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Bundesgesundheitsminister beharrt auf Rezeptpflicht für die „Pille danach“

BERLIN (jz) | In Sachen „Pille danach“ wollte der neue Bundesgesundheitsminister zunächst die Entscheidung des Sachverständigenausschusses für Verschreibungspflicht abwarten. Dieser empfahl im Januar – zum zweiten Mal –, Levonorgestrel als Notfallkontrazeption frei zugänglich zu machen. Die erforderliche Beratung sei in den Apotheken gewährleistet. Doch Hermann Gröhe (CDU) sieht das anders: Er will sich dem Expertenrat widersetzen und die Rezeptpflicht beibehalten.

Lange hatte Gröhe zum Thema Rezeptpflicht der „Pille danach“ geschwiegen. Lange war daher unklar, ob er die gleiche Meinung vertritt wie der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn. Der hatte insbesondere in den vergangenen Wochen immer wieder deutlich gemacht, dass er die Entlassung für die falsche Option hält. Am vergangenen Wochenende bezog Gröhe nun in der „Welt am Sonntag“ Stellung – und lehnte die Freigabe ab. Zugleich warb er für eine „gute Beratung“. Die sei „am besten gewährleistet, wenn es bei der Verschreibungspflicht bleibt“.

Levonorgestrel könne in Einzelfällen schwere Nebenwirkungen haben, erklärte der Minister in der Zeitung. Zwar könnten auch Apotheken die nötige Beratung übernehmen, doch sei fraglich, ob das im Notdienst an der Fensterklappe in ausreichender Weise geschehen könne. Die Verschreibung ermögliche ein Beratungsgespräch, das in der vertraulichen Atmosphäre einer Praxis erfolge und der Schweigepflicht unterliege. Angesichts der am 13. Februar im Bundestag zu beratenden Anträge der Linken und der Grünen, die Verschreibungspflicht aufzuheben, warnte Gröhe vor einer „Debatte mit Schaum vor dem Mund“. Es gehe weder darum, vermeintlichen Sittenverfall zu bekämpfen, noch um eine Einschränkung der Selbstbestimmung von Frauen. „Es geht darum, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und die Frauengesundheit bestmöglich zusammenzubringen.“

Montgomery: Apotheker überschreiten Grenze

Unterstützung erhält Bundesgesundheitsminister Gröhe nicht nur aus der eigenen Fraktion, sondern auch von Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK): „Ich möchte nun meinen akademischen Freunden von der Pharmazie nicht weh tun, aber ich glaube, da überschreiten sie doch eine Grenze“, sagte Montgomery im Telefoninterview mit dem Deutschlandfunk. „Die Beratung in der Apotheke, die halte ich nicht für ausreichend, die halte ich überhaupt nicht für suffizient.“ Zweifel äußert er auch beim Thema Diskretion: „Stellen Sie sich mal vor, Sie lassen sich da am Counter eines Apothekers in Fragen der Sexualität beraten. Ich halte das für einen nicht klugen Vorschlag.“

An der Rezeptpflicht für die „Pille danach“ will Montgomery nach eigenem Bekunden nicht aus pharmakologischen oder chemischen Gründen festhalten. Die Einstellung rühre auch nicht daher, dass sich die Ärzteschaft nicht das Geschäft aus der Hand nehmen lassen wolle, betonte der Bundesärztekammerpräsident. „Das hat damit wirklich überhaupt gar nichts zu tun, weil das ist eine verschwindende Anzahl von Besuchen, die auch zum großen Teil in Notfallambulanzen von Krankenhäusern geschehen und Ähnliches. Das ist wirklich überhaupt nicht unser Argument.“ Stattdessen verweist er darauf, dass in Deutschland ein gut funktionierendes System ärztlicher Beratung existiere. „Wir finden das sehr gut, dass gerade sehr junge Menschen, gerade junge Mädchen durch den Zugang zum Arzt Beratung bekommen, wie man so was auch für die Zukunft verhindert, und nicht einfach nur eine Pille in der Apotheke kaufen“, so Montgomery. Zudem sei Ulipristalacetat das „wesentlich bessere Medikament“, es wirke auch bei höherem Körpergewicht und etwas später noch sicherer. Nicht zuletzt würde die Levonorgestrel-Freigabe dazu führen, dass das Präparat in Deutschland beworben werden dürfte, warnt Montgomery: „Und dann würden wir in Zukunft in den Hochglanzbroschüren wahrscheinlich Werbung für Levonorgestrel sehen.“ Das sei nicht vernünftig.

Verärgerung und Unverständnis

In der Apothekerschaft wird indes daran festgehalten, dass Apotheker die Arzneimittelsicherheit gewährleisten und Verantwortung dafür übernehmen können, dass Medikamente nicht missbräuchlich angewendet werden. Auch die Abgabe der Pille danach im apothekerlichen Notdienst – über die Klappe – erfolge „korrekt und diskret“, erklärte eine Sprecherin. In der Politik fielen die Reaktionen deutlicher aus, die Opposition spricht von Blockadepolitik. Sowohl das Expertengremium des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte als auch der Bundesrat hätten empfohlen bzw. gefordert, die Rezeptpflicht aufzuheben. „Gröhe knickt vor Moralaposteln und Ärztelobby ein“, erklärte die Grünen-Sprecherin für Prävention und Gesundheitswirtschaft, Kordula Schulz-Asche – er stelle damit „Ideologie und ökonomische Interessen über das Selbstbestimmungsrecht von Frauen“.

Der Koalitionspartner reagierte ebenfalls mit Unverständnis: „Frauen muss in Notfallsituationen ein schneller Zugang zur ‚Pille danach‘ möglich sein“, sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD, Hilde Mattheis. Die Beratung sei über die Apotheken sichergestellt. In anderen europäischen Ländern gebe es ausschließlich positive Erfahrungen mit der Rezeptfreiheit. Karl Lauterbach, stellvertretender SPD-Fraktionschef, sagte der „Süddeutschen Zeitung“, Gröhes Entscheidung sei „eine Bevormundung von Frauen, denen in einer Notlage die Ausübung ihrer Rechte vorenthalten wird“. Die SPD werde zu einem späteren Zeitpunkt womöglich dagegen vorgehen.

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