Arzneimittel und Therapie

Ernährung, Medikamente oder Sport?

Was Diabetiker wirklich vor kardiovaskulären Ereignissen schützt

Die ADA und AHA haben die amerikanischen Leitlinien zur Primärprävention kardiovaskulärer Ereignisse bei Diabetikern überarbeitet. Dabei wurde erklärt, dass eine zu strikte Kontrolle des Hb A1c-Wertes und des Blutdrucks vielen Patienten eher schadet als nutzt und individuell abzuwägen ist. Bei der Behandlung von Dyslipidämien konnte nur für die Senkung des LDL-Spiegels ein signifikant positiver Effekt nachgewiesen werden. Sportliche Aktivität konnte zwar die Lebensqualität der Patienten steigern, brachte aber keine Reduktion des kardiovaskulären Risikos mit sich. Dagegen reduzierte eine mediterrane Diät das Risiko um 30%. Bariatrische Eingriffe reduzierten Körpergewicht und kardiovaskuläre Risikofaktoren stärker als eine ­medikamentöse Therapie.

Kardiovaskuläre Erkrankungen sind unter erwachsenen Diabetikern die häufigste Todesursache. Ebenso leiden Typ-2-Diabetiker oft an dem metabolischen Syndrom, welches neben erhöhten Blutzuckerwerten auch Übergewicht, Dyslipiämien und Bluthochdruck umfasst. Deshalb wurde 1999 die erste Leitlinie der ADA (American Diabetes Association) und AHA (American Heart Association) zur Primärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen bei Diabetikern veröffentlicht, welche 2007 überarbeitet wurde. Jetzt – weitere acht Jahre später – wurde diese Leitlinie erneut unter Analyse zahlreicher Studien aktualisiert.

In dieser Publikation konzentrieren sich die Fachleute, neben Möglichkeiten zur Gewichtsreduktion, vor allem auf die sogenannten ABC-Werte. Zu diesen gehören HbA1c, Blutdruck und Cholesterol.

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Blutdruckkontrolle, Ernährungsumstellung, Abnehmen: Der Effekt aufs ­kardiovaskuläre Risiko ist unterschiedlich.

Das ABC der Prävention

A – HbA1c. In einer großen multizentrischen Studie erhöhte ein um 1% höherer HbA1c-Wert das Herzinfarktrisiko um 19% (18% für alle kardiovaskulären Ereignisse) und die Gesamtmortalität um 12 bis 14%. Das Risiko für Retinopathie oder Nierenversagen stieg um 37%. Trotz dieser Erkenntnisse gibt es nur begrenzt Beweise dafür, dass Diabetiker im Bezug auf kardiovaskuläre Erkrankungen von einer strengen Kontrolle des HbA1c profitieren. Zwei Studien zeigten zwar einen starken Rückgang mikrovaskulärer und nephropathischer Komplikationen unter intensiverem Management des HbA1c, konnten aber während der Therapiezeit keinen signifikanten Effekt des im Schnitt 0,9% geringeren Wertes auf das Risiko von kardiovaskulären Ereignissen finden. Zehn Jahre später zeigte sich in der Interventionsgruppe einer Studie jedoch eine 57% geringere Zahl an Herzinfarkten, Schlaganfällen und kardiovaskulären Todesfällen als in der Kontrollgruppe, obwohl die HbA1c-Werte beider Gruppe sich mittlerweile angeglichen hatten (ca. 8%). Diese Ergebnisse sprechen dafür, dass die Risiken strikterer HbA1c-Grenzwerte bei einigen Personen die Vorteile überwiegen könnten. Dazu gehören Personen fortgeschrittenen Alters, mit Hypoglykämie-Neigung, langer Erkrankungsdauer, Begleiterkrankungen oder schlechtem Allgemeinzustand. Dabei ist zu beachten, dass auch schwere Hypoglykämien kardiovaskuläre Ereignisse begünstigen können.

B – Blutdruck. Mit dem systolischen Blutdruck steigt das Risiko mikro- und makrovaskulärer Komplikationen (ab 115 mmHg) stetig an. Da 70 bis 80% der Typ-2-Diabetiker unter Bluthochdruck leiden, wurde in der Vergangenheit hier intensiv eingegriffen. Verschiedene Studien, die eine intensivere Blutdrucksenkung (auf durchschnittlich 119 mmHg) und die Standardtherapie (Senkung auf durchschnittlich 133 mmHg) verglichen, konnten jedoch weder im Bezug auf das Herzinfarktrisiko noch auf die Gesamtmortalität signifikante Unterschiede feststellen. Einzig das Schlaganfallrisiko war signifikant reduziert (HR 0,59). Dazu kommt, dass die meisten Patienten mehrere Antihypertensiva benötigen, um eine derartige Blutdrucksenkung zu erreichen, was das Nebenwirkungspotenzial erhöht. So kam es bei 3,3% der Teilnehmer in der Intensivgruppe zu schweren Nebenwirkungen (vs. 1,3% in der Kontrollgruppe). Deshalb wurden die Zielwerte für Patienten ohne erhöhtes Schlaganfallrisiko von 130/80 mmHg auf 140/90 mmHg angehoben.

C – Cholesterol.

Diabetiker haben oft erhöhte Triglyzerid- und LDL-Werte, aber erniedrigte HDL-Konzentrationen. Diese Kombination kann kardiovaskuläre Erkrankungen begünstigen. Eine Reduktion des LDL-Spiegels um 1% brachte laut einer Analyse der Daten von 17.220 Typ-2-Diabetikern ein um 21% niedrigeres Risiko für schwerwiegende kardiovaskuläre Komplikationen und eine um 9% geringere Gesamtmortalität mit sich. Dagegen gibt es jederzeit nicht genug klinische Daten um auch eine Senkung des Triglyzerid-Spiegels zu empfehlen. Auch für eine Erhöhung der HDL-Werte konnten keine signifikanten Effekte auf das kardiovaskuläre Risiko nachgewiesen werden. Die Lipidspiegel von Diabetikern sollten regelmäßig überprüft und möglichst mithilfe von nicht-medikamentösen Maßnahmen (wie Ernährung und Sport) kontrolliert werden. Diabetiker über 40 Jahre mit LDL-Spiegeln von 70 bis 189 mg/dl sollten mit Statinen behandelt werden.

Nationale Versorgungs­leitlinie Typ-2-Diabetes

Folgende Hinweise gibt die derzeit gültige Fassung der Nationalen Versorgungsleitlinie zur Prävention von Folgeerkrankungen des Typ-2-Diabetes.

Tab. 1: Orientierungsgrößen der Therapieziele
Indikator
Therapieziele
Plasmaglucose (venös) nüchtern
100 – 125 mg/dl (5,6 – 6,9 mmol/l)
Plasmaglucose (venös) 1 bis 2 h postprandial
140 – 199 mg/dl (7,8 – 11 mmol/l)
HbA1c
Zielkorridor von 6,5% bis 7,5% (48 bis 58 mmol/mol), abhängig von individuellen Aspekten z. B. Alter und Komorbidität
Lipide
Zwei Strategien
  • DDG1 / DDIM2: LDL-Cholesterol-Senkung auf Zielwert
    < 100mg/dl (< 2,6 mmol/l)
  • AkDÄ3 / DEGAM4: feste Statindosis in ­Abhängigkeit vom Risiko
Gewichtsabnahme bei Übergewicht
  • BMI von 27 bis 35 kg/m2: ca. 5% Gewichtsabnahme
  • BMI > 35 kg/m2: >10% Gewichtsabnahme
Blutdruck
  • Systolisch: < 140 mmHg
  • Diastolisch: 80 mmHg
1Deutsche Diabetes Gesellschaft 
2Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
3Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft
4Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin

Gewichtsreduktion

In einer Studie mit über 5000 Diabetikern sollte etwa die Hälfte der Teilnehmer ein moderates Sportprogramm von 50 Minuten (Woche 1) bis 175 Minuten pro Woche (Woche 26) absolvieren. Zusätzlich wurden die Patienten angewiesen, ihren Alltag aktiver zu gestalten. Die Interventionsgruppe konnte ihr Körpergewicht bis zum Studienende um 6,0% reduzieren (vs. 3,5% in der Kontrollgruppe). Auch Cholesterinwerte, HbA1c und Taillenumfang verbesserten sich und die Patienten konnten ihre Medikation entsprechend reduzieren. Allerdings konnte nach 9,6 Jahren kein Unterschied in der Zahl kardiovaskulärer Ereignisse festgestellt werden.

Bei der Ernährung wurden jedoch durchaus Auswirkungen festgestellt: Eine mediterrane Diät konnte in der spanischen PREDIMED-Studie das kardiovaskuläre Risiko um 30% senken.

Auch chirurgische Verfahren wurden analysiert. Dabei verloren Patienten nach einem bariatrischen Eingriff (z. B. Magenverkleinerung) im Schnitt 61,2% ihres Übergewichts. Bei 72% konnte die diabetische Stoffwechsellage über zwei Jahre geheilt werden. Der HbA1c sank um 1 bis 3% und 36% der Patienten benötigten auch nach zehn Jahren keine Diabetesbehandlung. Somit erreichte der Eingriff eine bessere glykämische Kontrolle und auch eine größere Reduktion des kardiovaskulären Risikos als eine medikamentöse Therapie. Eine solche Operation kann jedoch trotz weitgehend guter Verträglichkeit zu Komplikationen führen und wird erst ab einem BMI ≥ 35 empfohlen. |

Quellen:

Fox CS., Update on Prevention of Cardiovascular Disease in Adults With Type 2 Diabetes Mellitus in Light of Recent Evidence, Circulation, 5. August 2015

Apothekerin Sarah Katzemich

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