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Im Kampf gegen Übergewicht bei Kindern muss das Umfeld einbezogen werden

jb |Der größte Teil der übergewichtigen und adipösen Kinder und Jugendlichen ist selbst mit wissenschaftlich evaluierten und intensiv betreuten individuellen Maßnahmen, die auf Sport, Ernährung, Verhaltensänderung und Schulung der Eltern basieren, nicht dauerhaft therapierbar. Folglich gibt es eigentlich nur einen Weg, mit dem Problem Adipositas im Kinder- und Jugendalter umzugehen, nämlich es gar nicht erst entstehen zu lassen, also auf Prävention zu setzen. Wo man hier ansetzen sollte, erklärte Prof. Dr. Martin Wabitsch, Experte für Adipositas im Kindesalter, in seinem Vortrag im Rahmen des Pharmacon in Davos.

Dicke Kinder werden gehänselt und ausgelacht, im Schulsport laufen sie ihren Altersgenossen meist hoffnungslos hinterher. Sie tragen schwer an ihren Pfunden, psychisch wie auch physisch. Die Folge: Erkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes und andere Stoffwechselstörungen, die man bisher nur bei Erwachsenen kannte, treten bereits im Kindesalter auf. Pädiater müssen von ihren internistischen Kollegen lernen, wie mit diesen Krankheiten umzugehen ist.

Studie zeigt: dick und gesund gibt es fast nicht

Mit aktuellen Zahlen untermauerten jetzt Ernährungswissenschaftler der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der Universität Hohenheim das Problem. Bereits drei Viertel der übergewichtigen Kinder im Alter zwischen fünf und acht Jahren zeigen Symptome gewichtsbedingter Stoffwechselstörungen. Für die Studie erfassten die Forscher Größe, Gewicht, Blutdruck und verschiedene Laborparameter wie Blutzucker, Cholesterol- und Triglycerid-Spiegel von 100 übergewichtigen und 51 normalgewichtigen Grundschulkindern. Die Werte waren alarmierend. So wich bei fast drei Viertel der übergewichtigen Kinder mindestens ein Stoffwechselparameter von der Norm ab. Bei manchen waren sogar bis zu fünf Werte auffällig. Gesunde dicke Kinder gibt es also zumindest laut dieser Studie praktisch nicht. Mädchen sind dabei noch gefährdeter als Jungen. Bei ihnen fangen die Probleme bereits im Grenzbereich von Normal- und Übergewicht an, während für Jungen das Risiko für Stoffwechselstörungen erst mit starkem Übergewicht deutlich ansteigt. Und selbst bei den normalgewichtigen Kindern weist immerhin jedes siebte Auffälligkeiten im Stoffwechsel auf. Allerdings blieben diese Störungen oft unentdeckt, da es bei Vorsorgeuntersuchungen beim Kinderarzt hauptsächlich um die körperliche und geistige Entwicklung der Kinder geht. Nach Hinweisen auf Stoffwechselerkrankungen werde in der Regel nicht gesucht.

Was ist also zu tun, wo setzt man an? Dazu ist es wichtig zu wissen, dass das Körpergewicht auf der Basis der individuellen genetischen Anlage im wesentlichen durch die Lebensbedingungen beziehungsweise den Lebensstil bestimmt wird. Der Grundstein für späteres Übergewicht wird bereits während der Schwangerschaft durch Fehlernährung der Mutter gelegt. Außerdem spielt wohl auch ein Überangebot an Nährstoffen unmittelbar nach der Geburt eine Rolle. Die daraus resultierende veränderte Stoffwechselaktivität und die Störung der Energiehomöostase ist zeitlebens unabänderlich. Daher bleibt im Grundschulalter als Ansatzpunkt nur noch die zweite Komponente, die das Körpergewicht bestimmt: die Lebensbedingungen. Nachhaltige Änderungen des Körpergewichts erfordern aber substanzielle Änderungen der Lebensbedingungen. Diese Verantwortung kann keinesfalls den Kindern alleine aufgebürdet werden, sondern ist eine gemeinsame Verantwortung, in die die Kinder selbst, aber auch das familiäre und soziale Umfeld mit einbezogen werden müssen.

Lebensbedingungen müssen sich ändern

Dafür, dass Änderungen der Lebensbedingungen tatsächlich einen Effekt haben und einer eventuellen ungünstigen genetischen Disposition entgegenwirken können, gibt es mittlerweile mehrere wissenschaftlich evaluierte Beispiele:

  • Die finnische STRIP-Studie (Special Turku Coronary Risk factor Intervention project for children), in der Familien mit Kleinkindern hinsichtlich ihrer Ernährung geschult wurden, um kardiovaskuläre Risikofaktoren zu reduzieren. Beim Follow-up im Alter von neun Jahren konnte in der Interventionsgruppe ein niedrigerer Verzehr von Fett und gesättigten Fettsäuren sowie eine geringere Insulin-Resistenz verzeichnet werden.
  • Eine Studie mit 600 Schülern zwischen sechs und elf Jahren, die die Effekte eines reduzierten Verzehrs von Zucker und zuckerhaltigen Getränken überprüfte. Hier ergab sich, nachdem Schulklassen gruppenweise randomisiert wurden, dass in der Interventionsgruppe tatsächlich weniger Zucker konsumiert wurde. Außerdem blieb hier die Prävalenz von Übergewicht konstant, während sie in der Kontrollgruppe um 7,5% anstieg.
  • Die Trinkfit-Studie, die untersuchte, ob eine alleinige Förderung des Wasserkonsums in der Prävention von Übergewicht bei Grundschulkindern wirksam ist. Es wurden Wasserspender installiert, Wasserflaschen an Schüler ausgegeben und Unterrichtsstunden zu Wasser durchgeführt sowie Motivationseinheiten angeboten. Die Auswertung der Daten von 2950 Kindern, die im Mittel etwas über acht Jahre alt waren, ergab in der Interventions- im Vergleich zur Kontrollgruppe ein um 31% reduziertes Risiko für Übergewicht.

Diese Daten machen Hoffnung. Ja, man kann tatsächlich etwas tun, um Übergewicht und Adipositas in jungen Jahren vorzubeugen und den Kindern zumindest die Chance zu geben, ohne gesundheitliche Hypotheken erwachsen zu werden. Allerdings ist es wichtig, die Präventionsmaßnahmen nicht nur auf die betroffenen Kinder zu fokussieren, sondern das ganze Umfeld, also Familie und Klassenkameraden, mit einzubeziehen, denn nur so ist die substanzielle Änderung der Lebensbedingungen zu erreichen, die für eine nachhaltige Gewichtskontrolle notwendig ist. 

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