Prisma

Nahtod-Erfahrungen und Reanimation

Was passiert im Gehirn, wenn das Herz stillsteht?

cae | In Wien begann soeben das vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF geförderte dreijährige Forschungsprojekt „Gedächtnisprozesse bei Herzstillstand-PatientInnen“. Es soll nicht nur Fakten zur Diskussion eines umstrittenen Themas liefern, sondern künftig auch zur Verbesserung von Reanimationen beitragen.
Foto: Shutterstock / fivepointsix

Arbeitet das Gehirn nach Unter­brechung der Blutzufuhr weiter?

Was Menschen berichten, die durch ­einen Herzstillstand an der Schwelle zum Tod standen und wiederbelebt worden sind, klingt oft unglaubwürdig. Aus Sicht der Wissenschaft sind sie nur schwer erklärbar. Denn das Gehirn stellt schon Sekunden nach einer Unterbrechung der Blutzufuhr seine neuronale Aktivität ein – so die allgemeine Lehrmeinung, die jetzt auf den Prüfstand gestellt wird. Der Projekt­leiter Roland Beisteiner, Neurologe der Medizinischen Universität Wien, ist überzeugt, dass es Erklärungen für derartige Erfahrungen gibt. Denn ­immer mehr Daten, etwa von Koma­patienten, zeigen, dass das Gehirn hohe Kapazitäten besitzt, um sich zu regenerieren und Informationen zu verarbeiten, ohne dass das von außen wahrnehmbar ist.

„Wir brauchen möglichst viele solcher physiologischen Daten und eine bessere Kontrolle, was im Umfeld von Reanimationen passiert“, sagt Beisteiner. Er arbeitet mit dem New Yorker Notfallmediziner Sam Parnia zusammen, der die bereits laufende AWARE-Studie koordiniert (AWAreness during REsuscitation). Dort wurden bisher Fragebögen von Patienten ausgewertet, die wieder „ins Leben zurückgeholt“ wurden. Im nächsten Schritt werden die Notfallstationen einiger medizinischer Zentren in den USA, Großbritannien und Österreich mit Sensoren ausgestattet, um die Durchblutung und die elektrischen Ströme des frontalen Kortex zu messen.

Aus Tierversuchen ist bekannt, dass die Hirnaktivität bei Herzstillstand zwar rapide abfällt, aber zunächst für rund 30 Sekunden weiter messbar ist. Eine kürzlich durchgeführte amerikanische Studie legt sogar nahe, dass das Gehirn für diese Zeit in eine Art Alarmzustand übergeht und Zeichen erhöhter Bewusstseinsaktivität zeigt. Das könnte die von einigen Patienten als „real“ empfundenen Erlebnisse während der vermeintlichen Bewusstlosigkeit sein. Auch für „außerkörperliche Erfahrungen“ gibt es Erklärungen, denn die visuell-räumliche Wahrnehmung kann manipuliert werden, wie etwa Untersuchungen des in der Schweiz tätigen Neurologen Olaf ­Blanke belegen. Vermutlich entsteht das Gefühl des Heraustretens aus dem Körper durch eine Störung im Gehirn, die noch identifiziert werden muss. |

Quellen: PR&D – Public Relations für Forschung & Bildung, Wien, Meldung vom 23. 3. 2015. – Parnia S, et al. AWARE – AWAreness during ­REsuscitation – A prospective ­study. Resuscitation 2014;85:1799-1805

Das könnte Sie auch interessieren

Woche der Wiederbelebung

Gröhe: Jeder kann Lebensretter sein

Arzneimittelstudien für die Notfallmedizin: unethisch aber notwendig?

Evidenz in (der) Not?

Neuanfang füR Parkinson-Patienten 

Der Schrittmacher im Hirn

Keine Gefahr bei Hirnpräparaten

Alzheimer ist nicht infektiös

Neue Leitlinie gibt Tipps zur Arzneimittelversorgung bei Kindernotfällen

Tödliche Fehler vermeiden!

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.