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Linke wollen Pharmaindustrie in die Schranken weisen

Gerinnungshemmer als „unnötige“ GKV-Kostentreiber

BERLIN (jz) | Die Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für Blutgerinnungshemmer sind in den vergangenen Jahren sprunghaft gestiegen. Wie die Bundesregierung mitteilt, lagen sie 2008 noch bei 68,5 Millionen Euro und erhöhten sich mit dem Markteintritt neuer Mittel wie Xarelto®, Pradaxa® und Eliquis® auf 675,4 Millionen Euro im Jahr 2014. Dabei gehen die Kosten für neuere und ältere Gerinnungshemmer drastisch auseinander: Die durchschnittlichen monatlichen Therapiekosten liegen für Xarelto® bei 100,50 Euro, für Pradaxa® bei 96,90 Euro und für Phenprocoumon-Generika bei 4,80 Euro.

Die Links-Fraktion hatte in einer Kleinen Anfrage angemahnt, dass die Verschreibungszahlen neuer Gerinnungshemmer in die Höhe schnellen, obwohl ein Zusatznutzen vielfach bezweifelt wird, die neuen Produkte teurer sind und keine Langzeitstudien zu den Nebenwirkungen bestehen. So gebe es keine Belege, dass etwa Xarelto® zuverlässiger als Marcumar® sei. Auch die Gefahr schwerer Blutungen werde nicht reduziert. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) habe vielmehr im Jahr 2014 fast 2000 Meldungen zu Nebenwirkungen erhalten – das Mittel stehe im Verdacht, für 161 Sterbefälle verantwortlich zu sein.

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Neue Gerinnungshemmer sind aus Sicht der Links-Fraktion ein Kostentreiber im Gesundheitswesen. Einer, der ihrer Ansicht nach nicht sein müsste …

Regierung sieht keinen Handlungsbedarf

Handlungsbedarf sieht die Regierung derzeit allerdings keinen: Alle zugelassenen Arzneimittel und somit auch Xarelto®, Pradaxa®, Eliquis® und die Vitamin K-Antagonisten unterlägen in der EU einer ständigen Beobachtung möglicher Risiken, heißt es in ihrer Antwort. Meldungen über Nebenwirkungen würden auf Risiko-Signale hin untersucht. Daran ändern aus Sicht der Regierung auch die dem BfArM vorliegenden Meldungen nichts. Schließlich sei die letzte routinemäßige Überprüfung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses von Rivaroxaban im Oktober 2014 „mit Bestätigung eines positiven Verhältnisses“ abgeschlossen worden. Bei neuen Arzneimitteln würden Verdachtsfälle erfahrungsgemäß zudem häufiger gemeldet als bei lang eingeführten Präparaten.

Gefragt danach, warum Xarelto® eine Zulassung erhalten habe, obwohl es – anders als bei phenprocoumonhaltigen Arzneimitteln wie Marcumar® – kein Gegenmittel gebe, das im Fall des Falles Blutungen stoppen könne, erklärt die Regierung, dass die blutgerinnungshemmende Wirkung von Xarelto® sich mit demselben Gegenmittel (PPSB-Konzentrat/Prothrombinkomplex-Faktoren) aufheben lasse, das auch bei Blutungen unter Marcumar® wirksam sei. Somit existiere für Xarelto® ein zugelassenes und weit verfügbares Gegenmittel, das im Fall des Falles Blutungen stoppen könne. Derzeit gebe es in der EU jedenfalls keine Überlegungen, die Zulassung bzw. vorgeschriebenen Warnhinweise in Fachinformationen von Xarelto® zu modifizieren oder die ­Zulassung zu widerrufen.

Linke vermissen Bestandsmarktbewertung ...

Die Linken kritisieren in ihrer Anfrage auch das fehlende Nutzenbewertungsverfahren für Xarelto® & Co: Mit dem 14. SGB V-Änderungsgesetz wurde die Nutzenbewertung von Arzneimitteln, die vor dem 1. Januar 2011 in Verkehr waren (Bestandsmarkt), abgeschafft. Ab diesem Zeitpunkt war eine Beschlussfassung über den Zusatznutzen der betroffenen Arzneimittel nicht mehr möglich, erklärt die Regierung – insoweit sei die Einstellung des Nutzenbewertungsverfahrens von Xarelto® und anderen neuen Antikoagulanzien durch den Gemeinsamen Bundesausschuss die „zwingend rechtliche Konsequenz“ gewesen. Ihr Fazit: „Die Bundesregierung sieht die Einstellung der betreffenden Verfahren nicht als für die Patientinnen und Patienten problematisch an.“

… und fordern Eingreifen der Politik

Dass die Regierung keinen Grund zum Handeln sieht, beunruhigt die Linken: „Verantwortungsvolle Gesundheitspolitik sieht anders aus“, mahnt Kathrin Vogler, Sprecherin für Arzneimittelpolitik und Patientenrechte. Schließlich müssten die Versicherten die Mehrausgaben der Krankenkassen per Zusatzbeitrag ­alleine schultern. Und schon im kommenden Jahr könne die Milliarden-Grenze allein für Xarelto® durchbrochen werden, obwohl es weit preisgünstigere Alternativen gebe. Mit herkömmlichen Gerinnungshemmern, die zumeist nicht schlechter wirkten und mehr Sicherheit böten, müssten nur 50 Millionen Euro auf­gebracht werden.

Neben der Finanzierbarkeit ging es der Fraktion in ihrer Kleinen Anfrage zudem um ungeklärte Fragen beim Risikoprofil von Xarelto®. Doch auch hier entziehe sich die Bundesregierung mit dem Hinweis auf ältere Zulassungsstudien, kritisiert Vogler – und ignoriere warnende Hinweise von führenden Arzneimittelexperten. „Auf das massive Marketing der Herstellerfirma fallen viel zu viele Ärzte herein und reagieren mit steigenden Verordnungszahlen, doch die Bundesregierung erhebt auch hier keine Einwände“, so Vogler. Ihre Fraktion plädiert daher dafür, „endlich gegen aggressives Pharma-Marketing aktiv zu werden“. |

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