Technologie

Die Tablette aus dem Drucker

Nur Science Fiction oder die Technik der Zukunft?

Foto: nikkytok - Fotolia.com
Von Heiko Schiffter-Weinle | Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis die erste Tablette aus einem 3D-Drucker zugelassen wird und den Weg in die Apotheken findet: Die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA hat nun Spritam® zugelassen, eine orodispersible, hochporöse Tablette mit hohem Wirkstoffanteil, die mit ZipDose®-Technologie im 3D-Druck hergestellt wurde. Ab Frühjahr nächsten Jahres soll das Antiepileptikum Levetiracetam zur Verfügung stehen.

Orodispersible Tabletten werden im Englischen als Orally Disintegrating Tablet (ODT) bezeichnet. Diese Darreichungsform hat in den letzten zwanzig Jahren im Pharmamarkt deutlich an Bedeutung gewonnen. Wie die englische Bezeichnung es bereits andeutet, werden ODTs bei richtiger Anwendung nicht als ganze Tablette geschluckt, sondern zerfallen durch den Zutritt von Speichel bereits in der Mundhöhle in ihre Formulierungsbestandteile. Der Wirkstoff kann dann in Abhängigkeit seiner Löslichkeit in der Speichelflüssigkeit dispergiert oder gelöst vorliegen. Er kann durch die Mundschleimhaut oder nach dem Schlucken durch die Gastrointestinalmembran resorbiert werden. Der besondere Vorteil von ODTs im Vergleich zu herkömmlichen Tabletten ist vor allem in der sogenannten Convenience zu sehen. Orodispersible Tabletten können ohne Wasser eingenommen werden, was sich gerade unterwegs und auf Reisen häufig als nützlich erweist. Darüber hinaus bieten sie auch Personen mit Schluckbeschwerden eine angenehme Möglichkeit der Tabletteneinnahme.

Herstellung von ODTs

Es gibt verschiedene Möglichkeiten orodispersible Tabletten herzustellen. Die gängigste – und wahrscheinlich auch wirtschaftlichste – Möglichkeit ist sicher mittels konventioneller Tablettierung. Hierbei ist besonderes Augenmerk auf die Auswahl der Hilfsstoffe zu legen. Meist kommt aufgrund seines hervorragenden Mundgefühls der Zuckeralkohol Mannitol in Kombination mit dem Supersprengmittel Crospovi­done (quervernetztes Polyvinylpyrrolion) zum Einsatz. Letzteres garantiert den schnellen Zerfall der Tablette in der Mundhöhle. Eine alternative Herstellungstechnologie für orodispersible Tabletten ist die Gefriertrocknung. Hier wird die Arzneistofflösung üblicherweise direkt in die Blisterverpackung gegossen und dann gefriergetrocknet. Nach der Trocknung bleibt so ein hochporöses Lyophilisat mit großer Oberfläche zurück, das sich bei Flüssigkeitszutritt durch den Speichel schnell auflöst.

Vereinfachte schematische Darstellung des 3D-Drucks mit Pulver zur Herstellung der orodispersiblen Tabletten: Als erstes wird die Pulvermischung, die den Wirkstoff enthält, in einer dünnen Schicht auf dem Drucktisch verteilt (1). Dann wird die Bindemittel­lösung mit Hilfe des Druckkopfes auf das Pulver aufgetragen (2). Dadurch werden selektiv die Pulverpartikel zu einer dünnen porösen Schicht verbunden. Diese Schritte werden so oft wiederholt, bis von unten nach oben eine Tablette in der gewünschten Dosierung entstanden ist (3).

Warum nun 3D-Druck?

Sowohl die Tablettierung als auch die Gefriertrocknung haben sich bei der Herstellung von orodispersiblen Tabletten für pharmazeutische Wirkstoffe etabliert. Es stellt sich nun also die Frage, welche Vorteile eine weitere Herstellungstechnologie – und besonders der 3D-Druck – bringt? Die gängigen Herstellungstechnologien für ODTs haben in der Regel einen Nachteil: die Wirkstoffmenge pro Tablette ist limitiert. In der Praxis ist es schwierig, orodispersible Tabletten mit einem Wirkstoffgehalt von über 50 bis 100 mg herzustellen, die trotzdem noch wie gefordert schnell zerfallen, akzeptabel schmecken sowie ein angenehmes Mundgefühl aufweisen. In diesen Bereich soll nun Aprecias ZipDose®- Technologie vorstoßen, die es laut der Firma aus Langhorne (Pennsylvania, USA) möglich macht, bis zu 1000 mg Wirkstoff in eine ODT zu packen, ohne die typischen Eigenschaften der orodispersiblen Tablette negativ zu beeinflussen. Zusätzlich soll die Technologie eine größere Variabilität an Hilfsstoffen im Bereich der Geschmacksmaskierung und der Wirkstoffmodifikation ermöglichen. Grundlage der Technologie ist, dass die orodispersible Tablette nicht mehr gepresst wird oder durch Gefriertrocknung entsteht, sondern mittels 3D-Druck hergestellt wird.

3D-Drucktechniken

Bevor man sich mit Aprecias ZipDose®-Technologie und dem Herstellungsprozess von Spritam® genauer beschäftigt, lohnt es sich, einen Blick auf die gängigsten 3D-Druck-Verfahren zu werfen. Hier gibt es nämlich deutliche Unterschiede, was das technische Setup und die verwendeten Materialien betrifft. Nicht alle dieser Technologien eignen sich für die Herstellung von Arzneiformen.

Stereolithografie

Bei der Stereolithografie wird das gewünschte Objekt mit Hilfe eines Lasers aus einem Fotopolymer hergestellt. Ein Bad oder Becken, das dieses spezielle flüssige Fotopolymer enthält, wird punktuell mit Laserlicht beschossen. So kommt es nach einer gewissen Belichtungszeit durch Vernetzung zur Aushärtung des Polymers in dünnen Schichten gemäß der vorher definierten Positionen. Ist eine Schicht fertig, wird das Objekt weiter ins Fotopolymer-Bad gesenkt und dann auf eine Position zurückgefahren, die der Schichtdicke der nächsten Schicht entspricht. Gegebenenfalls wird das flüssige Fotopolymer noch mit einem Wischer oder Rakel gleichmäßig auf dem schon entstandenen Objekt verteilt, bevor der Laser erneut das Polymer durch Bestrahlung und Vernetzung aushärtet und so die nächste Schicht aufbaut. Stereolithografie gilt als die Mutter aller 3D-Druck-Verfahren und ermöglicht es, sehr präzise und detailreiche Druckobjekte herzustellen. Stereolithografie wird vor allem beim Erstellen von Prototypen im Maschinenbau angewendet, insbesondere in der Automobilindustrie. In der Medizin werden mit Hilfe dieses Verfahrens Skelettstrukturen hergestellt, die dann zum Training vor komplizierten Operationen dienen können. Zur Herstellung von oralen Arzneiformen ist diese Technologie allerdings nicht geeignet, da UV-vernetzbare Polymere in pharmazeutischen Darreichungsformen kritisch gesehen werden.

Fused Deposition Modelling

Eine Möglichkeit, von bereits vordefinierten Polymeren ausgehend zu starten, bietet das Fused Deposition Modelling. Das in ein Filament extrudierte Polymer wird bei diesem Verfahren dem Druckkopf des 3D-Druckers zugeführt und dort bei hohen Temperaturen geschmolzen. Eine Düse im Druckkopf zeichnet die gewünschte Form schichtenweise mit einem Strich aus weichem Kunststoff. Vorteile dieses relativ schnellen Druckverfahrens sind, dass sowohl die 3D-Drucker als auch die Druckmaterialien mittlerweile günstig zu beziehen sind. Standardmaterial für diese Art der Drucktechnik ist meist das synthetische Terpolymer Acrylnitril-Butadien-Styrol, kurz ABS. Hierbei handelt es sich aber nicht um ein pharmazeutisch verwendetes Polymer. Stattdessen wird bei pharmazeutischen Fragestellungen häufig das bioabbaubare Polymer Polymilchsäure (PLA) für dieses Verfahren verwendet. Zur Herstellung von schnell freisetzenden oder langsam freisetzenden Theophyllin-Tabletten haben Forscher der Universität Lancashire in Grossbritannien bereits ein spezielles Arzneistoff-Polymer-Filament unter Verwendung pharmazeutisch akzeptierter Methacrylsäure- und Cellulosepolymere entwickelt. Dieses Filament ermöglicht es, Tabletten mit hoher Dosisgenauigkeit auszudrucken.

Laser-Sintern

Eine weitere Technologie, mit der man dreidimensionale Objekte herstellen kann, ist das Laser-Sintern. Das Rohmaterial aus Kunststoff oder auch Metall wird mit einem Schieber in feiner Schichtdicke auf dem Drucktisch verteilt. Anschließend wird mit einem Laser die Pulverschicht an genau den Stellen erhitzt, die später zum Objekt gehören sollen. Die lokale Wärmeentwicklung führt zum Zusammenschmelzen der Polymer- oder Metallpartikel. Um die nächste Schicht aufzubauen, zieht der Schieber nun wieder eine neue Pulverschicht über die vorherige. So entsteht Schicht für Schicht das gewünschte Objekt. Ein Vorteil dieses Verfahrens ist, dass auch Werkstoffe wie Metall verarbeitet werden können.

3D-Druck mit Pulver

Eine Variante des Laser-Sinterns ist der 3D-Druck mit Pulver. Auch hier wird zuerst eine feine Schicht Pulver mit einem Schieber auf dem Drucktisch verteilt. Der Druckkopf ist vom Design her ähnlich dem eines Tintenstrahldruckers aufgebaut. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass anstelle von Tinte eine flüssige Klebstoff- oder Bindemittel-­Lösung an den gewünschten Stellen auf das Pulverbett aufgetragen wird. Die Pulverpartikel der ersten Schicht verkleben so miteinander. Anschließend wird eine weitere Schicht Pulver mit einem Rakel über der ersten Schicht verteilt und auch hier werden die Pulverpartikel miteinander sowie mit der darunterliegenden Schicht verklebt. Der Vorgang wiederholt sich nun so lange, bis Schicht für Schicht das gewünschte Objekt aufgebaut ist. Bei diesem Verfahren können unterschiedliche Materialen eingesetzt werden, auch die typischen pharmazeutischen Hilfsstoffe, die schon bei der konventionellen Tablettenherstellung verwendet werden. Es verwundert deshalb nicht, dass Aprecias ZipDose®-Technologie genau dieses Druckverfahren zur Herstellung orodispersibler Tabletten verwendet.

Blick auf die Herstellung von Spritam®

In Aprecias US-Patentanmeldung 2014/0271862 A1 wird die Herstellung der orodispersiblen Tablette hinreichend detailliert beschrieben. Die Pulvermischung besteht aus dem Wirkstoff Levetiracetam, mikrokristalliner Zellulose, Mannitol und kolloidalem Siliziumdioxid. Die Bindemittellösung enthält Povidon K29/32 (Polyvinylpyrrolidon) als Bindemittel, Sucralose als Süßstoff, Glycerin als Feuchthaltemittel, Polysorbat 20 als oberflächenaktive Substanz sowie natürliches und künstliches Pfefferminzaroma. Als Lösungsmittel werden laut Patentanmeldung Wasser und Isopropanol eingesetzt. Der Formulierung ist Butylhydroxyanisol (BHA) als Antioxidans zugesetzt. Levetiracetam ist in Dosierungen von 250, 500, 750 und 1000 mg enthalten.

Hergestellt wird die Tablette, wie oben schon beschrieben, mittels 3D-Druck mit Pulver. Hierbei werden die Pulverpartikel in mehreren Schichten – gemäß Patentanmeldung ist davon auszugehen, dass es sich je nach Dosierung um 25 bis 50 Schichten mit einer Schichtdicke von etwa 200 bis 250 µm handelt – mit der Bindemittellösung miteinander verklebt. Die Bindemittel-Lösung wird mittels des Druckkopfs in Flüssigkeitströpfchen mit einem Volumen von 70 bis 90 Picoliter punktuell mit definierter Auflösung (ähnlich wie bei 2D-Tintenstrahldruckern) auf jede Pulverschicht aufgetragen. Nach dem eigentlichen Druck wird überschüssiges, nicht gebundenes Pulver von der Tablette entfernt sowie eventuell vorhandenes Restlösemittel weggetrocknet. Zurück bleibt eine poröse orodispersible Tablette, die in der Patentanmeldung mit einer Dichte von 0,877 g/cm3 und einer Bruchfestigkeit zwischen 24,5 und 52,0 Newton spezifiziert ist. Die Zerfallszeit im Mund bei Einnahme mit einem Schlückchen Wasser liegt laut amerikanischer Fachinformation im Mittel bei elf Sekunden. In Abhängigkeit von der Levetiracetam-Dosierung variiert die Tablettengröße.

3D-Drucker in der Apotheke?

Dreidimensionales Drucken ist keineswegs eine neue Erfindung, jedoch hat diese Technologie besonders in den letzten Jahren durch Fortschritte in den zu verarbeitenden Materialien sowie in der Geschwindigkeit und dem Anschaffungspreis der Drucker rasant an Fahrt gewonnen. In der Automobil- sowie der Luft- und Raumfahrtindustrie werden 3D-Drucktechniken bereits zur Fertigung von Prototypen oder Produkten in niedrigen Stückzahlen eingesetzt. In der Medizin hingegen werden diese immer wieder als Grundlage für die personalisierte Medizin der Zukunft diskutiert, das heißt der 3D-Druck soll dort eingesetzt werden, wo im Ex­tremfall ein Produkt nur einmal individualisiert hergestellt wird. Hierbei könnte es sich um den Druck von Schienen oder Prothesen für die Extremitäten, Knochen, Zahnstrukturen, aber auch um Organstrukturen, patientenspezifische Implantate oder gar Medikamente handeln. Jedoch ist im Bereich der Medizintechnik oder der Herstellung von Arzneiformen der Einsatz deutlich komplizierter als zum Beispiel in der Auto­mobilindustrie. Dies hängt vor allem mit den hohen Qualitätsanforderungen an die biokompatiblen Polymere, die zum Druck eingesetzt werden, sowie mit der Zulassung/Freigabe der gedruckten Produkte für den Einsatz beim Patienten zusammen. Beide Aspekte verursachen signifikante Kosten, so dass sich hier schnell die Frage der Wirtschaftlichkeit und Kostenübernahme stellt.

Bleibt also zum Schluss noch die Frage, ob in nächster Zukunft standardmäßig 3D-Drucker in Krankenhäusern, Arztpraxen oder Apotheken stehen werden, an denen die Arzneimittel direkt für den Patienten ausgedruckt werden können. Die Antwort ist wohl eher nein. Auch wenn der 3D-Druck auf den ersten Blick recht einfach aussieht, so ist neben der nicht unerheblichen finanziellen Investition für einen High End Drucker auch Expertenkenntnis für die gesamte Prozesskette von der Formulierung über den Druck bis hin zur Qualitätskontrolle notwendig. Die einzelne Arztpraxis oder Apotheke wird dies nicht ohne Weiteres parallel zum Alltagsgeschäft leisten können. Denkbar ist jedoch, dass Fachzentren großer Universitätskliniken oder einige spezielle Dienstleistungszentren in diesen Bereich vorstoßen. Die Massenproduktion von Arzneiformen, wozu auch die industrielle Tablettierung gehört, wird der 3D-Druck sicher nicht ersetzen, eventuell aber ergänzen. |

Literatur

Jacob J et al. Rapid Disperse Dosage Form Containing Levetiracetam. US Patent Application Publication, Pub. No.: US 2014/0271862 A1, Pub. Date 18. September 2014

Yoo J et al. Three-Dimensional Printing System and Equipment Assembly. United States Patent, Patent No. 8888480, Date of patent: 1. November 2014

König P, Barczok A. Ideen materialisieren. c’t 2011;15:84–94

Spritam Full Prescribing Information. Drugs@FDA - FDA Approved Drug Products, Reference ID 3800218, 31. Juli 2015, www.accessdata.fda.gov

ZipDose® Technology. Internetseite besucht am 26. August 2015. (www.aprecia.com/zipdose-platform/zipdose-technology.php).

Ambacher N, Carl M, Knapp D. Personalisierte Medizin der Zukunft. Trendstudie des 2b AHEAD ThinkTanks. Leipzig, veröffentlicht am 29. Mai 2015 (www.2bahead.com/studien/trendstudie/detail/trendstudie-personalisierte-medizin)

Khaled SA et al. Desktop 3D printing of controlled release pharmaceutical bilayer tablets. Intern J Pharmaceutics 2014;461:105–111

Pietrzak K et al. A flexible-dose dispenser for immediate and extended release 3D printed tablets. European Journal of Pharmaceutics and Biopharmaceutics 2015. In Press. Available online 12. August 2015


Autor

Prof. Dr. Heiko A. Schiffter-Weinle

Pharmaziestudium in Heidelberg, Promotion in Erlangen in pharmazeutischer Technologie, Postdoktorat und Lecturer in Bioingenieurwesen an der Universität Oxford, von 2012 bis 2015 tätig im Bereich Forschung und Entwicklung von pharmazeutischen Hilfsstoffen bei der BASF SE, seit September 2015 Professur für Galenik / Pharmazeutische Technologie an der Technischen Hochschule in Köln.

Das könnte Sie auch interessieren

Noch zahlreiche Hürden für die breite Anwendung

3D-Druck in der Arzneimittelherstellung

Hot Melt Extrusion / Fused Deposition Modeling

Ein Schritt näher an der Tablette aus dem Apotheken-Drucker

Welche Möglichkeiten diese Technologie bietet

Individualisierte Medizin mit 3D-Druck

Technologien sind da, aber sie werden nicht genutzt

Arzneimittel aus dem Drucker

3D-Pharmakotherapie 

Pillen aus dem Drucker

Grundlagenforschung ebnet Weg für individualisierte Therapie

Medikamente aus dem Drucker

FDA erteilt Zulassung

Erste Tablette aus dem 3D-Drucker

Bindemittel, Filmcoating oder Gefriertrocknung

Frischer Weihnachtsbaum dank pharmazeutischer Technologie

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.