Wirtschaft

Rohertrags-Monitor September 2015

Betriebswirtschaftliche Analyse der Entwicklung des Apothekenhonorars

Verschreibungspflichtige Fertigarzneimittel (Rx-FAM) sind für öffentliche Apotheken von überragender Bedeutung – ihr Anteil an der Zahl der insgesamt abgegebenen Packungen liegt bei etwa 43 Prozent. Und nach wie vor werden mit Rx-FAM rund 75 Prozent des Gesamtumsatzes der Apotheken generiert. Seit dem 1. Januar 2004 gilt (nur noch) für diese Arzneimittel die – neue – Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV), auch Kombimodell genannt. Die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser neuen Preisbildungssystematik für Apotheken werden – beginnend mit dem Berichtsmonat August 2011 – auf der Grundlage der von Insight Health* zur Verfügung gestellten Daten regelmäßig im Rohertrags-Monitor fortgeschrieben.

Verordnungsschwacher September. Zulasten der GKV wurden im Berichtsmonat rund 146 tausend Rx-FAM-Packungen (oder 0,3%) weniger abgegeben als im September 2014 (vgl. Abb. 1), obwohl die Zahl der GKV-Versicherten im selben Zeitraum um gut 0,6 Prozent (bzw. um etwa 455 tausend) zugelegt hat.

Abb. 1: Entwicklung der zulasten der GKV abgegebenen Rx-FAM-Packungen in den Monaten Januar 2013 bis September 2015 (Monatsdurchschnitt 2004 = 100).


In den ersten neun Monaten des Jahres sind damit – trotz Grippewelle und demografischer Entwicklung – gerade einmal 0,3 Prozent mehr Packungen verordnet worden als im entsprechenden Vorjahreszeitraum. Das ist umso verwunderlicher, weil die Zahl der in der GKV Versicherten im Untersuchungszeitraum um durchschnittlich gut 0,6 Prozent (bzw. um gut 430 tausend Versicherte) zugelegt hat. Damit ist bei der Zahl der verordneten Rx-FAM je Versichertem sogar ein leichter Rückgang feststellbar! Interessant wäre, die Gründe für diese Entwicklung (Verordnungsverhalten der Ärzte; Gesundheitszustand der Patienten; Substitution mehrerer Mono- durch ein Kombi-Präparat, o. ä.?) aufzuspüren.

Während die Zahl der abgegebenen Rx-FAM in den ersten drei Quartalen also um 0,3 Prozent angestiegen ist, hat die Zahl der rabattbegünstigten – und damit die Zahl der aufgrund der Gesetzeslage besonders erklärungsbedürftigen – Rx-FAM im selben Zeitraum um 5,0 Prozent zugelegt; der Anteil am Gesamtmarkt ist in dieser Zeit von 58,5 Prozent auf 61,2 Prozent gestiegen.

Der leichte Verordnungszuwachs um 0,3 Prozent, begleitet von einer Reduktion des Kassenabschlags von 1,80 Euro auf 1,77 Euro je Packung, hat dazu geführt, dass das packungsbezogene Honorar in den ersten neun Monaten des Berichtsjahres um knapp 20,6 Mio. Euro höher ausgefallen ist als im Vorjahreszeitraum (das sind im Durchschnitt 1000 Euro mehr je Apotheke).

Allein der deutlich höhere Beratungsbedarfs der Versicherten aufgrund der vermehrten Abgabe von rabattbegünstigten Rx-FAM dürfte diesen Rohertragszuwachs aufzehren, von den größeren Risiken im Bereich der Warenwirtschaft (Stichwort Hochpreiser) ganz zu schweigen.

Der Verordnungsmarkt driftet weiter auseinander. Obwohl im September 2015 weniger Rx-FAM verordnet wurden als im entsprechenden Vorjahresmonat, hat der Apothekeneinkaufswert der abgegebenen Arzneimittel gegenüber dem Vergleichszeitraum um 7,0 Prozent zugenommen (vgl. Abb. 2). Damit hat der Einkaufswert je Packung um rund 7,3 Prozent zugelegt – und das trotz gestiegener Zahl an im Regelfall preiswerten, rabattbegünstigten Arzneimitteln.

Zu begründen ist dieser drastische Anstieg beim Apothekeneinkaufswert mit der vermehrten Verordnung von Hochpreisern. Einem Absatzzuwachs von 4,6 Prozent stand im September ein Anstieg beim Abgabepreis (ApU) von 17,0 Prozent und beim Apothekeneinkaufspreis von 16,9 Prozent gegenüber.

Abb. 2: Entwicklung der Apotheken-Einkaufswerte der zulasten der GKV abgegebenen Rx-FAM in den Monaten Januar 2013 bis September 2015 (Monatsdurchschnitt 2004 = 100).


Im PKV-Markt hat eine ähnliche Entwicklung stattgefunden, so dass in den Apotheken im September 2015 insgesamt fast 209.000 Hochpreiser abgegeben wurden, gegenüber knapp 200.000 im entsprechenden Vorjahresmonat. Dabei ist die Absatzentwicklung bei den zulasten der GKV abgegebenen Hochpreisern in den ersten neun Monaten des Jahres, mit einem Plus von 4,9 Prozent, ähnlich verlaufen wie im Berichtsmonat.

Nicht zuletzt aufgrund der Erkältungswelle zu Anfang des Jahres (verbunden mit der Verordnung recht preiswerter Mittel) ist der Apothekeneinkaufswert in den ersten neun Monaten trotz dieser enormen Belastung durch die Hochpreiser „nur“ um 2,8 Prozent angestiegen. Damit ist auch der Rohertrag aus kaufmännischer Komponente um knapp 2,8 Prozent (bzw. um 13,8 Mio. Euro) gewachsen.

Der Trend setzt sich fort: Der Verordnungsmarkt driftet immer weiter auseinander. Auf der einen Seite werden immer günstigere, bewährte (und überwiegend rabattbegünstigte) Arzneimittel verordnet, und auf der anderen Seite eine geringe Zahl an Hochpreisern, also Arzneimittel mit einem Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers (ApU) von 1200 Euro und mehr. Dabei sind diese Hochpreiser häufig genug ein Segen für die Betroffenen; und es darf vermutet werden, dass sie – mittelfristig gesehen – sogar die Krankenkassen entlasten.

Erwähnenswert: Während mit Einführung des Kombimodells ein Verhältnis von Beratungshonorar zu kaufmännischer Komponente von 90 zu 10 geplant war – und im Jahr des Inkrafttretens (2004) letztlich ein Verhältnis von 88,6 zu 11,4 erzielt wurde, hat sich das Verhältnis in den ersten neun Monaten des Jahres verändert auf 85,8 zu 14,2 – im September sogar auf 84,9 zu 15,1.

Mit der vermehrten Verordnung von Hochpreisern und der Zurückhaltung des Verordnungsgebers bei der Anpassung des Festzuschlags scheint das Kombimodell offensichtlich seine gesundheitspolitisch gewollte Wirkung zu verlieren.

Handelsspanne nochmals unter der 14-Prozent-Marke. Addiert man den Rohertragszuwachs aus packungsbezogener und kaufmännischer Komponente (gemäß AMPreisV), so haben die Apotheken in den ersten drei Quartalen des Jahres rund 34,4 Mio. Euro mehr an Wertschöpfung erzielt als im entsprechenden Vorjahreszeitraum; das sind für die ersten neun Monate des Jahres pro Apotheke etwa 1700 Euro mehr.

Dieser Betrag dürfte kaum reichen, den erhöhten Bürokratie-Aufwand (zu nennen sind die Verpflichtungen aufgrund der novellierten Arzneimittel-Verschreibungsverordnung und die damit verbundene Gefahr der Retaxierung, das Risiko bei Hochpreisern sowie die vermehrte Abgabe von rabattbegünstigten Arzneimitteln, um nur einige zu nennen) zu kompensieren.

Der überproportionale Anstieg des Apothekeneinkaufswertes (und damit des Umsatzes), einhergehend mit einem Verordnungsrückgang, hat im September dazu geführt, dass die Betriebshandelsspanne (in Prozenten des Umsatzes mit MwSt.) – mit 13,95 Prozent – zum zweiten Mal in Folge unter der 14-Prozent-Marke geblieben ist (vgl. Abb. 3).

Abb. 3: Betriebshandelsspanne aus zulasten der GKV abgegebenen Rx-FAM in Prozenten des Bruttoumsatzes in den Monaten Januar 2010 bis September 2015 (Vergleich: Jahresdurchschnitt 2004).


Für die ersten neun Monate des Jahres gerechnet, liegt die Betriebshandelsspanne (mit 14,62 Prozent) so tief wie noch nie zu dieser Jahreszeit. Es bleibt zu beobachten, ob die Talfahrt weitergeht.

Mehrwertsteuer bleibt Kostentreiber. Der durchschnittliche Preis der im Jahresdurchschnitt 2004, im September d. J. und in den ersten neun Monaten 2015 zulasten der GKV abgegebenen Rx-FAM sowie die wertmäßigen Anteile der Wertschöpfungsstufen und deren Entwicklung seit 2004 sind Tabelle 1 zu entnehmen. Während die Apothekenmarge innerhalb von gut zehn Jahren um 11,2 Prozent (bzw. um 81 Cent) gegenüber 2004 angewachsen ist, hat die Mehrwertsteuer um weit mehr als die Hälfte (um 57,6 Prozent, oder um 3,19 Euro) zugelegt; sie bleibt damit Kostentreiber Nummer eins.

Tab. 1: Durchschnittspreis eines zulasten der GKV abgegebenen verschreibungspflichtigen Fertigarzneimittels und seine Aufteilung auf die einzelnen Wertschöpfungsstufen (gemäß AMPreisV) im Jahre 2004, im September und in den ersten neun Monaten des Jahres 2015 sowie die entsprechenden Abweichungen.
Durchschnittliches GKV-Rx-FAM
2004 (1)
Juli 2015 (2)
Jan. – Juli 2015 (3)
(3) – (1) (4)
(4) in % (1) (5)
Verkaufspreis laut AMPreisV **
42,19 €
59,67 €
56,49 €
14,30 €
33,9%
./. Kassenabschlag 
 2,00 €
 1,77 €
 1,77 €
– 0,23 €
– 11,5%
= GKV-Abrechnungspreis (brutto)
40,19 €
57,90 €
54,72 €
14,53 €
36,1%
./. Mehrwertsteuer
 5,54 €
 9,24 €
 8,74 €
 3,19 €
57,6%
= GKV-Abrechnungspreis (netto)
34,65 €
48,66 €
45,98 €
 11,33 €
32,7%
  Apo.-Rohertrag aus Festzuschlag
 6,38 €
 6,86 €
 6,86 €
 0,49 €
 7,6%
  Apo.-Rohertrag, kfm. Komponente
 0,82 €
 1,22 €
 1,14 €
 0,32 €
38,7%
./. Apo.-Rohertrag insges. (gem. AMPreisV)
 7,20 €
 8,08 €
 8,00 €
 0,81 €
11,2%
= Apothekeneinkaufswert
27,45 €
40,58 €
37,98 €
10,53 €
38,4%
./. Großhandelsmarge
*
 1,66 €
 1,62 €
*
*
= ApU (Abgabepreis des pharm. Untern.)
*
38,92 €
36,36 €
*
*
 * = ApU (bzw. HAP) liegt für 2004 nicht vor
** = ab August 2013: „Notdienstpauschale“ von 0,16 Euro (sowohl bei Umsatz als auch bei Ertrag) unberücksichtigt, da kein direkt zuordenbarer Ertragsbestandteil
Quelle: Insight Health und eigene Berechnungen; Hü. ©

Von besonderem Interesse ist der Vergleich der aktuellen Anteile innerhalb der Wertschöpfungskette mit den Ausgangswerten des Jahres 2004 (s. Tab. 2). Apothekeneinkaufswert und vor allem Mehrwertsteuer haben mächtig Wertschöpfungsanteile gewonnen; die Apothekenmarge, und dabei vor allem der Apothekenrohertrag aus Festzuschlag, haben verloren. Heute kassiert der Staat wesentlich mehr an Umsatzsteuer aus dem Verkauf einer Rx-FAM-Packung als die Apotheke an Rohertrag zu erzielen vermag.

Tab. 2: Anteile der Wertschöpfungsstufen (gemäß AMPreisV) am Durchschnittspreis eines zulasten der GKV abgegebenen verschreibungspflichtigen Fertigarzneimittels im Jahre 2004 und bezogen auf die ersten neun Monate 2015.
Wertschöpfungsanteile am Verkaufspreis einer durchschnittlichen GKV-Rx-FAM-Packung
2004
Jan. – Sept. 2015
Verkaufspreis laut AMPreisV **
100,0%
100,0%
./. Kassenabschlag 
4,7%
3,1%
= GKV-Abrechnungspreis (brutto)
95,3%
96,9%
./. Mehrwertsteuer
13,1%
15,5%
= GKV-Abrechnungspreis (netto)
82,1%
81,4%
  Apo.-Rohertrag aus Festzuschlag
15,1%
12,1%
  Apo.-Rohertrag, kfm. Komponente
2,0%
2,0%
./. Apo.-Rohertrag insges. (gem. AMPreisV)
17,1%
14,2%
= Apothekeneinkaufswert
65,1%
67,2%
./. Großhandelsmarge
*
2,9%
= ApU (Abgabepreis des pharm. Untern.)
*
64,4%
 * = ApU (bzw. HAP) liegt für 2004 nicht vor
** = ab August 2013: „Notdienstpauschale“ von 0,16 Euro (sowohl bei Umsatz als auch bei ­Ertrag) unberücksichtigt, da kein direkt zuordenbarer Ertragsbestandteil
Quelle: Insight Health und eigene Berechnungen; Hü. ©

Wenn Wertschöpfung etwas mit Wertschätzung zu tun hätte, müsste man konstatieren, dass die Bedeutung der Apotheken im Arzneimittelmarkt in den letzten zehn Jahren immer weiter geschrumpft ist. |

Dipl.-Math. Uwe Hüsgen, langjähriger Geschäftsführer des Apothekerverbandes Nordrhein e. V., Essen, E-Mail: uwe.huesgen@web.de


*Insight Health ist ein führender Informationsdienstleister im Gesundheitsmarkt mit einem breiten Portfolio datenbasierter Services zur Markt- und Versorgungsforschung. ­Insight Health bietet individuelle Lösungen für die pharmazeutische Industrie, Krankenversicherungen, Ärztevereinigungen, Apotheken, Behörden, Politik und weitere Entscheider im Gesundheitsmarkt.

Informationen unter www.insight-health.de

Das könnte Sie auch interessieren

Betriebswirtschaftliche Analyse der Entwicklung des Apothekenhonorars

Rohertrags-Monitor Oktober 2015

Betriebswirtschaftliche Analyse der Entwicklung des Apothekenhonorars

Rohertrags-Monitor August 2015

Betriebswirtschaftliche Analyse der Entwicklung des Apothekenhonorars

Rohertrags-Monitor Juli 2015

Betriebswirtschaftliche Analyse der Entwicklung des Apothekenhonorars

Rohertrags-Monitor November 2015

Betriebswirtschaftliche Analyse der Entwicklung des Apothekenhonorars

Rohertrags-Monitor 1. Halbjahr 2015

Betriebswirtschaftliche Analyse der Entwicklung des Apothekenhonorars

Rohertrags-Monitor für das Jahr 2015

Ärzte sind auf die Verordnungsbremse getreten

Rohertrags-Monitor Mai 2015

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.