Aus den Ländern

„Interactions, Integrations, Innovations“

Die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft hat in Düsseldorf getagt

DÜSSELDORF (du/hb) | Die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft (DPhG) wird in diesem Jahr 125 Jahre alt, die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf feiert ihr 50-jähriges Jubiläum. Grund genug, die Jahrestagung der DPhG an der Universität Düsseldorf abzuhalten. Veranstaltet wurde sie vom 23. bis 25. September wieder in Zusammenarbeit mit der Pharmaceutical Society of Japan. Das Motto: „Interactions, Integrations, Innovations“.
Fotos: du/daz und H. Blasius

„Interactions, Integrations, Innovations“ – Die Akteure der Eröffnung der DPhG-Jahrestagung und des Tags der Offizinpharmazie: Prof. Dr. Holger Stark, Prof. Dr. Dieter Steinhilber, Prof. Dr. Christa E. Müller, Prof. Dr. Jörg Breitkreutz, Priv.-Doz. Dr. med. Michael A. Überall.

Und so stand nach den einführenden Worten des Tagungspräsidenten Prof. Dr. Holger Stark, Düsseldorf, und dem DPhG-Präsidenten Prof. Dr. Dieter Steinhilber, Frankfurt, der erste Eröffnungsvortrag ganz im Zeichen dieser 3 „Is“. Prof. Dr. Christa E. Müller, Bonn, entführte in die Welt der purinergen Signaltransduktion und die Rolle der im Körper weit verbreiteten Membranrezeptoren, die durch Purine aktiviert werden. Unterschieden werden drei verschiedene Klassen: P1-Rezeptoren, die durch Adenosin-Bindung aktiviert werden, sowie die ATP- und weitere Nucleotid-bindenden P2Y- und P2X-Rezeptoren. Die Bedeutung dieser Rezeptoren und ihrer Liganden für physiologische und pathophysiologische Vorgänge wird immer besser verstanden. Thrombozytenaggregationshemmer wie Clopidogrel bzw. ihre ­aktiven Metaboliten agieren über Bindung an P2Y-Rezeptoren. Selektive ATP-Antagonisten könnten beispielsweise über Bindung an P2X-Rezeptoren die therapeutischen Möglichkeiten bei neuropathischen Schmerzen erweitern. Darüber hinaus sind auch Ectonucleotidasen wichtige Modulatoren der purinergen Signaltransduktion. Es handelt sich dabei um membranständige Enzyme mit einem extrazellulären aktiven Zentrum, die Nukleotide und Nukleoside metabolisieren und auf diese Weise beispielsweise die extrazelluläre Adenosin-Konzentration steuern können. Adenosin wirkt unter anderem immunsuppressiv und Angiogenese-fördernd. In Tumorzellen mit hoher Ectonucleotidase-Aktivität und damit erhöhter Adenosin-Bildung erscheint daher der Einsatz von selektiven Ectonucleotidase-Inhibitoren vielversprechend.

Große Hoffnungen werden in die personalisierte Medizin gesetzt. Eine zentrale Voraussetzung dafür ist die Möglichkeit, Arzneistoffe entsprechend der individuellen Bedürfnisse exakt zu ­dosieren. Prof. Dr. Jörg Breitkreutz, Düsseldorf, stellte im Rahmen des zweiten Eröffnungsvortrags neue Konzepte zur individuellen Dosierung vor, zu denen Mini-Tabletten mit einem Durchmesser unter 3 mm zählen. Sie erlauben als orodispersible oder dispersible Formulierungen Dosierungen in sehr kleinen Schritten. Die Arbeitsgruppe um Breitkreutz konnte zeigen, dass Mini-Tabletten gerade für Früh- und Neugeborene eine mindestens gleich gute Alternative zum Sirup ­darstellen. Eine weitere Option sind orodispersible Filme, bei denen Arzneistoffe mit unterschiedlichen Drucktechniken auf wirkstofffreie Materialien gedruckt werden und patientenindividuelle Kombinationen und Dosierungen erlauben. Für Furore sorgte vor wenigen Wochen die erste Zulassung einer mithilfe eines 3-D-Druckers hergestellten Tablette durch die FDA. Es handelt sich hierbei um das Antiepileptikum Spritam®, eine orodispersible, Levetiracetam-haltige Tablette (s. a. Schiffter-Weinle, H: Die Tablette aus dem Drucker. DAZ 2015, Nr. 37, S. 60). „Gedruckte“ Arzneiformen, davon ist Breitkreutz überzeugt, eröffnen ganz neue Therapiemöglichkeiten in der Chirurgie, der Krebstherapie und vielen weiteren medizinischen Feldern und stellen eine große Herausforderung für pharmazeutische Wissenschaftler dar.

Die Jahrestagung der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft ist vor allem eine wissenschaftliche Nabelschau der vielfältigen Gebiete, auf denen Pharmazeuten tätig sind. Poster und Diskussionen aus allen pharmazeutischen Disziplinen prägten auch diese Jahrestagung. Sie befassten sich unter anderem mit der Arzneimittelentwicklung, -analytik und -herstellung, der personalisierten Medizin und dem ­Medikationsmanagement, aber auch mit regulatorischen Fragestellungen.

Schulung zum Schmerzexperten

Abgerundet wurde die DPhG-Jahrestagung durch den Tag der Offizinpharmazie, der jeweils gemeinsam mit der zuständigen Landesapothekerkammer organisiert wird. In diesem Jahr konnten interessierte Offizinapotheker am Nachmittag des 26. September 2015 kostenfrei das erste von zwei Modulen der Schmerzschulung der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V. (DGS) absolvieren. Der zweite Kursteil wird in der Folge an verschiedenen Orten in Deutschland abgehalten. Ziel der Schulung ist der Erwerb des Qualitätssiegels „NetzwerkApotheke Schmerz“ (Infos zum Zertifikat siehe Kasten „NetzwerkApotheke Schmerz“).

NetzwerkApotheke Schmerz

Präsenzveranstaltung mit zwei Lerneinheiten à drei Stunden mit Lernerfolgskontrolle, je Apotheke mindestens ein/e Apotheker/in und ein/e pharmazeutische/r Mitarbeiter/in, zertifiziert durch DGS. Weitere Auskünfte: www.dgschmerzmedizin.de/campus

Das Modul wurde von Priv.-Doz. Dr. med. Michael A. Überall vom Institut für Neurowissenschaften, Algesiologie und Pädiatrie (IFNAP), Nürnberg, gestaltet. Der Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V. (DGS) und Präsident der Deutschen Schmerzliga e. V. hob ­eingangs die nicht optimale Versorgungssituation der Schmerzpatienten in Deutschland hervor. So stehen nach seinen Angaben rund 23 Millionen Menschen mit chronischen Schmerzen in Deutschland lediglich rund 1000 schmerztherapeutisch tätige Ärzte gegenüber. Umso mehr setzt Überall in der Betreuung und Behandlung der Betroffenen auf die ­Unterstützung durch die Apotheker, idealerweise mit einer zusätzlichen Expertise als „NetzwerkApotheke Schmerz“.

Hinsichtlich der medikamentösen Therapieansätze konzentrierte Überall sich in der ersten Lerneinheit auf die Nichtopioide gemäß Stufe I des WHO-Stufenschemas zur Schmerzbehandlung. Unter Berufung auf Erhebungen eines Arzneimittelherstellers gab er an, dass in deutschen Apotheken jeden Tag 380.000 Packungen rezeptfreie Analgetika abgegeben werden, und leitet hieraus eine besondere Verantwortung der Apotheker gerade in der Selbstmedikation ab. Zwar liegen für die Prostaglandinsynthesehemmer langjährige Anwendungserfahrungen vor, aber deswegen sind sie noch lange nicht als harmlos anzusehen oder gar über einen Kamm zu scheren. Unterschiede zwischen Paracetamol, Ibuprofen, ASS, Diclofenac, den Coxiben, Metamizol, etc. ergeben sich unter anderem durch die Säure-Eigenschaften, die Halbwertszeit, die Wirkart (kompetitiv, reversibel bzw. irreversibel), den Wirkort (nur peripher oder auch zentral) und die Selektivität der COX-Hemmung (COX-1 und/oder COX-2), die nicht nur die erwünschten, sondern auch die unerwünschten Wirkungen ganz erheblich mitbestimmen. So reichert sich z. B. der selektive COX-2-Hemmer Etoricoxib bevorzugt in Gebieten mit einem niedrigen pH-Wert an und zeichnet sich durch eine extrem lange Halbwertszeit aus, laut Überall ein Nachteil für die Entzündungshemmung, bei der eine „Schaukeltherapie“ zu bevorzugen sei.

Hinsichtlich der Sicherheit und Verträglichkeit der nicht-steroidalen Entzündungshemmer (NSAIDs) riet er zu einer kritischen Betrachtung und ­Gewichtung des Risikos. So seien zum Beispiel Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes grundsätzlich bei Weitem nicht mit einer so hohen Sterblichkeit behaftet wie Herz-Kreislauferkrankungen. Entsprechende Nebenwirkungen durch Schmerzmittel schlügen deshalb im GI-Trakt mit ­einer deutlich ausgeprägteren Risikoerhöhung zu Buche als im kardiovaskulären Bereich.

Zur Abschätzung des kardiovaskulären Risikos eines Patienten durch die Gabe von NSAIDs, bereits als Kurzzeittherapie, gab Überall für die individuelle Beratung eine „Faustregel“ mit fünf Fragen/Kriterien an die Hand: Alter des Patienten, vorhandene Magen/Darm-Beschwerden, Herz-Kreislaufprobleme, Stoffwechselkrankheiten, wie Diabetes und Hyperlipidämie und die Einnahme weiterer Medikamente. Kunden, bei denen all dies zu verneinen sei, könne ruhig ein NSAID gegeben werden, meint der Schmerzexperte. Ansonsten hält er auch topische Präparate, soweit diese für die jeweiligen Beschwerden geeignet sind, für eine gute Alternative. Zur Wirksamkeit von OTC-Analgetika bei neuropathischen Schmerzen gibt es seiner Einschätzung zufolge keine Evidenz. |

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