Kardiale Symptome durch Schlankmacher, Muskelaufbaupräparate oder Potenzmittel, allergische Reaktionen auf Vitamine und Spurenelemente: Nahrungsergänzungsmittel (NEM) sind keineswegs immer harmlos. So kommt es in den USA zu über 23.000 Notfallbehandlungen und mehr als 2100 Hospitalisierungen nach Einnahme von „dietary supplements“. Das ­ergab eine gemeinsame Untersuchung der amerikanischen Seuchenschutzbehörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC) und der Aufsichtsbehörde FDA.
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NEM statt gesunder Ernährung? Viele der Mittelchen sind nicht ganz ohne.

Für ihre Untersuchung haben die Forscher Daten aus 63 Notaufnahmen herangezogen und diese dann auf das ganze Land hochgerechnet. Ein Drittel der Patienten wurde aufgrund von Nebenwirkungen behandelt, knapp ein Viertel suchte wegen einer allergischen Reaktion die Notaufnahme auf. 20% der Behandelten waren Kinder, die aus Versehen Vit­aminpillen geschluckt hatten. Von der versehentlichen Einnahme abgesehen verursachten über alle Altersgruppen betrachtet die Mikronährstoffe, also Vitamine, Mineralstoffe und Co. 31,8% der Notfallbehandlungen, der Rest entfiel auf andere Supplemente wie Schlankheits- und Potenzmittel oder Energizer. Letztere verursachten vor allem Nebenwirkungen (adverse reactions), Vitamine und Co. waren eher für allergische Reaktionen verantwortlich.

Differenziert man nach Alter, führen bei den unter 4-Jährigen und den über 65-Jährigen vor allem die unerwünschten Wirkungen der Mikronährstoffe zum Besuch der Notaufnahme, im Alter zwischen 5 und 64 sind es die Schlankheitsmittel und Energizer. So sind diese Präparate erschreckenderweise für 50% der Notfallbehandlungen der 5- bis 19-Jährigen ­verantwortlich. Vor allem ältere ­Menschen klagen zudem über Schluckprobleme. Zu große Tabletten oder Kapseln verursachten ein Fremdkörpergefühl im Rachen bzw. Hals oder führten zu Verschlucken oder Dysphagien. Denn bei NEM ist im Gegensatz zu Arzneimitteln die maximale Größe nicht beschränkt.

Der Markt für Nahrungsergänzungsmittel ist riesig und nimmt stetig zu. So waren in den USA im Jahre 1994 4000 Produkte auf dem Markt, 2012 waren es 55.000. Ungefähr die Hälfte aller erwachsenen US-Amerikaner gibt an, in den letzten Monaten mindestens ein derartiges Supplement eingenommen zu haben, in Deutschland war es 2008 laut Nationaler Verzehrsstudie etwas mehr als jeder Vierte. Ebenso wie in Deutschland müssen Hersteller in den USA für NEM die Wirksamkeit nicht nachweisen. Sie sind lediglich verpflichtet, der Aufsichtsbehörde FDA mitzuteilen, dass die Präparate sicher sind. Die Tatsache, dass zwischen 2004 und 2012 über 200 Mittel aus dem Verkehr ge­zogen wurden, lässt allerdings an der Wirksamkeit des Systems zweifeln.

Nicht ganz auf Deutschland übertragbar

Allerdings lässt sich diese Untersuchung aufgrund der unterschiedlichen regulatorischen Bedingungen nicht 1 : 1 auf Deutschland übertragen. Ein Grund ist zum Beispiel die Einordnung der pflanzlichen Arzneimittel. Während in Deutschland hochwirk­same Phytotherapeutika zumeist als Arzneimittel zugelassen sind und somit strengen Sicherheitsanforderungen unterliegen, gehören in den USA die sogenannten „Herbals“ meist zu den Nahrungsergänzungsmitteln. Zudem haben auch außerhalb der Phytotherapie in den USA zahlreiche Substanzen den Status „dietary supplement“, die hier unter das Arzneimittelgesetz fallen, ja sogar teilweise verschreibungspflichtig sind. Beispiele hierfür sind hochdosierte Vitamine, Melatonin oder hormonartige Substanzen wie DHEA (Dehydroepiandrosteron). Aber auch hier ist der Markt für NEM im Vergleich zum Arzneimittelmarkt kaum reguliert. Es fehlen verbindliche Grenzwerte für die maximal erlaubten Dosierungen, viele Präparate sind im Drogerie- oder Supermarkt zu haben. Daher ist die Untersuchung auch hierzulande sicherlich als Warnschuss hinsichtlich eines allzu zu sorglosen Umgangs mit NEM zu verstehen. |

Quelle:

Geller AI, et al. Emergency Department Visits for Adverse Events Related to Dietary supplements; NEJM (2015; 373: 1531-1540).

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