Arzneimittel und Therapie

Prävention in der Apotheke ist machbar – und effektiv

GLICEMIA-Studie zeigt das am Beispiel von Diabetes

jb | Dass Typ-2-Diabetes durch die Teilnahme an entsprechenden Präventionsprogrammen wirksam verhindert werden kann, wurde bereits in mehreren Studien gezeigt, ebenso wie die Tatsache, dass Apotheken hier eine geeignete Anlaufstelle sind. Dennoch existierte bislang kein apothekenbasiertes strukturiertes Diabetes-Präventionsprogramm.

Daher hat das Wissenschaftliche Institut für Prävention im Gesundheitswesen (WIPiG) gemeinsam mit der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) GLICEMIA entwickelt. Im Rahmen einer Studie sollten sowohl die Machbarkeit als auch die Effektivität einer solchen Maßnahme wissenschaftlich evaluiert werden. Erstautorin Karin Schmiedel hat die Ergebnisse, die im Fachjournal „Diabetes Care“ (DOI: 10.2337/dc14-2206) publiziert wurden, im Rahmen der Delegiertenversammlung auf dem Bayerischen Apothekertag 2015 in Amberg vorgestellt.

Foto: viperagp – Fotolia.com

Übergewicht war der häufigste Risikofaktor im Studienkollektiv von GLICEMIA. Mit intensiver Betreuung gelang das Abnehmen eher als ohne.

Insgesamt konnten 42 Apotheken für die Teilnahme an GLICEMIA rekrutiert werden, die jeweils zur Hälfte in Interventions- und Kontrollgruppe randomisiert wurden. Mindestens ein Apotheker pro Apotheke wurde zur Studiendurchführung geschult. Zudem nahm das pharmazeutische Personal der Interventionsgruppe an einer Schulung zur intensivierten Präventionsberatung teil. Die Studie lief von Oktober 2012 bis Januar 2014. Für den einzelnen Teilnehmer betrug die Betreuungsdauer ein Jahr. Primärer Endpunkt war die Änderung des Diabetes-Risikos gemessen an der Punktzahl im FINDRISK-Fragebogen (FINDRISK: Finde dein Risiko, Finnish diabetes risk score), sekundäre Endpunkte waren Änderungen beim Körpergewicht, bei der Plasmaglucose, Blutdruck, Bewegung und Lebensqualität. Einschlusskriterien waren Alter über 35 Jahre und ein erhöhtes Diabetes-Risiko laut FINDRISK-Fragebogen. In den FINDRISK fließen sowohl beeinflussbare Risikofaktoren wie Taillenumfang und Body-Mass-Index als auch unbeeinflussbare Faktoren wie Diabetes in der Verwandtschaft ein. Die Gesamtpunktzahl reicht von 0 bis 26. Ab sieben Punkten spricht man von einem erhöhten Diabetes-Risiko.

Erklärtes Ziel war es, auch Personen einzubeziehen, die bisher kein Interesse an Prävention hatten. Problem vieler Präventionsmaßnahmen ist nämlich, dass gerade diejenigen teilnehmen, die ohnehin ein überdurchschnittliches Gesundheitsbewusstsein haben.

Risikofaktor Übergewicht

So konnten 1140 Teilnehmer gewonnen werden, davon 575 in der Kontrollgruppe und 565 in der Interventionsgruppe. Das Durchschnittsalter der Teilnehmer betrug 58,8 Jahre in der Kontrollgruppe und 56,2 in der Interventionsgruppe. Die Interventionsgruppe startete mit einem durchschnittlichen FINDRISK-Score von 13,27, die Kontrollgruppe mit einem Score von 12,65. Übergewicht, erhöhter Taillenumfang, Hypertonie sowie Bewegungsmangel waren in beiden Gruppen die häufigsten Risikofaktoren.

Wert der Woche: HbA1c

Hämoglobin A1c: Glucose reagiert konzentrationsabhängig und irreversibel mit freien Aminogruppen des Hämoglobins (Glykierung). Gibt Auskunft über mittlere Blutglucose-Werte der letzten zwei bis drei Monate.

Norm: Gesunde 20 bis 42 mmol/mol; Diabetiker < 53 mmol /mol; < 6,5 %: gut; 6,5 bis 7,5%: grenzwertig; > 7,5% schlecht

Umrechnung: HbA1c [mmol/mol] = HBA1c [%] - 2,15 x 10,929

Alle Teilnehmer erhielten den Präventionsratgeber Diabetes mit Hinweisen zu ausgewogener Ernährung und regelmäßiger Bewegung, der eigens für GLICEMIA entwickelt wurde. Bei der Kontrollgruppe wurden die Parameter Taillen- und Hüftumfang, Körpergröße, Körpergewicht, postprandiale Plasmaglucose im Kapillarblut sowie der Blutdruck zu Beginn und dann nach sechs und zwölf Monaten ermittelt. Eine darüber hinausgehende Beratung fand nicht statt.

Die Interventionsgruppe nahm hingegen am Präventionsprogramm GLICEMIA teil. Das Programm sieht drei individuelle Beratungsgespräche und fünf Gruppenschulungen vor. Themen der Gruppenschulungen waren Diabetes-Formen und Risikofaktoren, ausgewogene, gesunde Ernährung, körperliche Aktivität und Sport, psychologische Aspekte der Verhaltensänderung sowie die Beibehaltung des erlernten gesundheitsförderlichen Lebensstils. Die Vorträge der Gruppenschulungen wurden vom WIPiG und der FAU ausgearbeitet und sollten das notwendige Hintergrundwissen vermitteln.

Bei den persönlichen Beratungsgesprächen wurden mit den Teilnehmern Maßnahmen und Ziele vereinbart. Beim zweiten und dritten Beratungstermin wurden die Umsetzung der Maßnahmen sowie die Erreichung der Ziele analysiert. Außerdem wurden jeweils neue Maßnahmen und Ziele vereinbart.

„Mit der Umsetzung des Präventionsprogramms GLICEMIA können wir erstmals zeigen, dass Apotheker wirksam und effektiv zur Verhinderung der Diabetes-Epidemie beitragen können. Unser Ziel muss es nun sein, solch ein Programm flächendeckend umzusetzen.“ Studienleiterin Prof. Dr. Kristina Friedland, Professorin für Molekulare und Klinische Pharmazie an der Universität Erlangen-Nürnberg

Unterschied signifikant

Am Ende des einjährigen Interventionszeitraums konnte ein signifikanter Unterschied beim Diabetes-Risiko festgestellt werden. Die Kontrollgruppe verschlechterte sich um 0,17 Punkte, wohingegen die Teilnehmer der Interventionsgruppe im Durchschnitt ihr Diabetes-Risiko senken konnten: ihr FINDRISK-Score verbesserte sich um 0,55. Der Unterschied zwischen den beiden Gruppen war statistisch signifikant. Maximal wäre aufgrund der beeinflussbaren FINDRISK-Parameter eine Verbesserung um zehn Punkte möglich gewesen, dies erreichte aber keiner der Teilnehmer. Insgesamt gelang es 39,1 Prozent der Probanden in der Interventionsgruppe, ihr Diabetes-Risiko zu senken, in der Kontrollgruppe nur 21 Prozent. Auch hinsichtlich der sekundären Endpunkte zeigten die Maßnahmen Wirkung. So konnte in der Interventionsgruppe durchschnittlich eine Gewichtsreduktion von 1,5 kg verbucht werden. Außerdem bewegten sich die Teilnehmer eine halbe Stunde pro Woche mehr als vorher, und auch die Lebensqualität verbesserte sich.

Konzentration auf Diabetes und Impfen

Mit GLICEMIA ist es gelungen, sowohl Umsetzbarkeit als auch Effektivität eines Programms zur Prävention von Typ-2-Diabetes in der öffentlichen Apotheke zu zeigen. Trotz des Erfolges sind laut WIPiG-Geschäftsführer Dr. Helmut Schlager keine vergleichbaren Erhebungen zu weiteren Präventionsthemen geplant. Man habe mit GLICEMIA und auch der „Herzensangelegenheit 50+“ gezeigt, dass Prävention in öffentlichen Apotheken sowohl machbar als auch wirkungsvoll ist. Natürlich werde man als WIPiG weiterhin wissenschaftlich arbeiten. Schlager hält es allerdings seitens der Apotheker für ratsam, auch im Hinblick auf eine künftige Berücksichtigung bei den Gesetzesvorhaben, sich auf zwei Themen zu konzentrieren. In seinen Augen wären das Diabetes und Impfen. Das sei auch die Strategie, die die ABDA derzeit verfolgt, so Schlager.

Neben der wissenschaftlichen Evaluation war es eines der Ziele von GLICEMIA, den Apotheken ein ausgearbeitetes Programm zur Diabetesprävention anbieten zu können. Daher stehen sämtliche Materialien unter www.wipig.de zum Download zur Verfügung (siehe auch Interview auf der nächsten Seite). |

Das könnte Sie auch interessieren

Welche Präventionsleistungen Apotheken anbieten können und sollten

Prävention – eine Dienstleistung der Apotheke

Die Stiftung Rufzeichen Gesundheit! prämiert Apotheken-Präventionsprojekt Glicemia

Prävention ist machbar

Was eine Diabetes-Präventionsbetreuung aus der Apotheke leisten kann

Statistisch signifikante HbA1c-Senkung

Was Diabetiker wirklich vor kardiovaskulären Ereignissen schützt

Ernährung, Medikamente oder Sport?

Gesundheitsökonomische Auswertung von GLICEMIA 2.0 bestärkt Dienstleistung

Diabetikerbetreuung in Apotheken ist kosteneffektiv

Grundlagen für pharmazeutische Dienstleistungen

GLICEMIA-2.0-Studie überzeugt auch gesundheitsökonomisch

Mit HbA1c statt mit Blutzucker?

Diagnose des Diabetes

Diabetesprävention

Apotheken-Betreuung wirkt

Wipig-Studie zur Diabetesprävention mit ermutigenden Ergebnissen

Betreuung durch die Apotheke wirkt

Präventionsprojekte in Apotheken

So beugen wir vor

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.