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Fragen und Antworten zur „Pille danach“

Ab wann gilt die Rezeptfreiheit? Bestehen Haftungsrisiken? Gibt es eine Altersgrenze?

ks/jz |Die Entscheidung der EU-Kommission war eigentlich klar: ­ellaOne® ist europaweit rezeptfrei in Apotheken zu bekommen. Und doch stellen sich einige Fragen – auch rechtlicher Art – bei der Umsetzung. Im Folgenden geben wir Ihnen einige Hinweise.

Können ellaOne® und PiDaNa® schon jetzt rezeptfrei abgegeben werden?

Was Levonorgestrel-haltige Präparate betrifft, ist die Antwort klar: nein. Für diese national zugelassenen Arzneimittel muss zunächst die Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) geändert werden. Dies will das Bundesgesundheitsministerium (BMG) zwar schnell veranlassen – dennoch braucht das Verfahren im Normalfall seine Zeit. Die Verordnung muss vom Bundesrat abgesegnet werden, was frühestens bei seiner nächsten Sitzung am 6. Februar geschehen könnte, realistischer dürfte jedoch der darauf folgende Sitzungstermin am 6. März sein. Hinsichtlich der Ulipristalacetat-haltigen ellaOne® ist die Antwort hingegen keineswegs so klar: Die ABDA hält auch für dieses zentral von der EMA zugelassene Präparat zunächst eine Änderung der AMVV für notwendig, um es verschreibungsfrei zu stellen. Der Hersteller HRA meint dagegen, Apotheken seien auch schon ohne diese Anpassung berechtigt, ellaOne® abzugeben. Bislang empfiehlt er die Abgabe jedoch nicht (siehe auch unser Interview mit HRA-Geschäftsführer Klaus Czort auf S. 24) – obwohl HRA ein mit seiner Aufsichtsbehörde, dem Regierungspräsidium Arnsberg, abgestimmtes Informationsschreiben für die Apotheken bereit hält, nach dessen Erhalt die Apotheken nach Auffassung des Unternehmens loslegen könnten. Die erhoffte Klarstellung aus dem BMG stand bis Redaktionsschluss dieser DAZ-Ausgabe aus. Das Ministerium verweist lediglich darauf, dass die Situation noch geprüft werde und es Ziel sei, beide Präparate zugleich aus der Rezeptpflicht zu entlassen. Das ginge im Grunde nur, wenn man auf dem Standpunkt steht, dass die AMVV auch für beide Präparate zunächst zu ändern ist. Die EU-Kommission wiederum erklärte, ihre Entscheidung zu ellaOne® trete mit Veröffentlichung im EU-Arzneimittelregister – die am 9. Januar erfolgte – in Kraft. Und Entscheidungen zu Medikamenten, die das zentrale EU-Zulassungsverfahren durchlaufen haben, gelten prinzipiell direkt für alle 28 EU-Staaten. Allerdings lässt der Humanarzneimittel-Kodex den EU-Staaten Spielraum, abweichende nationale Regeln zu erlassen, die den Verkauf oder Gebrauch empfängnisverhütender oder schwangerschaftsunterbrechender Arzneimittel einschränken. Angesichts dieser unklaren Lage, sollten die derzeit noch als verschreibungspflichtig gekennzeichneten ellaOne®-Packungen noch nicht ohne Rezept abgegeben werden – andererseits dürften Apotheken sich auch keiner besonderen Gefahr aussetzen, wenn sie es doch tun. Neues zur aktuellen Entwicklung ­finden Sie stets auf www.deutsche-apotheker-zeitung.de.

Gibt es für Apotheker bei nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln einen Kontrahierungszwang? Können sie die Abgabe verweigern?

Die Apothekenbetriebsordnung begründet eine Pflicht, ärztliche Verschreibungen unverzüglich auszuführen. Was apothekenpflichtige Arzneimittel betrifft, gibt es die Rechtsauffassung, dass auch hier eine Abgabepflicht besteht, und zwar aus dem Versorgungsauftrag nach § 1 Apothekengesetz. Wenn Arzneimittel apothekenpflichtig sind, folgt daraus nicht nur das exklusive Recht zur Abgabe, sondern auch eine öffentlich-rechtliche Pflicht, erklärt der Rechtsanwalt für Medizinrecht, Dr. Valentin Saalfrank. Folglich sei der Apotheker grundsätzlich zur Abgabe verpflichtet. Eine Abgabeverweigerung aus Gewissensgründen unter Berufung auf das Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 4 GG) sei aber im Einzelfall möglich. Dies setze eine entsprechende Gewissensentscheidung des Apothekers voraus.

Wie sieht es aus, wenn der Apotheker eine missbräuchliche Anwendung vermutet, beispielsweise die Anwendung als „Standard-Verhütung“ statt wie vorgesehen als Notfallkontrazeptivum?

Bei Verdacht eines Arzneimittelmissbrauchs darf der Apotheker das Arzneimittel nicht abgeben (§ 17 Abs. 8 ApBetrO). Allein in der wiederholten Anwendung eines Notfallkontrazeptivums innerhalb desselben Zyklus dürfte jedoch noch kein Arzneimittelmissbrauch zu erkennen sein. Anders wäre es, wenn die häufige Bestellung einer Kundin die Vermutung nahelegt, dass das Notfallkontrazeptivum zur Regelverhütung verwendet wird.

Kann man als Apotheker haftbar gemacht werden, wenn die Patientin trotz Abgabe der „Pille danach“ schwanger wird?

Aufgabe des Apothekers ist die Abgabe des Fertigarzneimittels und die Beratung (§ 20 ApBetrO). Solange das Arzneimittel zugelassen ist und keine Hinweise dafür vorliegen, dass es generell oder bezogen auf den Einzelfall nicht für den bestimmungsgemäßen Hauptzweck geeignet ist, kann dem Apotheker kein Vorwurf gemacht werden, wenn er es nach gewissenhafter Beratung abgibt. Rechtsanwalt Saalfrank verweist jedoch auf die besonderen Beratungspflichten bei apothekenpflichtigen Arzneimitteln. So ist nach § 20 Abs. 2 ApBetO festzustellen, ob das Arzneimittel zur Anwendung bei der betreffenden Person geeignet erscheint. Hier ist der Apotheker also besonders in der Pflicht, die Kundin zu beraten und ihr, sofern Bedenken bestehen, entsprechend vom Erwerb abzuraten. Dies, so Saalfrank, betreffe sicherlich auch den Aspekt der fehlenden Eignung des Notfallkontrazeptivums nach Eisprung.

Dürfen nur Apotheker die „Pille danach“ abgeben?

Wenn keine anderslautenden Bestimmungen erhoben werden, gelten für die „Pille danach“ dieselben Regeln wie für jedes andere apothekenpflichtige OTC-Präparat: Es muss vom pharmazeutischen Personal abgegeben werden.

Ist der Versand der „Pille danach“ verboten? Wird es ein Verbot geben?

Sofern die gesetzlichen Vorgaben (§ 11a ApoG und § 17 Abs. 2a ApBetrO) eingehalten werden, ist der Versand rezeptpflichtiger Notfallkontrazeptiva bislang erlaubt. Ob er sinnvoll ist, ist eine andere Frage. Einige Versandapotheken, etwa mycare, Sanicare oder die EU-Versandapotheke, ­haben entsprechende Präparate auch in ihrem Sortiment. Einige größere verzichten hingegen darauf, beispielsweise DocMorris, ZurRose oder die ­Europa Apotheek Venlo.

Die Landesapothekerkammer Baden-Württemberg sieht den Versand allerdings kritisch. Sie geht davon aus, dass die von der Apothekenbetriebsordnung eingeforderte Beratungspflicht bei der „Pille danach“ von Versandapotheken nicht gewährleistet werden kann.

Wie die Versandapotheken auf die Freigabe reagieren werden, wird sich zeigen. Beim Bundesverband Deutscher Versandapotheken wie auch beim Verband der europäischen Versandapotheken befindet man sich noch in der Meinungsfindungsphase. Letztere halten den Versand jedenfalls für grundsätzlich zulässig.

Gibt es eine Altersgrenze für ellaOne®?

Nein, nach derzeitiger Rechtslage nicht. Das Präparat ist für alle Frauen im gebärfähigen Alter geeignet. In Deutschland gibt es keine besonderen rechtlichen Vorgaben zur Abgabe von Arzneimitteln an Kinder bzw. Jugendliche. Eine Entscheidung über die Abgabe ist für den jeweiligen Einzelfall verantwortungsvoll zu treffen. Hilfestellung bietet dazu die Arbeitshilfe der Bundesapothekerkammer zur Qualitätssicherung „Merkblatt für die Abgabe von Arzneimitteln an Kinder“ (zum Download unter www.abda.de). |

Absatz in zehn Jahren verdoppelt

jz | Welche Auswirkungen die Entscheidung des Gesundheitsministers, ella­One® (Ulipristalacetat) und die PiDaNa® (Levonorgestrel) in Deutschland freizugeben, in Zukunft auf den Versorgungsalltag haben wird, bleibt abzuwarten. IMS Health hat zurückgeblickt und sich mithilfe anonymisierter Markt- und Versorgungsdaten die Entwicklung in den letzten zehn Jahren angesehen: Bei einer Betrachtung des Apotheken-Absatzmarktes zeigt sich, dass die „Pille danach“ im Jahr 2013 mehr als doppelt so oft verordnet und verkauft wurde wie 2004. Gaben Apotheken 2004 noch rund 236.100 Packungen ab, waren es zehn Jahre später rund 488.100. Dabei verteilte sich die Menge 2013 fast zu gleichen Teilen auf beide Wirkstoffe.

Seit der Einführung von Ulipristalacetat im Jahr 2009 ist hier allerdings ein deutliches Wachstum zu verzeichnen, wohingegen der Absatz von Levonorgestrel seither abnimmt. Das wird insbesondere im Jahr 2013 deutlich: Im Vergleich zum Vorjahr wuchsen die Abgaben von Ulipristalacetat-Packungen um 56,7 Prozent, solche mit Levonorgestrel gingen um 15,6 Prozent zurück. Möglicherweise, so vermutet IMS, weil Ulipristalacetat von der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin und dem Berufsverband der Frauenärzte im Februar 2013 zur neuen Standardmethode für die ­Notfallkontrazeption erklärt wurde.

Der Trend der steigenden Abgabe von Notfallverhütungspräparaten spiegelt sich in der Analyse einer Stichprobe von gynäkologischen Praxen wider: Um objektive Aussagen über das Verordnungsverhalten in den letzten Jahren treffen zu können, betrachtete das Marktforschungsunternehmen für den gleichen Zeitraum die Daten von 99 gynäkologischen Praxen in Deutschland. Es zeigte sich, dass der Anteil der Praxen aus dieser Stichprobe, die die „Pillen danach“ verordnet haben, von 39 Prozent in 2004 auf 99 Prozent in 2013 stieg.

Der Anteil der „Pille danach“-Nutzerinnen in diesen 99 Praxen stieg ebenfalls von 0,6 Prozent in 2004 (elf Patientinnen) auf 3,9 Prozent in 2013 (30 Patientinnen). Darüber hinaus verweist IMS darauf, dass rund die Hälfte der Patientinnen die „Pille danach“-Verordnung zusätzlich zu anderen Verhütungsmitteln erhalten hatten.

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