Gesundheitspolitik

„Ich rede doch gar nicht schlecht über die Apotheker!“

Interview mit dem Bundesvorsitzenden des Deutschen Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt

BERLIN (du/lk) | Ulrich Weigeldt, der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, wehrt sich seit Jahren vehement gegen die Bestrebungen der Apotheker, verstärkt Verantwortung für die Arzneimitteltherapiesicherheit durch Erstellen von Medikationsanalysen und Medikationsmanagement zu übernehmen. Diese Aufgaben gehören in die Hände der Ärzte, und zwar der Hausärzte, so sein Credo. Apotheker fühlen sich von ihm immer wieder diskre­ditiert. Alles eine Frage der Wiedergabe in den Medien? Im Gespräch mit der Apotheker Zeitung bemüht sich Weigeldt, die Wogen zu ­glätten.
Foto: DHÄT

Hausärzte-Chef Weigeldt: Gegen Medikationspläne aus der Apotheke.

AZ: Warum reden Sie eigentlich immer so schlecht über die Apotheker?

Weigeldt: Ich rede doch gar nicht schlecht über die Apotheker. Dazu habe ich überhaupt keinen Grund. Es ist in der Vergangenheit auch nicht immer alles ganz korrekt wiedergegeben worden.

AZ: Wenn man mal im Archiv nachschaut, findet man aber viele Zitate von Ihnen, die den Apothekern nicht gefallen: Apotheker ­haben beim Medikationsmanagement nichts zu suchen, ARMIN oder das ABDA-KBV-Modell seien Apothekerfütterprogramme. ­Irgendwie hat sich der Eindruck festgesetzt, dass Sie die Apotheker nicht so richtig ernst nehmen und mitmachen lassen wollen.

Weigeldt: Was heißt hier mitmachen lassen wollen? Ich glaube, die vernünftigste Arbeitsteilung zwischen Hausarzt und Apotheker ist, dass jeder seine spezifischen Kompetenzen hat und wir dann überlegen müssen, wie und wo wir zum Wohle der Patienten vernünftig zusammenarbeiten können. Es macht doch keinen Sinn, sich um Revierabgrenzung zu streiten. Ich arbeite seit 25 Jahren gut mit Apothekern zusammen. Wir müssen unsere gegenseitigen Kompetenzen nutzen. Ich lasse mich von Apothekern auch gerne in Arzneimittelfragen beraten. Aber ich halte nichts von Projekten wie ARMIN, denn es funktioniert in der Praxis nicht. Außerdem liegen in der Apotheke wichtige Informationen über die Patienten nicht vor. Der Apotheker kann sich aus der Verordnung zwar etwas über die Erkrankung zusammenreimen. Aber es gibt dort weder Diagnosen noch Laborbefunde. Ich glaube auch, dass es nicht vernünftig ist, sensible Befunde außerhalb der Arztpraxis zu verteilen. Es ist auch nicht notwendig. Daher gibt es wichtige Punkte, die ich anders als die Apotheker beurteile. Darüber muss man sachlich diskutieren.

AZ: Aber im ersten Schritt geht es doch nur um den Medikationsplan und damit um die Erfassung der Gesamtmedikation und damit auch der Selbstmedikation. Da hat doch der Apotheker einen wesentlich größeren Überblick.

Weigeldt: Nein, das stimmt nicht. Das können Sie nicht belegen.

AZ: Die aktuelle Forsa-Umfrage zur Polymedikation, die im Rahmen des Deutschen Apothekertags präsentiert wurde, sowie eine Studie aus Münster belegen genau das. Danach haben 88% der Patienten mit Polymedikation eine Stammapotheke, und in neun von zehn Fällen stimmt ein allein vom Arzt erstellter Medikationsplan mit der Realität nicht überein.

Weigeldt: Medikationspläne kann man verbessern, indem man ein vernünftiges Primärarztsystem einführt, so wie wir es mit der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) getan haben. Dort hat der Hausarzt den Überblick über alle Informationen. Wir haben aber im Kollektivvertrag ein fragmentiertes System. Das wird nicht besser, wenn wir die Informationen noch weiter verteilen und streuen. Es ist sinnvoller, jeder bleibt bei seinen spezifischen Aufgaben und wir überlegen, wie wir besser zusammenarbeiten können. Ein Beispiel: Meine Praxissoftware macht auch einen Interaktionscheck. Das Programm kaufen wir von der ABDA. Wo ist da jetzt der Vorteil, wenn das die Apotheker übernehmen?

AZ: Interaktionschecks sind nur ein kleiner Teil der Maßnahmen, die ergriffen werden müssen, um die Arzneimitteltherapiesicherheit zu verbessern. Zudem muss man vor allem mit Blick auf die Adhärenz noch viele weitere Details ­berücksichtigen.

Weigeldt: Das passiert ja auch in den Praxen. Der Apotheker kann dann z. B. überlegen, ob er zu den Verordnungen noch andere nicht-rezeptpflichtige Präparate verkauft. Das kann er ja machen, dagegen habe ich selbstverständlich nichts. Man kann auch fragen, ­warum sind verschiedene Arzneimittel der Selbstmedikation nicht rezeptpflichtig? Wenn die Kolleginnen und Kollegen in den Apotheken sowieso den Überblick über die rezeptpflichtigen Arzneien des Patienten haben, wissen sie doch, was sie an OTC nicht dazu verkaufen dürfen. Das ist doch ­alles in Ordnung.

AZ: Als Hausarzt kennen Sie aber auch nicht alle Rx-Verordnungen, weil der Patient möglicherweise noch ein weiteres Rezept vom Facharzt erhalten hat. Hat der Patient eine Stammapotheke, dann ist hier die Übersicht vorhanden.

Weigeldt: Das könnten die Patienten und die Kolleginnen und Kollegen mir aber mitteilen. Wir müssen unser System so strukturieren, dass Patienten nicht unkoordiniert vier verschiedene Ärzte aufsuchen. Das tun wir in der HZV. Das Problem der mangelnden Koordination ist ja bekannt. Das lösen wir aber nicht durch einen Medikationsplan in der Apotheke. Im Übrigen suchen die Patienten ja auch nicht immer dieselbe Apotheke auf. Ich kann ja verstehen, dass die Apotheker ihre Kompetenz etwas erweitern und ausdehnen wollen. Ich muss das aber nicht richtig finden und fördern.

AZ: Sehen Sie die Apotheker als Konkurrenten zum Hausarzt, die sich in ihr Revier vorarbeiten ­wollen?

Weigeldt: Es geht nicht um Reviere oder Konkurrenten. Wir müssen überlegen, wie wir bei immer mehr multimorbiden Patienten mit chronischen Erkrankungen das System vernünftig strukturieren. In den Praxen funktioniert die Beratung von solchen Patienten und deren Angehörigen doch gut. Da haben wir die Diagnosen und Befunde. Dort können wir z. B. schauen, wie wir bei Patienten nach Krankenhausaufenthalten die Anzahl der Arzneien verringern können. Ich weiß nicht, wie so etwas in einer Apotheke funktionieren soll. Gibt es dann dort separate Beratungszimmer? Ist immer der Apotheker selbst vor Ort? Ich glaube ehrlich gesagt, dass die Realität in der ­Apotheke nicht immer mit diesen Ideen in Einklang zu bringen ist.

AZ: Weil Sie das dem Apotheker wegen seiner Ausbildung oder ­wegen seiner Arbeitsweise nicht zutrauen?

Weigeldt: Im alltäglichen Apothekenablauf stelle ich mir das einfach sehr schwierig vor. Wir brauchen doch eine Stelle, an der Diagnosen, Befunde und die Lebensumstände der Patienten zusammenlaufen. Das ist genau das Arbeitsfeld des Hausarztes. Dafür wird er in einer fünfjährigen ärztlichen Weiterbildung ausgebildet. Deshalb gehört der Medikationsplan in die Hausarztpraxis und nicht in die Apotheke. Wir können uns gerne Gedanken machen über ein Beratungskonzept durch die Apotheker. Es nützt aber nichts, alles in die Apotheke zu verlagern, schon allein weil dort die wichtigsten Informationen fehlen. Wir sollten trotzdem über eine bessere Zusammenarbeit mit den Apothekern nachdenken, beispielsweise über Beratungskonzepte.

AZ: Die Therapiehoheit will den Ärzten doch niemand streitig machen. Aber in der Apotheke gibt es beispielsweise Informationen über den Austausch von Arzneimitteln wegen Rabattverträgen. Daher macht es doch Sinn, dass Apotheker solche Informationen frühzeitig in den Medikationsplan einbringen. Es macht auch Sinn, dass sich ein Apotheker die komplette Medikation zum Beispiel im Hinblick auf Doppelverordnungen und Anwendungsproblemen anschaut.

Weigeldt: Ich stehe häufig in der Apotheke in einer Schlange von zehn bis zwölf Leuten. Wie soll in dieser Hektik und Kürze der Zeit eine sinnvolle Beratung stattfinden? Daher: Ich stelle mir das praktisch sehr schwierig vor. In großen Apotheken mit vielen Patienten und Laufkundschaft stelle ich mir das noch schwerer vor. Ich bin stattdessen dafür, dass wir von den Apothekern die von Ihnen genannten Informationen erhalten. Das kann per E-Mail oder Anruf geschehen und künftig über moderne Kommunikationsmittel laufen.

AZ: Ihre Lösung lautet also, statt ARMIN oder Medikationsplan muss der Hausarzt ins Zentrum des Gesundheitssystems?

Weigeldt: Im Mittelpunkt muss natürlich der Patient stehen. Aber dann soll der Hausarzt derjenige sein, bei dem alles zusammenläuft. Sie sehen doch, dass ARMIN nicht funktioniert.

AZ: Die Signale aus Sachsen und Thüringen sind andere. Aber Ihre Facharztkollegen bejubeln Ihre Vorschläge sicher auch nicht unisono.

Weigeldt: Das kann ich mir gut vorstellen. Aber es gibt immer mehr, die mir zustimmen. Bei den Facharztkollegen gibt es nämlich eine immer stärkere Spezialisierung. Die benötigen vom Hausarzt die Auswahl der Spezialfälle. Wir gehen doch schon längst in eine stärkere Steuerung unseres Systems.

AZ: Und am Steuerrad sollten die Hausärzte sitzen?

Weigeldt: Das ist nicht nur meine Meinung. Das sieht zum Beispiel auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen so.

AZ: Für die Apotheker bliebe dann die Assistentenrolle?

Weigeldt: Nein, das hat doch mit Assistentenrolle nichts zu tun. Apotheker verfügen über spezifische Kompetenzen, die sie einbringen sollen und müssen. Das sind die Aufgaben, die die Apotheken schon immer hatten und immer noch haben. Die können und wollen wir Ärzte doch auch nicht übernehmen. Jeder hat sein spezifisches Arbeitsgebiet. Ich weiß nicht, warum man dieses Zusammenspiel mit Projekten verändern will, die offensichtlich nicht funktionieren.

AZ: Was halten Sie von der Idee, Apotheken als niederschwellige Anlaufstelle für Patienten zu stärken?

Weigeldt: Das haben wir doch im Prinzip heute schon. Aber viel weiter kann das nicht gehen. Der Apotheker kann doch gar nicht erkennen, ob hinter einer leichten Beschwerde eine ernsthafte Erkrankung steckt. Das kann nur der Arzt. Da fehlen dem Apotheker auch einfach die Informationen zur Krankheitsgeschichte und ähnliches. So einfach ist die Welt eben nicht. Man kann den Hausarzt nicht durch einen Apotheker ersetzen, auch nicht teilweise. Anders herum übrigens genauso wenig! Ich halte solche Überlegungen für einen Trugschluss.

AZ: Im Rahmen des neuen Präventionsgesetzes wollten die Apotheker beispielsweise die Sicherstellung des Impfschutzes übernehmen.

Weigeldt: Wie soll das aussehen? Wollen Apotheker selbst impfen? Ich habe schon schwere Komplikationen bei Grippeimpfungen erlebt. Ich glaube ein Apotheker, der so etwas einmal erlebt, wird davon die Finger lassen. Das ist nicht der richtige Weg. Wenn jeder impft, haben wir das System der unkoordinierten Verantwortungslosigkeit. Gut finde ich, wenn wir beim Thema Impfen zusammenarbeiten, wenn der Apotheker sich den Impfausweis anschaut und Patienten empfiehlt, Impflücken beim Arzt auffüllen zu lassen. Das ist ein vernünftiger Weg. Nochmal: Ich finde es besser, wenn jeder bei seinen spezifischen Kompetenzen bleibt und wir die Kommunikation verbessern. Ich kenne aus keinem Gesundheitssystem der Welt Erfahrungen, die belegen, dass es sinnvoll ist, die Verantwortungen möglichst breit zu verteilen.

AZ: Also Apotheker bleib bei ­deinem Leisten ...

Weigeldt: Das habe ich nicht gesagt. Ich habe nichts gegen Apotheker. Ich kann und will sie nicht ersetzen. Ich habe den Wunsch, dass wir in der Zusammenarbeit vorankommen. Wir sollten keine Konkurrenz oder Hierarchien aufbauen. Daran hat keiner ein Interesse. Ich glaube Ärzte und Apotheker kommen auf Dauer gut miteinander aus.

AZ: Herr Weigeldt, vielen Dank für das Interview. |

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