Die Seite 3

Der Elchtest

Dr. Benjamin Wessinger, Chefredakteur der DAZ

In Deutschland wird immer noch und immer wieder die „Liberalisierung“ des Apothekenmarkts gefordert, das Fremdbesitzverbot und der eingeschränkte Mehrbesitz seien Wettbewerbshindernisse, heißt es. Auch Angriffe auf die einheit­lichen Preise für verschreibungspflichtige Arzneimittel gibt es immer wieder – aktuell das Verfahren am Europäischen Gerichtshof zur Zulässigkeit des deutschen Rx-­Boni-Verbots.

Die aktuell größte Gefahr für unser freiberuflich geprägtes Apothekensystem könnte dabei vom geplanten Freihandelsabkommen TTIP mit den USA ausgehen. Wirklich abschätzen kann man das bisher nicht, da die Verhandlungen unter dem Ausschluss der Öffentlichkeit und der betroffenen Berufsgruppen stattfinden. Doch es ist gerade diese Geheimnistuerei, die den Verdacht schürt, dass hier eine Deregulierung „durch die Hintertür“ droht.

Schweden hat bereits vor etwas mehr als fünf Jahren sein bis dato staatliches Apothekensystem privatisiert und drastisch dereguliert (s. S. 22, „Die Geister, die ich rief, …“). Natürlich sind die schwedischen Begebenheiten nicht eins zu eins auf Deutschland übertragbar. So herrscht hierzulande schon mehrere Jahrzehnte die Nieder­lassungsfreiheit, Schweden hat mit 14 Apotheken auf 100.000 Einwohner nach Dänemark und den Niederlanden die drittniedrigste Apothekendichte in Europa (Deutschland: 25 Apotheken/100.000 Einwohner) und das schwedische Gesundheitssystem ist steuerfinanziert.

Aber Lehren könnte man aus den schwedischen Erfahrungen durchaus ziehen. Heute wird der dortige Apothekenmarkt im Wesentlichen von fünf Ketten dominiert. Die Apothekerinnen und Apotheker klagen über den stark gestiegenen ökonomischen Druck, die Versorgungslage hat sich trotz gestiegener Apothekenzahl nicht wesentlich verbessert und die Bevöl­kerung ist mit der Reform unzufrieden.

Lernen ließe sich auch, dass bei völliger Niederlassungsfreiheit, ohne weitere Anreize oder Regulierungen, viele weniger lukrative Standorte eben ohne Apotheke bleiben. So hat sich die Versorgungssituation auf dem Land nicht gebessert, obwohl sich die Zahl der Apotheken direkt nach Abschaffung des staatlichen Monopols um rund ein Drittel erhöht hat! Denn diese Apotheken entstanden in den bereits gut versorgten städtischen Lagen. Oder dass Kapitalgesellschaften als Eigentümer von Apotheken tatsächlich beträchtlichen Druck auf ihre Angestellten ausüben, Zusatzprodukte zu verkaufen, auch wenn diese nicht immer sinnvoll sind (Ähnliches wurde vor Kurzem auch aus kanadischen Apothekenketten berichtet, s. „Apotheker als Verkäufer“, AZ 2015, Nr. 14, S. 3).

Die wichtigste Einsicht aber ist, dass offenbar auch die Bevölkerung mit der schönen neuen Apothekenwelt unzufrieden ist. Unter den verschiedenen Apothekenketten schneidet ausgerechnet die staatliche Apoteket AB bei der Kundenzufriedenheit am besten ab; der ehemalige Monopolist betreibt immer noch 383 Apotheken.

So lässt sich konstatieren: Den Elchtest hat die schwedische Apotheken-Deregulierung offenbar nicht bestanden.

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