Arzneimittel und Therapie

Ist die Gefahr, dass unter den Mukolytika Ambroxol oder Bromhexin schwere allergische Reaktionen auftreten, wirklich so groß, dass die Anwendung entsprechender Präparate eingeschränkt werden muss? Sind vor allem Kinder besonders gefährdet?

Keine Rezeptpflicht für Ambroxol

Neue Warnhinweise vom PRAC

Mit diesen Fragen hat sich das Pharmacovigilance Risk Assessment Committee (PRAC) der EMA beschäftigt und kommt zu dem Schluss, dass das Risiko für schwere allergische Reaktionen zwar nicht ausgeschlossen, aber gering ist. Empfohlen wird eine Anpassung der Produktinformationen. Hier soll auf das Risiko schwerer allergischer Reaktionen wie ein Erythema multiforme und ein Stevens-Johnson-Syndrom hingewiesen werden – verbunden mit der Aufforderung, bei Auftreten von entsprechenden Symptomen sofort die Medikation abzusetzen. Die PRAC-Empfehlung wird jetzt an die Coordination Group for Mutual Recognition and Decentralised Procedures – Human (CMDh) weitergeleitet, die eine abschließende Stellungnahme abgeben wird. Prof. Dr. Harald G. Schweim, Universität Bonn, Drug Regulatory Affairs, kritisiert das Verfahren (s. nachfolgenden Kommentar). |

Das PRAC kreißte und gebar eine Maus? 

Ein Kommentar

Mit Datum vom 12. Januar 2015 hat das PRAC [1] die lange Hängepartie beendet und das Geheimnis gelüftet: „PRAC considers risk of severe allergic reactions with ambroxol- and bromhexine-containing medicines to be small. Update of product information is recommended”.

Kann man sich jetzt beruhigt zurücklehnen und zu dem Schluss kommen, das PRAC hat zu einer ausgewogenen Meinung und einem abgewogenen Urteil gefunden? Vordergründig ja, die Entscheidung ist hinnehmbar. Und dennoch ist sie ein „fauler Kompromiss“, wenn man hinter die Kulissen schaut. Die belgische Arzneimittelbehörde AFMPS hatte die Prüfung gefordert, weil zunehmend allergische Reaktionen auf die beiden Schleimlöser Ambroxol und Bromhexin zu beobachten seien. Insgesamt habe es europaweit 1200 Meldungen zu Überempfindlichkeitsreaktionen gegeben, in 132 Fällen sei von anaphylaktischen Schocks berichtet worden. Nach Zahlen von Insight Health liegt Ambroxol je nach Jahreszeit auf Platz 1 oder 2 unter den bei Erkältungskrankheiten eingesetzten Mitteln. Zwölf Millionen Packungen mit dem Wirkstoff wurden 2012 abgegeben. Man setze ins Verhältnis: 1200 Meldungen, 132 Anaphylaxien auf 12.000.000 Packungen. Schon eine „Milchmädchenrechnung“ zur Verdeutlichung ergibt 0,001% als Nebenwirkungsrate und 0,0001% als möglicherweise schwer. Im Verhältnis zur Anwendungshäufigkeit sind das sehr kleine Zahlenwerte. Im Vergleich: ASS hat nach Angaben von Bayer [2] eine Nebenwirkungsrate von 9,4% (Placebo 4,2%) bei gastrointestinalen Nebenwirkungen.

Das Produkt ist also meines Erachtens außerordentlich sicher. Warum reagiert das PRAC überhaupt auf die Bedenken der AFMPS? Das ist nur mit Arzneimittelpolitik der Zulassungsbehörden untereinander zu erklären. Wenn eine (Kollegial-)Behörde solche Bedenken erhebt, kann man sie doch nicht „im Regen stehen lassen“ und die Bedenken als „wissenschaftlich unsinnig“ erklären. Also „muss man Aktion zeigen“. Im Grunde ist die PRAC-Meldung aber genau diese „Ohrfeige“ für die Belgier, nur anders formuliert. Das wird noch klarer, wenn man weiß, dass die Belgier im PRAC aktiv für eine Marktrücknahme gekämpft haben. Vermutlich wären sie damit sogar weit gekommen und hätten sich – ich betone ohne wissenschaftliche Evidenz – sogar durchgesetzt, hätte nicht die Firma Boehringer in vorbildlicher Weise diesen „Altarzneistoff“ gepflegt und ständig weiter beforscht. Dadurch, und nur dadurch, war es Boehringer möglich, eine Flut von Daten aus neueren Studien dem PRAC vorzulegen, die alle das ausgezeichnete Sicherheitsprofil des Stoffes belegten. Ich würde mir wünschen, dass andere Firmen für generikafähige „Altstoffe“ vergleichbaren Aufwand trieben, dann wäre uns unter Umständen manche PRAC-Fehl­entscheidung erspart geblieben und würde in der Zukunft, ich antizipiere, das PRAC ist noch nicht am Ende seiner Listen, erspart bleiben.

Eine besondere Pikanterie, deren Hintergrund ich mir noch nicht völlig erklären kann, ist übrigens, dass ausgerechnet die Belgier an der aktuellsten Zulassung für ein Ambroxol-­Präparat [3] beteiligt waren. In Belgien heißt das Produkt „Mucoangin®menthe“, in Deutschland „Muco­angin® gegen Halsschmerzen“. Die Zulassung in Deutschland datiert vom 7. August 2014. Am 11. April 2014 wurde das jetzt (vorläufig?) abgeschlossene Verfahren auf Initiative der Belgier gestartet.

Quelle

[1] PRAC considers risk of severe allergic reactions with ambroxol- and bromhexine-containing medicines to be small. Mitteilung der EMA 796499/2014 vom 12. Januar 2015

[2] Neue Metaanalyse bestätigt: Acetylsalicylsäure ist gut verträglich: „Klassiker der Schmerztherapie“ überzeugt erneut bei Wirksamkeit und Verträglichkeit. Aspirin® Newsletter 2/2013, herausgegeben von der Bayer Vital GmbH, Leverkusen, Stand 01/2012

[3] Mucoangin® gegen Halsschmerzen, Minze, Lutschtabletten. Gebrauchsinformation, Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG

Prof. Dr. Harald G. Schweim, Universität Bonn, Drug Regulatory Affairs

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