Arzneimittel und Therapie

Die Lustpille für die Frau ist da

Zur Zulassung von Flibanserin in den USA

jb | Vergangene Woche hat die amerikanische Zulassungsbehörde ­Addyi™zugelassen. Das Präparat mit dem Wirkstoff Flibanserin, soll Frauen, die unter „Hypoactive Sexual Desire Disorder“ also unter ­einem Mangel an sexuellem Ver­langen leiden, wieder Lust auf Sex machen. Addyi™ wird auch als Pink Viagra oder Lustpille für die Frau bezeichnet. Während das Präparat von den einen gefeiert wird, sehen es andere eher kritisch, unter anderem wegen der Nebenwirkungen und der verhältnismäßig eingeschränkten Wirksamkeit.

Der gemischte Serotonin-Agonist/-Ant­agonist (Agonist an 5-HT1A und Antagonist an 5-HT2A Rezeptoren) wurde ursprünglich von Boehringer Ingelheim als Antidepressivum entwickelt. Während der Studien stellte sich dann heraus, dass Flibanserin zwar gegen Depressionen wirkungslos war, aber eine interessante Nebenwirkung hatte: es steigerte bei Frauen das sexuelle Verlangen, das bei Depressiven häufig nicht vorhanden ist. Daraufhin wurden Studien zur Wirksamkeit bei ­sexuellen Appetenzstörungen von Frauen („Hypoactive Sexual Desire Disorder“, HSDD) begonnen. Die Zu­lassung wurde allerdings von der FDA abgelehnt, Boehringer stieg aus und verkaufte die Rechte an Sprout Pharmaceuticals.

Die Zulassung gelang dann erst im dritten Anlauf. Die im Vergleich zum überschaubaren Nutzen großen Sicherheitsbedenken, unter ­anderem wegen des großen ­Interaktionspotenzials, gaben den Ausschlag für die zweite Ablehnung. Interaktionen am CYP3A4-Enzym ­hatten nämlich in einigen Fällen zu signifikanten Blutdruckabfällen geführt. Im dritten Versuch konnte man die FDA dann letztendlich überzeugen. Laut den vorgelegten Unterlagen soll Flibanserin im Vergleich zu Plazebo die Anzahl der sexuell befriedigenden Momente (SSE „satisfying sexual events“) von circa zwei bis drei SSE pro Monat um etwa 0,5 bis 1,0 SSE steigern. ­Zudem sah man einen Anstieg beim Female-Sexual Function-Index nach Flibanserin-Gabe von im Mittel 1,8 bis 1,9 Punkten um 0,3 bis 0,4 Punkte (Maximum ist 6,0, Minimum 1,2). Und auch der Distress-Score, der eine Skala von null bis vier Punkten umfasst, veränderte sich zum Positiven und zwar von 1,8 bis 1,9 um 0,3 bis 0,4 Punkte. Insgesamt hat Flibanserin in den Zulassungsstudien 40 bis 60% der Anwenderinnen geholfen.

Achtung Interaktionen

Diese Wirkung erkauft man sich mit relativ gravierenden Nebenwirkungen. Der Wirkstoff, der seine Wirkung im präfrontalen Cortex entfaltet, verursachte bei 10 bis 11% der Anwenderinnen Schwindel, Übelkeit, Schläfrigkeit, Erschöpfung, im Gegensatz zu 2 bis 5% unter Placebo. Zudem birgt Flibanserin ein erhebliches Wechselwirkungspotenzial. Zum einen interagiert die Substanz mit mittelstarken und starken CYP3A4-Inhibitoren und mit Alkohol. Bei zeitgleicher Anwendung besteht ein erhöhtes Risiko für schwere Hypotonien bis hin zu Synkopen. Daher untersteht Addyi™ in den USA einer besonderen Risikoüberwachung (risk evaluation and mitigation strategy – REMS). Ärzte und Apotheker müssen, um REMS-Arzneimittel abgeben zu dürfen, speziell zertifiziert sein. Auf der Arzneimittelpackung ­befindet sich zudem ein Warnhinweis, der auf die Interaktionen mit Alkohol und den CYP3A4-Inhibitoren sowie die Kontraindikation bei eingeschränkter Leberfunktion aufmerksam macht.

Worauf genau die Steigerung der sexuellen Lust beruht, weiß man laut einer Pressemeldung der FDA allerdings nicht. Der Vergleich mit Viagra® hinkt aber in jeder Hinsicht. Zum einen behebt der PDE5-Inhibitor Sildenafil, die „blaue Pille“, eine funktionelle ­Störung, zum anderen kann hier die Einnahme bei Bedarf erfolgen. „Pink Viagra“ muss dauerhaft jeden Abend angewendet werden. Stellt sich nach zwölf Wochen keine Wirkung ein, soll das Präparat abgesetzt werden.

Geteilte Meinung

Auch wenn für Europa noch kein Zulassungsantrag vorliegt, schlägt das Präparat auch hier schon hohe Wellen und spaltet die Experten. Während laut einer Meldung der Deutschen Presseagentur (dpa) Prof. Manfred Schubert-Zsilavecz von der Universität Frankfurt sich gegenüber Addyi aufgeschlossen zeigt und den Wirkstoff Flibanserin mit seiner Wirkweise im zentralen Nervensystem für „bemerkenswert“ hält, sieht die Fernseh-Sex-Expertin“ Ann-Marlene Henning („Make Love“, ZDF) keinen Grund zur Freude für Frauen. Wer denn freiwillig ein Psychopharmakon einnehmen möchte, um mehr Lust zu haben, fragt sie. Das sei so ein Eingriff in den ­Körper. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung, Jakob Pastötter, warnt gegenüber der dpa vor zu hohen Erwartungen. Aus Erfahrung mit Viagra wüssten Sexualtherapeuten, dass sich viele der eigentlichen Probleme nicht durch Medikamente lösen ließen. |

Quellen:

FDA approves first treatment for sexual desire disorder: Addyi approved to treat premenopausal women; Pressemeldung vom 18.08.2015

http://www.fda.gov/downloads/advisorycommittees/committeesmeetingmaterials/drugs/reproductivehealthdrugsadvisorycommittee/ucm452159.pdf

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