Die Seite 3

Welle der Hilfsbereitschaft

Dr. Benjamin Wessinger, Chefredakteur der DAZ

Der Strom an Flüchtlingen, die nach langer und beschwerlicher – und oft genug auch lebensgefährlicher – Reise Deutschland erreichen, hat bis vor Kurzem unvorstellbare Ausmaße angenommen. Und er wird vorerst nicht abreißen. Umso beruhigender, dass die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung im gleichen Maße gestiegen ist wie die Zahl der Ankömmlinge. Unter diesen Helfenden sind viele Apothekerinnen und Apotheker, PTA und Pharmaziestudierende: Da ist der Apotheker in Essen, der einen syrischen Praktikanten beschäftigt. Da sind die Apotheken in Berlin und München, die unbürokratisch und schnell bei der Erstversorgung der noch nicht registrierten Flüchtlinge helfen. Da sind die Apotheken, die Hygieneartikel und Verbandmaterial spenden – und das sind nur die Fälle, von denen in den Medien berichtet wurde …

Bei aller Hilfsbereitschaft hat sich jedoch immer wieder gezeigt, wie viele Detailfragen der medizinischen und pharmazeutischen Versorgung der Flüchtlinge ungeklärt sind, bzw. dass die Regelungen nicht bekannt sind. So ist beispielsweise immer wieder unklar, wer eigentlich wann Zuzahlungen leisten muss und wer nicht oder welcher Kostenträger für wen zuständig ist. Wir haben versucht, ein wenig Klarheit in das Wirrwarr zu bringen, und haben zusammengefasst, auf was Apotheken bei der Versorgung von Flüchtlingen achten müssen („Aller Anfang ist schwer …“, S. 13 dieser DAZ). Eines ist dabei in den vergangenen Wochen immer wieder klar geworden: Manchmal muss man bestimmte Dinge einfach tun – die Frage, ob und wie man das hinterher abrechnen kann, wird dann zweitrangig. Auch das haben viele Apothekerinnen und Apotheker selbstlos und in beispielhafter Art und Weise gezeigt.

Und noch etwas anderes wurde deutlich: In dieser Ausnahmesituation können nicht immer alle Vorschriften von Apothekenbetriebsordnung, Arzneimittelverschreibungsverordnung oder gar Beratungsleitlinien haarklein eingehalten werden. Es gibt Situationen, die in den einschlägigen Gesetzen nicht vorgesehen sind – und manchmal kann es geradezu geboten sein, sich über Vorschriften hinwegzusetzen. Aber wenn aus einer Ausnahmesituation ein Dauerzustand wird, müssen Regeln und Gesetze daran angepasst werden. Hier ist die Politik in der Pflicht, schnell für solche Anpassungen und Erleichterungen zu sorgen – die bundesweite Einführung der Gesundheitskarte für alle Flüchtlinge wäre ein schnell umsetzbarer Anfang.

Denn wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, dass die momentane Situation sich kurzfristig normalisieren könnte. Vizekanzler Gabriel spricht von einer halben Million Menschen, die jedes Jahr zu uns kommen werden. Und zwar jahrelang. Keine Angst: Deutschland ist eines der reichsten Länder der Welt, wir können einen solchen Kraftakt ­meistern. Und wir haben in der Vergangenheit schon mehrfach in ­relativ kurzer Zeit viele Menschen erstaunlich reibungslos in unsere Gesellschaft integriert. Die aktuelle Welle der Hilfsbereitschaft ist ein Anzeichen dafür, dass das auch dieses Mal funktionieren kann.

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