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Fragen aus der Praxis

Spritzen für den Rücken

Verordnungsfähigkeit von NSAR-Injektionen und weiteren Parenteralia

In der Nationalen Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz (NVL) [1] finden wir die Empfehlung: „Intravenös oder intramuskulär applizierbare Schmerzmittel, Glucocorticoide und Mischinfusionen sollen für die Behandlung des akuten und chronischen nichtspezifischen Kreuzschmerzes nicht angewendet werden.“ Und auch die Fachinformation sagt: „Diclofenac-Injektionslösung ist nur angezeigt, wenn ein besonders rascher Wirkungseintritt benötigt wird oder eine Behandlung mit oralen oder rektalen Darreichungsformen nicht möglich ist. Die Behandlung sollte hierbei in der Regel auch nur als einmalige Injektion zur Therapieeinleitung erfolgen.“ [2].

Frage

Herr S. leidet immer wieder unter Rückenschmerzen. Meistens behandelt er sich selbst, nimmt Ibuprofen und hält einige Tage Bettruhe. Jetzt dauern seine Rückenschmerzen aber schon länger an, und er hat mal wieder seinen Orthopäden aufgesucht, der ihn schon einige Male „fit gespritzt“ hat. Doch diesmal hat der Arzt ein Privatrezept über fünf Diclofenac-Ampullen mit der Begründung ausgestellt, die Krankenkasse trage die Kosten nicht mehr.

NSAR zur Injektion

Die kassenärztliche Verordnung von Injektions- oder Infusionslösungen kann durch unterschiedliche Regelungen eingeschränkt sein. In unserem Beispielfall gibt es allerdings keine explizite Einschränkung, der Arzt kann selbstverständlich Diclofenac-Ampullen verordnen, wenn es medizinisch notwendig ist. Doch liegt in unserem Fall eine Notwendigkeit vor?

Das SGB V schreibt vor: „Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.“ (§  2, Abs. 1, S. 3). In der Nationalen Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz (NVL) [1] finden wir die Empfehlung: „Intravenös oder intramuskulär applizierbare Schmerzmittel, Glucocorticoide und Mischinfusionen sollen für die Behandlung des akuten und chronischen nichtspezifischen Kreuzschmerzes nicht angewendet werden.“ Und auch die Fachinformation sagt: „Diclofenac-Injektionslösung ist nur angezeigt, wenn ein besonders rascher Wirkungseintritt benötigt wird oder eine Behandlung mit oralen oder rektalen Darreichungsformen nicht möglich ist. Die Behandlung sollte hierbei in der Regel auch nur als einmalige Injektion zur Therapieeinleitung erfolgen.“ [2]. Es gibt drei Gründe, warum eine Injektionsbehandlung bei unspezifischen Kreuzschmerzen nicht mehr angewendet werden sollte:

  • Bereits 1995 empfahl die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Diclofenac und andere NSAR wegen schwerer immunologischer Nebenwirkungen nur noch in Ausnahmefällen parenteral zu verabreichen (Dt. Ärzteblatt), zudem sollte die Anwendung auf Patienten beschränkt sein, denen eine verzögerte Schmerzminderung nicht zuzumuten ist. Nach der Injektion wird außerdem eine mindestens einstündige Beobachtungszeit in der Praxis empfohlen [3].
  • Die Injektionstherapie scheint nicht besser zu wirken als andere Therapieformen (z.B. eine orale Therapie); oft ist sie nicht einmal einer Placebo-Injektion überlegen, wie ein systematischer Review von 18 verschiedenen randomisierten kontrollierten Studien belegen konnte [4].
  • Der dritte Grund, der gegen die Injektionsbehandlung spricht, liegt in der „iatrogenen Fixierung“ des Patienten, die auch in der Leitlinie „Nackenschmerzen“ der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) betont wird [5]. Diese liegt wahrscheinlich auch bei Herrn S. vor, da er in der Vergangenheit offenbar gute Erfahrungen mit den Injektionen gemacht hat. Eine orale Therapie mit einem ausreichend hoch dosierten NSAR hätte wahrscheinlich ebenso gut geholfen, wenn der Arzt niemals zur Spritze gegriffen hätte.

Eine Beratung vor diesem Hintergrund ist daher nicht so einfach, da es sich wohl um eine Wunschverordnung handelt und der Arzt die Risiken in diesem Fall offenbar als gering einschätzt. Trotzdem können Sie Herrn S. den guten Rat geben, sich bei Rückenschmerzen nicht ins Bett zu legen. Denn das könnte seine Probleme langfristig verschlimmern (siehe NVL). Er könnte auch noch einmal mit seinem Arzt Rücksprache halten und ihn fragen, welche Behandlung denn seine Krankenkasse bezahlen würde und ob diese Behandlung gegenüber der „Spritzentherapie“ Nachteile oder sogar Vorteile hätte.

Verordnungen im Rahmen einer periradikulären Therapie

Einen Streit gab es Mitte letzten Jahres um die Abrechnung der periradikulären Therapie (PRT), also der perkutanen Applikation von Medikamenten lokal an eine Nervenwurzel unter bildgebender Kontrolle [6]. Wegen unzureichender Belege für eine Wirksamkeit schränkte zunächst der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) diese Therapieform ein [7], mit Wirkung zum 1. April 2013 beschloss dann auch der Bewertungsausschuss, dass nur noch Schmerztherapeuten diese Gebührenordnungsposition abrechnen dürfen und auch nur im Rahmen eines „multimodalen Schmerztherapiekonzeptes“. Der Schmerztherapeut kann allerdings den Patienten auch an einen anderen Arzt überweisen [8]. Obwohl verschiedene Studien Zweifel an der Wirksamkeit dieser Therapie aufkommen lassen (siehe [9]: Vergleich von Corticoidinjektionen mit Scheininjektionen unter Ultraschall-Kontrolle), bieten viele Ärzte die PRT als Selbstzahlerleistung an. Die Patienten erhalten dann natürlich über die eingesetzten Medikamente (oft Lokalanästhetika, Corticoide) ein Privatrezept. Aber selbst wenn die PRT von einem Schmerztherapeuten durchgeführt und zulasten der Krankenkasse abgerechnet wird, können Corticoide eigentlich auch nur privat verordnet werden, da sie für die PRT nicht zugelassen sind. Es handelt sich hier also um einen Off-label-use.

Weitere Parenteralia

Auch andere Parenteralia werden häufig privat verordnet. Die Infusionstherapie bei Hörsturz und Tinnitus wurde bereits in dieser Serie thematisiert [10]. Hier schränkt die Anlage III der Arzneimittelrichtlinie (AMR) die Verordnung ein: „24. durchblutungsfördernde Mittel“. Die meisten der eingesetzten Präparate sind außerdem für diese Anwendungsgebiete gar nicht zugelassen, so dass es sich um einen Off-label-use handelt, der nur in sehr wenigen begründeten Einzelfällen eine Kassenleistung sein kann [11].

Die Verordnung von Hyaluronsäure-Injektionen ist ebenfalls nicht auf einem Kassenrezept möglich. Die meisten der Präparate haben eine Zulassung als Medizinprodukt, die nur dann eine Kassenleistung sind, wenn sie in der Anlage V der Arzneimittelrichtlinie aufgeführt sind, was bei keinem der Präparate der Fall ist. Hyalart® hat zwar eine Zulassung als verschreibungspflichtiges Arzneimittel, doch steht einer Verordnung die Anlage III: „9. Antiarthrotika und Chondroprotektiva“ entgegen [12].

Antwort kurz gefasst

  • Verschreibungspflichtige Injektabilia, für die kein Verordnungsausschluss vorliegt, können, wenn sie indikationsgemäß eingesetzt werden, zulasten der GKV verordnet werden. Orale Alternativen sollten aber vorher überprüft werden.
  • Injektabilia werden jedoch häufig off label eingesetzt. Off-label-use kann nur in sehr wenigen begründeten Einzelfällen eine Kassenleistung sein.
  • Für manche Indikationen (z.B. PRT) ist die Verordnung zulasten der GKV bestimmten Fachgruppen vorbehalten und an Rahmenbedingungen geknüpft (z.B. ein multimodales Schmerztherapiekonzept).

Vitamin-Aufbauspritzen

Häufig wird gerade älteren Menschen, beispielsweise nach einer längeren Erkältungskrankheit, eine Kur mit Vitaminen empfohlen, die parenteral in der Arztpraxis verabreicht werden sollen. Meistens wird dann das Kombinationspräparat Medivitan® auf einem Privatrezept verordnet. Da das Präparat recht teuer ist und die Senioren oft auch noch die Kosten der ärztlichen Leistung in Rechnung gestellt bekommen, kann es schon vorkommen, dass man Sie um Rat fragt, ob es nicht eine preiswertere Möglichkeit gebe und ob diese Therapie wirklich notwendig sei. Bei Medivitan® Injektionslösung handelt es sich um ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel (Cave: Medivitan® iV ist apothekenpflichtig), es könnte theoretisch auch zulasten der Kasse verordnet werden. Zugelassen ist es für folgende Anwendungsgebiete (siehe Fachinformation): „Kombinierter Mangel an Vitamin B6, Vitamin B12 und Folsäure, der ernährungsmäßig nicht behoben werden kann.“ Ein kombinierter Vitaminmangel wird jedoch in den seltensten Fällen vorliegen; es handelt sich also wieder um einen Off-label-use. Wie sinnvoll die parenterale Verabreichung von Vitaminen in diesen Fällen ist, soll hier nicht diskutiert werden. Vielleicht könnte der Patient auch noch einmal mit seinem Arzt Rücksprache halten, ob wirklich ein Vitaminmangel vorliegt, und wenn ja, die orale Einnahme eines sinnvoll zusammengesetzten Multivitaminpräparates nicht ebenso hilfreich wäre. Trotzdem treten gerade bei Senioren häufig Vitamin-B12-Mangelerscheinungen auf, die auch nach einer Ernährungsberatung persistieren. Die Ursachen sind meistens Ernährungsfehler oder auch eine chronische Gastritis. In diesen Fällen ist die Verordnung eines parenteralen Vitamin-B12-Monopräparates selbstverständlich auf einem Kassenrezept möglich (siehe AMR, Anlage I: „Wasserlösliche Vitamine ... als Monopräparate nur bei nachgewiesenem, schwerwiegendem Vitaminmangel, der durch eine entsprechende Ernährung nicht behoben werden kann.“).

Eisen-Infusionen

Bei nachgewiesener Eisenmangelanämie können orale Eisen (II)-Verbindungen auch für Erwachsene auf einem Kassenrezept verordnet werden (AMR, Anlage I, 17.). Eisenpräparate zur intravenösen Applikation (z.B. Ferrlecit®) sind verschreibungspflichtig und von keinen Verordnungsausschlüssen betroffen. Eine Verordnung auf Privatrezept wäre unzulässig, wenn der Patient gesetzlich krankenversichert und die Verordnung medizinisch notwendig ist. Eisen-Infusionen sollten allerdings nur dann verabreicht werden, wenn eine orale Substitution nicht wirkt oder nicht vertragen wird. Der Arzt sollte dann sehr gründlich den Nutzen gegen die Risiken abwägen, da es zu Überempfindlichkeitsreaktionen mit teilweise tödlichem Ausgang kommen kann, wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte im Oktober 2013 informierte. Der Patient sollte vom Arzt entsprechend beraten werden: „Jeder Arzt sollte seine Patienten vor jeder Behandlung über das Risiko einer Überempfindlichkeitsreaktion aufklären. Die Patienten sind über die relevanten Symptome zu informieren und dazu aufzufordern, sich bei Auftreten einer solchen Reaktion sofort in ärztliche Behandlung zu begeben.“ [13]. Selbstverständlich kann auch die Apotheke diese Beratung übernehmen. 

Literatur

 [1] NVL Kreuzschmerz: www.versorgungsleitlinien.de/themen/kreuzschmerz/pdf/ nvl-kreuzschmerz-lang-4.pdf

 [2] z.B. Fachinfo Diclofenac ratiopharm Injektionslösung, www.fachinfo.de

 [3] AkdÄ: Anaphylaktische Schockreaktionen nach parenteraler Gabe von Diclofenac. Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 1/2, 09.01.1995

 [4] Staal JB, de Bie, R.A. et al.: Injection therapy for subacute and chronic low back pain: an updated Cochrane Review. Spine, Vol.34 (1): 49–59, Jan. 2009

 [5] DEGAM-Leitlinie Nr. 13, Nackenschmerzen: www.degam.de/files/Inhalte/Leitlinien-Inhalte/Dokumente/DEGAM-S3-Leitlinien/LL-13_Nackenschmerzen-13_Langfassung_ZD.pdf

 [6] Streit um Spritze gegen Schmerz. Hamburger Abendblatt 25.05.2013

 [7] www.g-ba.de/downloads/39-261-1350/2011-05-19_116b_CT-MRT-gest%C3%BCtzte%20Schmerztherapie_BAnz.pdf

 [8] Deutsches Ärzteblatt 109, Heft 51–52, A2604, 24.12.2012

 [9] Iversen, T.; Solberg T.K. et al.: Effect of caudal epidural steroid or saline injection in chronic lumbar radiculopathy; multicentre, blinded, randomised controlled trial. BMJ 2011; 343:d5278

[10] Nicht auf Rezept: Wenn Tinnitus und Hör-sturz zur Privatsache werden. DAZ 2011, Nr. 10, S. 62

[11] Nicht auf Rezept: Off label und immer wieder Streit um Kostenübernahme. DAZ 2011, Nr. 36, S. 66

[12] Hyaluronsäure und Co gegen Arthrose: Was hilft und was wird erstattet? DAZ 2012, Nr. 22, S. 50

[13] www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/DE/RHB/2013/rhb-eisen-iv.html

(alle online-Quellen: letzter Zugriff: 16.02.2013)

Autorinnen

Stanislava Dicheva, Insa Heyde, Daniela Böschen, Anna Hinrichs, Heike Peters

Apothekerinnen und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen in der Arbeitsgruppe „Arzneimittelanwendungsforschung“, Zentrum für Sozialpolitik, Universität Bremen

Universität Bremen Zentrum für Sozialpolitik

UNICOM-Gebäude Mary-Somerville-Str. 5, 28359 Bremen

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