Die Seite 3

Ein Wesenskern

Dr. Benjamin Wessinger, Chefredakteur der DAZ

Rezepturen anzufertigen ist in vielen Apotheken nicht (mehr) besonders beliebt – auch (oder vielleicht besonders), weil es sich betriebswirtschaftlich nicht rechnet. Für Apotheken, die sehr viele Rezepturen herstellen, kann die Defektur die wirtschaftlichen Probleme wenigstens lindern. Auch wenn die neue Apothekenbetriebsordnung neue Prüfungs- und Dokumentationspflichten gerade für Defekturen mit sich gebracht hat, kann die Effizienz mithilfe der „Serienherstellung“ erheblich gesteigert werden.

Doch nun lässt der deutsche Bundesgerichtshof durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) prüfen, ob das Europarecht überhaupt die Abgabe von in der Apotheke hergestellten Arzneimitteln ohne Zulassung zulässt (s. „Ist die Defektur europarechtskonform?“, S. 22 dieser DAZ). Sollte dies verneint werden, würde das – siehe oben – einen letzten Ausweg verschließen, Arzneimittel ­einigermaßen betriebswirtschaftlich herstellen zu können.

Mit der Rezeptur steht hier ein Wesenskern des Apothekerberufs zur Debatte. Denn Apotheker sind eben nicht nur Arzneimittel-Händler, sondern auch -Hersteller, hier liegt der Ursprung ihres Berufs. Und auch wenn die Bedeutung der Arzneimittelherstellung in der Apotheke heute stark geschrumpft ist, so ist diese doch in vielen Fällen immer noch sinnvoll und oft sogar dringend notwendig. Denn immer noch gibt es gerade für Kinder nicht alle Fertigarznei­mittel in allen benötigten Wirkstärken. Hier kann die patientenindividuelle Herstellung, beispielsweise von Kapseln, eine Lösung sein.

Doch auch vergleichsweise „banale“ Rezepturen haben ihre Berechtigung, ermöglichen sie doch eine individuelle Therapie. Umso verwunderlicher, dass ausgerechnet der Präsident der Bundesapothekerkammer immer wieder einer stärkeren Standardisierung der Rezepturen das Wort redet. Natürlich haben wissenschaftlich anerkannte Rezeptur-Formularien wie das NRF große Vorteile, beispielsweise wenn die pharmazeutische Plausibilität (nicht aber die therapeutische!) nicht mehr geprüft werden muss. Aber widersprechen sich standardisierte Rezepturen und patientenindividuelle Arzneimittel nicht gerade?

Auch berufspolitisch könnte dieser Weg ein abschüssiger sein: Die Anfertigung von Standardrezepturen schreit geradezu nach einer zentralisierten Herstellung in einigen wenigen, spezialisierten Apotheken. Das aber widerspricht diametral dem mit der letzten Novellierung der Apothekenbetriebsordnung noch einmal bestätigten (und absolut richtigen!) Grundsatz, dass jede Apotheke jede übliche Rezeptur anfertigen können muss.

Statt also dem weiteren Abbau der apothekerlichen Kernkompetenz Rezeptur und Defektur (indirekt) das Wort zu reden, sollten die Kompetenzen auf diesem Feld gestärkt werden – durch eine stärkere Berücksichtigung im Studium, durch Fortbildungen, auch durch engere Kontrollen der Qualität der hergestellten Arzneimittel. Vor allem aber muss mit aller Kraft für eine ausreichende Vergütung der Arzneimittelherstellung in der Apotheke gekämpft werden. Denn wenn die Querfinanzierung solcher Tätigkeiten nicht mehr durch ein ausreichend hohes Packungshonorar gewährleistet ist, muss die konkrete Leistung bezahlt werden. Absolut unverständlich bleibt in diesem Zusammenhang, warum bei der Abgabe eines selbst hergestellten Arzneimittels die Beratung, anders als bei einem industriell gefertigten Präparat, nicht honoriert wird!

Dr. Benjamin Wessinger

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