AMTS-Spezial

Endstation Las Vegas

Impulskontrollstörungen unter dopaminerger Medikation

Von Verena Stahl | Seit zehn Jahren ist bekannt, dass Impulskontrollstörungen wie Spielsucht oder gesteigerter Sexualtrieb durch Dopamin-Agonisten und dopaminerge Wirkstoffe ausgelöst werden können. Nicht wenige Patienten erlitten durch die unerwünschte Arzneimittelwirkung großen finanziellen Schaden, zerstörten ihre Existenz und verloren den Kontakt zu Freunden und Familie.

Endstation Las Vegas

Impulskontrollstörungen (impulse control disorder, ICD) sind charakterisiert durch die Unfähigkeit, einem Impuls, Trieb, Drang oder einer Versuchung zu widerstehen, welche(r) einem selbst oder anderen schadet. Man nimmt an, dass Impulskontrollstörungen mit Dysregulationen im Belohnungssystem in Verbindung stehen, bei dem unter anderem der Neurotransmitter Dopamin eine große Rolle spielt. Es verwundert daher nicht weiter, dass Dopamin-Agonisten/dopaminerge Wirkstoffe hier Einfluss nehmen und beobachtet seit ein paar Jahren das Auftreten von Impulskontrollstörungen unter dopaminerger Medikation. Zu den unerwünschten zwanghaften Verhaltensweisen, die potenziell ausgelöst werden können, zählen Spielsucht bzw. pathologisches Spielen, Libidosteigerung, Hypersexualität, zwanghaftes Essen und Kaufsucht. Die genaue Prävalenz der Entwicklung von Impulskontrollstörungen unter dopaminerger Medikation kann nicht genau beziffert werden, da die Verhaltensstörungen meist aus Scham verheimlicht, beziehungsweise von den Betroffenen nicht in Verbindung mit der Einnahme von Medikamenten gebracht werden. In einer vielzitierten Querschnittsstudie mit 3090 Parkinson-Patienten stellte man Impulskontrollstörungen bei 13,6% der Patienten fest [1]. Dabei zeigten 5,0% eine Spielsucht, 3,5% ein zwanghaftes Sexualverhalten, 5,7% waren kaufsüchtig und 4,3% essgestört. Von zwei oder mehr Störungen der Impulskontrolle waren annähernd 4% der Parkinson-Patienten betroffen. In einem Vergleich der Häufigkeiten des Auftretens von Impulskontrollstörungen in Abhängigkeit von der Einnahme von Dopamin-Agonisten zeigte sich, dass unter der Therapie signifikant häufiger Impulskontrollstörungen beobachtet wurden: 17,1% versus 6,9% (odds ratio [OR] 2,72; 95% Konfidenzintervall [CI] 2,08–3,54; p< 0,001). Dies bedeutet, dass die Therapie mit Dopamin-Agonisten bei Parkinson-Patienten mit einer 2- bis 3,5-fach erhöhten Wahrscheinlichkeit verbunden ist, eine Impulskontrollstörung zu haben.

Parkinson-spezifisch?

Noch war jedoch nicht eindeutig geklärt, ob der beobachtete Zusammenhang von gehäuften Impulskontrollstörungen bei Parkinson-Patienten rein medikationsabhängig ist oder ob auch die Erkrankung selbst ein erhöhtes Risiko birgt. Amerikanische Wissenschaftler zeigten im vergangenen Jahr im Rahmen einer Fall-Kontroll-Studie mit bisher nicht behandelten, neu diagnostizierten Parkinson-Patienten, dass Symptome einer Impulskontrollstörung bei ihnen nicht häufiger auftraten als in der gesunden Kontrollgruppe [2]. Man untermauerte dadurch, dass die Ursache von Impulskontrollstörungen im betroffenen Patientenkollektiv in Nebenwirkungen einer Therapie mit Dopamin-Agonisten oder dopaminerger Medikation zu sehen ist und dass nicht die Parkinson-Erkrankung selbst das Risiko erhöht. Nicht nur Parkinson-Patienten sind daher potenziell betroffen, sondern auch Patienten, die Dopamin-Agonisten oder dopaminerge Wirkstoffe bei Erkrankungen wie dem Restless-Legs-Syndrom einsetzen oder Frauen, die medikamentöse Unterstützung beim Abstillen benötigen. Für Letztgenannte wird der Einsatz von Bromocriptin zur Unterdrückung der Milchproduktion nun aufgrund anderer Sicherheitsrisiken stark eingeschränkt werden [3]. Es ist von der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA vorgesehen, Bromocriptin in der Dosierung 2,5 mg nur noch zum primären und sekundären Abstillen bei zwingenden medizinischen Gründen einzusetzen (postpartaler Milchstau, Mastitis, HIV-Infektion der Mutter, medikamentöse Amenorrhoe/Galaktorrhoe oder Tod des Kindes) und nicht mehr, um nach der Geburt die Laktation zu hemmen oder bei Schmerzen und Schwellungen der Brust. Ende August befürwortete die CMDh-Gruppe der EMA (Coordination Group for Mutual Recognition and Decentralised Procedures – Human) mehrheitlich die durch den Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (Pharmacovigilance Risk Assessment Committee, PRAC) ausgesprochene diesbezügliche Empfehlung. Der bis dato sehr häufige Einsatz von Bromocriptin zum Abstillen, der auch das Risiko der Entwicklung von Impulskontrollstörungen birgt, wird nun auf die wirklich medizinisch notwendigen Indikationen beschränkt.

Verheerende Folgen

Eine durch Dopamin-Agonisten oder dopaminerge Medikation ausgelöste Form der Impulskontrollstörungen ist die Spielsucht. Als spielsüchtig gelten 0,4 bis 3,4% der allgemeinen erwachsenen Bevölkerung. Gerade die Spielsucht stellt Beziehungen zu Ehe- oder Lebenspartnern, Familienmitgliedern und Freunden auf eine harte Probe und zerstört sie leider oft, so dass beispielsweise bei Parkinson-Patienten die meist benötigte Unterstützung abseits der professionellen Pflege wegfällt. Spielsüchtige zeigen beispielsweise keine Einsicht, mit dem Spielen (Lotterie, Spielcasino, Spielautomaten, Sportwetten, Online-Gewinnspiele oder per Telefon) aufzuhören und geben binnen kurzer Zeit ihr ganzes Vermögen aus, verschulden sich durch Kredite oder beschaffen sich auf illegalen Wegen Geld, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Um den Patienten aus diesem Teufelskreis zu befreien, sollte zunächst versucht werden, eine Symptomkontrolle über die Reduktion oder das Absetzen der möglicherweise auslösenden Medikation zu erreichen, sofern dies bei der zugrundeliegenden Erkrankung möglich ist. Bei Parkinson-Erkrankten geht man davon aus, dass Dopamin-Agonisten ein höheres Risiko für die Ausbildung von Impulskontrollstörungen bergen als Levodopa. Hat beispielsweise ein im Frühstadium der Erkrankung eingesetzter Dopamin-Agonist zur Entstehung von ICD beigetragen, sollte dieser zugunsten von Levodopa abgesetzt werden. Im späteren Verlauf der Erkrankung ist es oft nicht möglich, die Dosierung der Therapeutika zu reduzieren oder sie abzusetzen, ohne dass die Parkinson-Symptomatik entgleist. Generell ist es neben der Einleitung einer Psychotherapie oft erforderlich, den Betroffenen durch gewisse Maßnahmen zu schützen. Um dem krankhaftem Spielen die Basis zu entziehen, darf der Betroffene beispielsweise nicht mehr selbst über Geld verfügen, keine Bank- oder Kreditkarten besitzen und keine Kontovollmacht haben. Die Möglichkeit, an Glücksspielen teilzunehmen, sei es in einem Casino oder im Internet, muss ebenfalls eingeschränkt werden. Zudem versprach die medikamentöse Therapie mit dem Opioid-Antagonisten Naltrexon, Impulskontrollstörungen bei Parkinson-Patienten positiv zu beeinflussen, erwies sich aber in einer aktuellen Studie im Vergleich zu Placebo als nicht signifikant besser [4].

Weitere Einflussfaktoren

Trotz des breiten Einsatzes von Dopamin-Agonisten in der Behandlung von Erkrankungen wie Morbus Parkinson erfährt nur ein Teil der behandelten Patienten Störungen der Impulskontrolle. Man diskutiert daher, ob mögliche patientenspezifische Faktoren an der Ausprägung beteiligt sind. Für Parkinson-Patienten konnten folgende Variablen identifiziert werden [5]:

  • der Wesenszug, ständig auf der Suche nach Neuem zu sein,
  • Alkoholprobleme (beim Patienten selbst bzw. in der engsten Verwandtschaft),
  • Stimmungsschwankungen,
  • mangelnde Fähigkeit, Dinge zu planen,
  • Beeinträchtigung der Impulskontrolle in der Vorgeschichte.

Hinweise aus UAW-Meldesystem

Seit den 60er-Jahren werden in den USA Daten zu unerwünschten Arzneimittelereignissen (UAW) in einem nationalen Meldesystem der FDA erfasst (FDA Adverse Event Reporting System, FAERS). Einträge können sowohl von Heilberuflern als auch von Patienten vorgenommen werden. Man bedient sich dieser Daten immer wieder gerne, um die Meldehäufigkeit und das Meldeverhalten zu bestimmten UAW zu analysieren, meist auch mit dem Ziel, bisher unentdeckte Zusammenhänge zwischen Wirkstoffen und Nebenwirkungen aufzuspüren. In einer aktuellen Studie aus diesem Jahr untersuchte man beispielsweise, ob sich ein Zusammenhang zwischen den Impulskontrollstörungen Esssucht, Kaufzwang, Hypersexualität und Spielsucht und der Einnahme von Dopamin-Agonisten in den FAERS-Melderegistern widerspiegelt, oder ob das Auftreten vergleichbar mit dem in der Allgemeinbevölkerung ist [6]. Hierzu wurden zwei Messzeitpunkte betrachtet, Meldungen aus dem Jahr 2004, als außer für pathologisches Spielen noch keine Verdachtsmomente bestanden und Meldungen aus dem Jahr 2007, nachdem bekannt wurde, dass alle vier genannten Impulskontrollstörungen Nebenwirkungen einer dopaminergen Medikation sein können. In keinem der beiden Jahre erfolgten Meldungen bezüglich einer Kaufsucht unter Dopamin-Agonisten, wobei anzumerken ist, dass „Kaufsucht“ generell nicht als unerwünschte Arzneimittelwirkung gemeldet wurde. Während im Jahr 2004 keine der 251 Meldungen zu Esssucht eine Dopamin-Agonisten-Beteiligung aufwies, waren es drei Jahre später sechs von 328. Dieses Meldeaufkommen ist jedoch vernachlässigbar und zu gering, um von einem Zusammenhang zu sprechen. Im Jahr 2004 wurde Hypersexualität 91 Mal als Nebenwirkung gemeldet, viermal befanden sich Dopamin-Agonisten unter den Therapeutika. Bei ungefähr gleicher Melderate zu Hypersexualität im Jahr 2007 (n=95) wurde eine deutlich höhere Dopamin-Agonisten-Beteiligung beobachtet, sie lag bei 30. Eine Zunahme von Meldungen zu Spielsucht im Allgemeinen und im Zusammenhang mit Dopamin-Agonisten konnte ebenfalls festgestellt werden. Im Jahr 2004 beinhalteten 28 von 33 Meldungen zu Spielsucht Dopamin-Agonisten, im Jahr 2007 waren es 170 von 184. Man kann hier davon ausgehen, dass das Meldeverhalten durch das in der Öffentlichkeit diskutierte erhöhte Risiko beeinflusst wurde. Leider ist die Aussagekraft von Erkenntnissen, die auf Spontanmeldesystemen beruhen, nicht groß, da es sich um freiwillige Meldungen handelt, die in ihrer Höhe erfahrungsgemäß nicht dem tatsächlichen Auftreten entsprechen. Man nimmt an, dass nur 10% der unerwünschten Arzneimittelereignisse gemeldet werden („underreporting“). Die Ergebnisse zeigen jedoch, dass die verstärkte Wahrnehmung von Impulskontrollstörungen als Nebenwirkung einer Therapie mit Dopamin-Agonisten zu einem gesteigerten Meldeverhalten geführt hat. Zu Kauf- und Esssucht lassen sich keine Zusammenhänge zu einem erhöhten Nebenwirkungspotenzial ziehen.

Patienten und Angehörige aufgepasst!

Um Patienten und ihre Angehörigen stärker als bisher auf das Zwangserkrankungs-auslösende Potenzial dopaminerger Arzneistoffe aufmerksam zu machen, wurden im Jahr 2013 im Rahmen eines Stufenplanverfahrens des BfArM sämtliche Fach- und Gebrauchsinformationen betroffener Wirkstoffe überarbeitet [7]. Der alleinige Verweis auf Impulskontrollstörungen, wie er in früheren Jahren in den Produktinformationen zu finden war, wurde als nicht ausreichend erachtet. Präzisiert wurden die Angaben nun europaweit bezüglich der möglichen Formen von Zwangserkrankungen, also dass sich konkret Verhaltensauffälligkeiten wie pathologisches Spielen/Spielsucht, Libidosteigerung, Hypersexualität, zwanghaftes Geldausgeben oder Kaufsucht, Esssucht und zwanghafte Nahrungsaufnahme entwickeln können. Durch genaue Benennung der Symptome erhofft man sich eine erhöhte Sensibilisierung der behandelten Personen und ihrer Angehöriger. Nur so kann es gelingen, frühzeitig auf die Entwicklung derartiger Nebenwirkungen zu reagieren und dem Patienten und seinem Umfeld verheerende Konsequenzen zu ersparen. Sollte eine zwanghafte Symptomatik unter Dopamin-Agonisten/dopaminergen Arzneimitteln beobachtet werden, wird laut Fachinformation eine „Überprüfung der Behandlung“ empfohlen. Eine Dosisreduktion oder Absetzen der Medikation ist meist vonnöten. Von den Aktualisierungen profitierten die Produktinformationen der Wirkstoffe Levodopa, Dopamin-Agonisten wie Apomorphin, Bromocriptin, Cabergolin, Lisurid, Pergolid, Piribedil, Pramipexol, Quinagolid, Ropinirol und Rotigotin, sowie die COMT-Inhibitoren Benserazid, Carbidopa, Entacapon und Tolcapon. 

Literatur

[1] Weintraub D. et al. Screening for impulse control symptoms in patients with de novo Parkinson disease. Neurology. 2013;80:176–180.

[2] Weintraub D. et al. Impulse Control Disorders in Parkinson Disease: A Cross-Sectional Study of 3090 Patients. Arch Neurol. 2010;67(5):589–595

[3] EMA. CMDh endorses restricted use of bromocriptine for stopping breast milk production,www.ema.europa.eu (letzter Aufruf am 07.10.2014)

[4] Papay K. et al. Naltrexone for impulse control disorders in Parkinson disease: A placebo-controlled study. Neurology 2014;83(9):826–33

[5] Olley J. et al. “Dopaminergic Medication in Parkinson’s Disease and Problem Gambling.“ J Gambl Stud. 2014 Sep 30. [Epub ahead of print] DOI: 10.1007/s10899-014-9503-0 (letzter Aufruf am 03.10.2014)

[6] Gendreau K.E. und Potenza M.N. Detecting associations between behavioral addictions and dopamine agonists in the Food & Drug Administration’s Adverse Event database. Journal of Behavioral Addictions 2014;3(1):21–26

[7] BfArM. Abwehr von Gefahren durch Arzneimittel. Dopaminerge Substanzen und Impulskontrollstörungen. 14.01.2013. www.bfarm.de (letzter Aufruf am 03.10.2014)

 

Autorin


Dr. Verena Stahl ist Apothekerin und wurde an der University of Florida als Semi-Resident im landesweiten Drug Information and Pharmacy Resource Center ausgebildet. Ihre berufsbegleitende Dissertation fertigte sie zu einem Thema der Arzneimitteltherapiesicherheit an.

Medizinische Redaktion, RpDoc Solutions GmbH, Heinrich-Barth-Straße 1–1 a, 66115 Saarbrücken

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