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Lebensphasenorientierte Arbeitszeiten

Teil 1: Tarifliche und betriebliche Vorreiter

Familien und Beruf in Balance zu bringen ist schwer genug. Dabei ausreichend Einkommen und Rentenansprüche zu erwirtschaften, ist die zweite große Herausforderung. Das Konzept der Lebensarbeitszeit nimmt zur Kenntnis, dass Frauen wie Männer zu verschiedenen Zeiten ihrer Erwerbsbiografie unterschiedliche Bedürfnisse haben. Und auch, dass es für Arbeitgeber sinnvoll ist, qualifiziertes Personal mit flexiblen Teilzeitmodellen ans Unternehmen zu binden.
Foto: S. Marco – Fotolia

Das klassische männliche Lebenslaufmuster – Lernphase mit Schule und Ausbildung, Arbeitsphase in Vollzeit, Ruhestand – trifft für immer weniger Beschäftigte zu. Für Frauen war es nie typisch – zumindest in Westdeutschland. Je mehr Frauen am Erwerbsleben teilhaben, desto mehr unterschiedliche berufliche Lebensverläufe, desto mehr Phasen und Brüche lassen sich im Alltag beobachten: Elternzeit, Erziehungspause, geringfügige Beschäftigung, Pflegezeit. Aber auch bei den Männern brechen Phasen der Arbeitslosigkeit oder weiterer Ausbildungen und später von Altersteilzeit die starre Dreigliederung auf. Und vor allem steigt bei ihnen das Interesse, mehr Zeit mit den Kindern zu verbringen.

Begriffe wie Rushhour des Lebens für die 30- bis 40-Jährigen oder Sandwich-Generation für die etwas Älteren, die Kinder und pflegebedürftige Eltern versorgen müssen, zeigen: Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist für beide Geschlechter phasenweise eine große Herausforderung. Dieses Thema ist inzwischen auch in der ­Öffentlichkeit und bei Politik und ­Gewerkschaften angekommen. Arbeitgeber tun sich dagegen oft noch schwer. Bisher verfolgen nur 8% der Betriebe eine lebensphasenorientierte Personalpolitik. Vorreiter sind Tarifverträge in der Chemischen Industrie, bei der Deutschen Post und der Metall- und Elektroindustrie.

So zahlen tarifgebundene Chemieunternehmen für jeden Tarifarbeitnehmer jährlich 350 Euro in einen Topf, aus dem dann eine finanzielle Aufstockung für die Altersteilzeit (ATZ) umgesetzt werden kann. Im Tarifvertrag wird als Modell die RV 80 vorgeschlagen – eine reduzierte Vollzeit mit 80% der Arbeitszeit bei 100% Gehalt. Außerdem müssen alle Betriebe eine Demografie-Analyse zur Alters- und Qualifikationsstruktur sowie zum ­Geschlechterverhältnis durchführen.

Betriebliche Modelle

Auf Basis des Demografie-Tarifvertrages gibt es auch abweichende Betriebsvereinbarungen wie beim hessischen Familienunternehmen B. Braun Melsungen (BBM). Dort wird eine Altersteilzeit mit 50% der Stunden und 80% der Vergütung angeboten. Das Unternehmen stockt dazu den tariflichen Demografiebetrag um 10% auf. Die Länge dieser Altersteilzeit-Phase ­beträgt je nach Arbeitsbelastung ­zwischen zwei und vier Jahren.

Eltern können bei BBM seit 2007 eine Familienteilzeit in Anspruch nehmen. Dabei gibt es bei 50% der vollen Arbeitszeit im Schnitt 50% des Vollzeit­entgeltes plus 15% beim 1. Kind oder der Pflege von Angehörigen sowie 25% beim zweiten oder weiteren Kindern. Die Laufzeit beträgt längstens fünf Jahre bzw. drei Jahre im Pflegefall. Die finanzielle Aufstockung muss nicht zurückgezahlt werden. Und als Arbeitnehmer kann man die Arbeitszeit flexibel an die eigenen Bedürfnisse anpassen, solange unter dem Strich die 50% erreicht werden. Bei der äußerst geringen Fluktuation im Unternehmen sei das Risiko, dass mit diesem Modell Missbrauch betrieben werde, sehr gering, sagen übereinstimmend Betriebsrat und Personalchef von BBM.

Klein(st)unternehmen tun sich schwerer

Mit 6600 Mitarbeitern allein am Standort Melsungen ist BBM nicht direkt mit Apotheken zu vergleichen. Je kleiner das Unternehmen, desto schwieriger wird es, die individuellen Bedürfnisse im Team auszutarieren. Allerdings kann es auch nicht angehen, dass ge­rade die vielen ArbeitnehmerInnen in den besonders häufigen Klein- und Kleinstunternehmen von Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit ausgeschlossen werden. Dazu mehr in Teil 2. |

Dr. Sigrid Joachimsthaler

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