Arzneimittel und Therapie

Bedenkliches Amygdalin

Gefahr einer Cyanid-Intoxikation

ck | Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft berichtet über einen Vergiftungsfall nach Behandlung mit Amygdalin. Sie warnt vor der Anwendung von Amygdalin-haltigen Fertigarzneimitteln und Produkten.

Schon im Oktober wies die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) darauf hin, dass Amygdalin-haltige Arzneimittel bedenklich sind. Amygdalin-haltige Arzneimittel (auch Mandelonitril, Mandelonitril-Glykoside, Laetrile, „Vitamin B17“) sind in Deutschland nicht zugelassen. Sie werden aber seit einiger Zeit verstärkt als alternatives Heilmittel in der Krebstherapie beworben. Im aktuellen Fall war ein Kind an einem Tumor des zentralen Nervensystems erkrankt. Nach sechs Monaten machte ein Tumorrezidiv eine neuerliche Operation erforderlich. Ein halbes Jahr später wurden erneut ein Tumorrezidiv sowie eine spinale Metastasierung diagnostiziert, die durch Bestrahlung behandelt wurden. Etwa eineinhalb Jahre nach Erstdiagnose erfolgte in der palliativen Situation eine alternativmedizinische Behandlung mit Amygdalin: Der Junge hatte täglich „Vitamin B17“ intravenös sowie zusätzlich ca. zehn bittere Aprikosenkerne pro Tag oral erhalten. Er wurde mit dem Verdacht einer Cyanid-Intoxikation vom Notarzt ins Krankenhaus eingeliefert. Der Cyanid- Blutspiegel lag bei 514 μg/l (toxischer Bereich: > 200 μg/l). Nach Gabe des Antidots Natriumthiosulfat besserte sich der Zustand, der Junge konnte nach zweitägiger stationärer Behandlung entlassen werden. Amygdalin ist ein cyanogenes Glykosid, das unter anderem in bitteren Aprikosen- und Mandelkernen in einer Konzentration von bis zu 8% vorkommt. In Gegenwart von Wasser und der ebenfalls in den Kernen vorhandenen β-Glucosidase wird aus Amygdalin Blausäure freigesetzt. Das entstehende Cyanid hemmt die Cytochrom-c-Oxidoreduktase der Atmungskette: Die Energiegewinnung der Zelle versagt, eine „innere Erstickung“ ist die Folge. Geringe Amygdalin-Mengen können durch Stoffwechselvorgänge entgiftet werden; mehr als zwei bittere Aprikosenkerne gelten aber als bedenklich. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bewertet den Einsatz von Amygdalin am Menschen als erheblich riskant und sieht keine Wirksamkeit in der Tumortherapie. Ein Nutzen sei nicht vorhanden und der mögliche Schaden überwiege bei Weitem. Als ein „bedenkliches Arzneimittel“ im Sinne des § 5 AMG darf Amygdalin nicht in Verkehr gebracht oder angewendet werden.  

Quelle

Cyanid-Intoxikation nach oraler Amygdalin-Behandlung (Aus der UAW-Datenbank). AkdÄ Drug Safety Mail 37–2014

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