Arzneimittel und Therapie

Patienten von Beginn an sensibilisieren

Zu den Möglichkeiten, wie die Apotheke Patienten unter ambulanter Neuroleptika-Therapie unterstützen kann, befragten wir Dr. med. Volker Obrikat, Oberarzt am Psychiatrischen Zentrum Rickling des Landesvereins für Innere Mission in Schleswig-Holstein.

Dr. med. Volker Obrikat, FA für Psychiatrie und Psychotherapie

DAZ: Ist die Gewichtszunahme unter Neuroleptika, über die man in Studien und Reviews liest, tatsächlich bei der Mehrzahl der Patienten ein Problem?

Obrikat: Ja, es ist ein Problem, aber man muss hier differenzieren. Zum einen ist es abhängig von den Substanzen: Wirkstoffe wie Olanzapin, Clozapin, Quetiapin und Risperidon, bei den Antidepressiva Mirtazapin, haben erwiesenermaßen ein höheres Risiko. Auch die Einnahmedauer spielt natürlich eine Rolle. In vielen Studien lag der Beobachtungszeitraum bei 12 Wochen, das ist relativ kurz. Viele Patienten nehmen vor allem im Laufe der ersten ein bis zwei Jahre unter Neuroleptika zu, meistens um etwa fünf bis zehn Prozent ihres Ausgangsgewichts. Doch häufig spielen auch der Patient und seine Erkrankung eine große Rolle. Es gibt Patienten, die massiv an Gewicht zunehmen und die sich gleichzeitig auffallend wenig beklagen. Andererseits gibt es einige, die wenig zunehmen und sich sehr beklagen. Die eigene Wahrnehmung und die Motivation, etwas gegen eine Gewichtszunahme zu unternehmen, sind individuell unterschiedlich ausgeprägt und werden durch die Krankheit mit beeinflusst. Patienten mit affektiven Störungen sind nach meiner Einschätzung häufig sensibler gegenüber dem Problem Gewichtszunahme. Patienten mit einer chronischen psychotischen Erkrankung und einer auffallenden Minus-Symptomatik dagegen können manchmal etwas indifferenter und sogar unkritischer sein, das ist sehr unterschiedlich. Und natürlich spielt auch die Frage der Ernährung eine große Rolle. Patienten mit chronischen psychotischen Erkrankungen neigen dazu, sich eher ungesund, also kohlenhydratreich, zu ernähren und sich zudem wenig zu bewegen. Und vor allem auch junge Menschen mit affektiven oder posttraumatischen Störungen oder Borderline-Syndrom, bei denen man schon relativ früh mit neuroleptischer Therapie beginnen muss, stehen vor einem großen Problem, wenn sie schon in relativ jungen Jahren durch die Arzneimittel viel zunehmen.

DAZ: Was unternehmen Sie in Ihrer Klinik, damit Patienten unter Neuroleptika nicht übermäßig viel an Gewicht zunehmen?

Obrikat: Wir führen Ernährungsberatungen durch und empfehlen eine eiweiß- und ballaststoffreiche Ernährung, pflanzliche anstelle von tierischen Fetten. Patienten unter Neuroleptika raten wir vor allem, bei den Kohlenhydraten vorsichtig zu sein, Süßigkeiten zu meiden. Unglücklicherweise ist bei ihnen und besonders auch bei Depressiven der Hunger auf Zucker unheimlich hoch, er wird durch die Arzneimittel noch stimuliert. Einige bekommen regelrechte Hungerattacken, denen sie sich kaum entziehen können. Da können schon extreme Beeinträchtigungen auftreten. Die Patienten sagen dann häufig, ich esse doch gar nicht viel, ich meide Zucker, und trotzdem nehme ich weiter zu. In solchen Fällen sollte eine medikamentöse Umstellung versucht werden.

DAZ: Wie kann der Apotheker ambulante Patienten in der Langzeittherapie unterstützen?
Obrikat: Wer in den ersten Wochen unter einem Neuroleptikum schon eine Gewichtszunahme von einem Kilogramm hat, gehört mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Risikogruppe und wird noch weiter zunehmen. Daher kann der Apotheker ambulante Patienten darin unterstützen, ihr Gewicht von Beginn an zu kontrollieren. Denn gerade in der Einstellungsphase kann man häufig auf eine alternative medikamentöse Behandlung umstellen. Dafür wäre es schon wichtig, eine Gewichtszunahme zu erfassen, und nicht erst zu warten, bis eine solche von 10, 20 kg eingetreten ist. Wenn Patienten dazu angehalten werden, ihr Gewicht von Anfang an zu kontrollieren, bekommen sie auch die Chance, eine gewisse Sensibilität dafür zu entwickeln. Es gibt Patienten – das sind die meisten –, die von vornherein sehr sensibel damit umgehen. Sie sagen zu ihrem Arzt gleich: Egal, welches Medikament Sie mir verschreiben, ich nehme auf keinen Fall eins ein, das dick macht! Aber es gibt auch die, die da eher unkritisch sind, denen muss man sagen, schauen Sie auf Ihr Gewicht, schreiben Sie es auch auf. Für den Arzt ist es auf jeden Fall besser, wenn der Patient Zahlen mitbringt, als wenn er zum Arzt sagt: Ich glaube, ich habe zugenommen, aber so genau weiß ich das nicht. Der Apotheker kann auch auf Programme zur Ernährungsberatung verweisen, die viele Krankenkassen anbieten. Im niedergelassenen Bereich gibt es auch die Möglichkeit einer ambulanten Betreuung durch einen Therapeuten, der die Patienten zu Hause aufsucht und sie ggf. auch in eine ambulante Beratungsstelle oder Begegnungsstätte mitnimmt. Das funktioniert dann ähnlich wie in der Tagesklinik, es findet nur nicht täglich statt, sondern ca. einmal pro Woche. In den Begegnungsstätten werden auch Sportaktivitäten angeboten, zum Beispiel Nordic Walking. Das nehmen auch viele Patienten gerne an. Man muss aber auch berücksichtigen, dass Patienten mit Antriebsstörungen und Lustlosigkeit, also ausgeprägten Minussymptomen, manchmal schwer zu motivieren sind. Auch bei denen mit Schlafstörungen, die ein Schlafdefizit haben, kommen sie nicht weit mit Bewegungsprogrammen. Auf jeden Fall kann der Apotheker Hilfe zur Selbsthilfe geben. Dies sollte möglichst schon frühzeitig erfolgen und nicht erst dann, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Zu Behandlungsbeginn lässt sich da bereits viel anbahnen.

Auch ein Problem: Gewichtsabnahme unter Psychopharmaka

Beim Themenkomplex Körpergewicht und psychiatrische Erkrankungen steht meistens die Gewichtszunahme im Fokus. Doch ebenso können Patienten mit Schizophrenie, Depressionen oder Demenz von unerwünschter Gewichtsabnahme betroffen sein. Schwer depressive Patienten leiden häufig unter Appetitlosigkeit und haben wenig Antrieb, einzukaufen oder sich Mahlzeiten zuzubereiten.

Bei Schizophrenie-Patienten mit stark ausgeprägten Negativ-Symptomen wie Antriebslosigkeit, Apathie und sozialem Rückzug besteht ebenfalls das Risiko für eine Gewichtsabnahme.

Unter Antidementiva sind Mundtrockenheit und Gewichtsverlust bekannte Nebenwirkungen; die Gewichtsabnahme kann aber auch durch die Erkrankung selbst bedingt sein, beispielsweise weil der Patient bestimmte Lebensmittel plötzlich ablehnt, sie nicht mehr erkennt und/oder zu bestimmten Handlungen (Belegen eines Brotes, Benutzen von Besteck) nicht mehr in der Lage ist. Erhält er hierbei keine adäquate Unterstützung, ist das Risiko für eine Mangelernährung sehr hoch. Werden Kinder und Jugendliche mit Psychostimulanzien wie Ritalin behandelt, verringert sich ihr Appetit und das Risiko für Wachstums- und Entwicklungsstörungen steigt.

DAZ: Welche Bedeutung haben die metabolischen Veränderungen, die häufig unter Neuroleptika auftreten?

Obrikat: Das ist ein wichtiger Punkt. So gibt es beispielsweise unter Neuroleptika Patienten, die zwar relativ wenig an Gewicht zunehmen, aber eine pathologische Glucosetoleranz entwickeln oder deutliche Erhöhungen der Lipide (vor allem die Triglyceride sind hier betroffen), darauf muss man achten. Häufig läuft das ja parallel, aber es kann auch entkoppelt sein. Es gibt dagegen auch medikamentöse Optionen, die allerdings off label sind. Metformin kann man versuchen, die Glucoseaufnahme wird dadurch vermindert, auch Opiatantagonisten helfen manchmal. Eine weitere Möglichkeit, die propagiert wird, ist das Topiramat, eigentlich ein Antikonvulsivum. Solche Mittel werden in der Psychiatrie ja auch als stimmungsstabilisierende Medikamente eingesetzt. Studien haben gezeigt, dass Topiramat eine Neuroleptika-induzierte Gewichtszunahme wieder zur weitgehenden Rückbildung bringen kann. Das Problem: Es hat häufig auch psychische Nebenwirkungen, kann Psychosen verschlimmern. In einem solchen Fall stellt man eher auf die weniger problematischen Substanzen um. Zu den Neuroleptika mit einem relativ geringen Risiko für Gewichtszunahme zählen Aripiprazol, Ziprasidon, Amisulprid, der Klassiker Haloperidol oder das neuere Asenapin.

DAZ: Herr Dr. Obrikat, herzlichen Dank für das Gespräch! |

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