„Unhaltbare Situation“

DAZ-Interview mit Dr. Hans-Rudolf Diefenbach zu Lieferengpässen, Defektlisten und Lösungsvorschlägen

BERLIN (ks) | Der Offenbacher Apotheker Dr. Hans-Rudolf Diefenbach, bis vor Kurzem Vize-Vorsitzender des Hessischen Apothekerverbands, ist einer der prominentesten Mahner vor Lieferengpässen bei Arzneimitteln. Sein Aufruf an Kollegen in ganz Deutschland, ihm Listen ihrer Defekte zu schicken, hat für Furore gesorgt: Medien von „Der Spiegel“ bis – ganz aktuell – die „Wirtschaftswoche“ haben über die Aktion berichtet – und damit das Problem der zunehmenden Engpässe ins öffentliche Bewusstsein gebracht.

DAZ: Herr Diefenbach, Sie haben schon seit Längerem ein waches Auge auf Lieferengpässe und werten regelmäßig Defektlisten von Kollegen aus. Welche Entwicklung sehen Sie in den letzten Jahren bei den Engpässen?

Diefenbach:

Die Lieferengpässe haben deutlich zugenommen. Im Moment gibt es massive Probleme bei Antibiotika; in dieser Breite ist das neu. Auch bestimmte galenische Produkte wie z. B. cortison- und antibiotikahaltige Augensalben sind seit Monaten so gut wie nicht lieferbar. Mittlerweile muss man große Teile der Indikationsbereiche mit einem Fragezeichen versehen. Dazu kommt noch die Substitutionsausschlussliste, die wir in Teilen eben nicht umsetzen können. Die Situation ist untragbar für ein Land, das einmal die „Apotheke der Welt“ war!

Screenshot: DAZ

Bereits 2013 wies Dr. Hans Rudolf Diefenbach in einem Beitrag des Fernsehmagazins „defacto“ auf das Problem der Lieferengpässe hin.


DAZ:
Die Ursachen für Engpässe sind vielfältig. Wo sehen Sie die Hauptprobleme? Liegen sie nur bei den Herstellern oder vielleicht auch bei den Großhändlern?

Diefenbach: Die Hersteller sagen vielfach: Wir können liefern. Die Großhändler sagen aber: Wir haben keine Ware und keinen Liefertermin. Die Probleme insgesamt sind erkannt: Rabattverträge, die Logistik, die Reduktion auf wenige Produzenten, der Kostendruck.

Völlig indiskutabel ist für mich das Hersteller-Argument des „nachfragebedingten Engpasses“. Entweder ich habe einen Vertrag abgeschlossen, dann muss ich ihn erfüllen und entsprechende Kapazitäten aufbauen – oder ich verliere meinen Lieferanspruch.

DAZ: Wo sehen Sie Ansatzpunkte, wirkungsvoll gegenzusteuern?

Diefenbach: Wenn die öffentliche Apotheke endlich die Abgabemodalitäten autonom gestalten könnte, gäbe es viele Engpässe nicht. Das würde aber bedeuten: Weg mit vielen Rabattverträgen, weg mit der Substitutionsausschlussliste und hin zum Apotheker, der seine Kenntnisse auch umsetzt! Dazu muss jedoch auch die Ausbildung angepasst werden – und die inzwischen völlig abwegige Retaxpraxis sofort abgeschafft werden. Sie ist ein Instrument bornierter Zeitgeister. Mit den heutigen Retaxationen können wir bei einem Engpass nicht eigenständig austauschen, weil wir immer fürchten müssen, einen „Nuller“ zu landen.

DAZ: Ihr Amt im Hessischen Apothekerverband haben Sie aufgegeben. Werden Sie sich weiterhin in Sachen Engpässe engagieren?

Diefenbach: Natürlich betreibe ich das Thema Lieferengpässe weiter. Ich bin Praktiker und immer noch der Ansicht, dass rationale Erkenntnisse wenigstens bei Teilen der Gesprächspartner ankommen. Mir ist Sachpolitik wichtig, da muss man andere Personen halt auch mal umgehen. |

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