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Gröhe: „Apotheker sind unverzichtbar“

DAZ-Interview mit Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU)

BERLIN (wes/lk) | Seit bald einem Jahr führt Hermann Gröhe (CDU) die Geschäfte im Bundesgesundheitsministerium. Im Interview mit der Deutschen Apotheker Zeitung äußert er sich erstmals speziell zu Apothekerthemen und Arzneimittelfragen. Im Stile eines Parteipolitikers bleiben die Antworten des früheren CDU-Generalsekretärs vage. Zwischen den Zeilen herauslesen lässt sich Gröhes Bereitschaft, eine gesetzliche Festlegung des Kassenabschlages vorzunehmen, obwohl der Bundesgesundheitsminister prinzipiell eine Lösung der Selbstverwaltung bevorzugt. Eine rasche Honorarerhöhung steht nicht auf Gröhes Agenda. Am ehesten Handlungsbedarf sieht er noch bei den BtM- und Rezepturgebühren, weil dort „lange nichts passiert ist“. Und bei der Organisation der Arzneimittelversorgung auf dem Land gibt es für Gröhe „keine Tabus“. Das schließt auch den lokalen Einsatz von Apothekenbussen ein. Das Interview führten DAZ-Chefredakteur Dr. Benjamin Wessinger und DAZ-Berlin-Korrespondent Lothar Klein.

 

DAZ: Beim Deutschen Apothekertag in München in der kommenden Woche statten Sie den Apothekern Ihren Antrittsbesuch ab. Was bringen Sie mit?

Gröhe: Ein klares Bekenntnis: Diese Bundesregierung würdigt den wertvollen Beitrag der Apothekerinnen und Apotheker für eine gute und zuverlässige Arzneimittelversorgung. Gerade in einer älter werdenden Gesellschaft ist die Beratungsfunktion der Apotheker, insbesondere mit Blick auf die Arzneimitteltherapiesicherheit, unverzichtbar. Deshalb werden wir an unserem bewährten Apothekensystem mit der inhabergeführten Apotheke, mit dem Fremdbesitzverbot und dem eingeschränkten Mehrbesitz nicht rütteln. In der letzten Legislaturperiode haben wir einiges unternommen, um die Leistung der Apotheken noch besser anzuerkennen, etwa mit der Verbesserung beim Nacht- und Notdienst. Als Vater von vier Kindern war ich schon zu allen Tages- und Nachtzeiten in der Apotheke und weiß unsere Apothekenlandschaft sehr zu schätzen.

Fotos: DAZ/Sket
Gesundheitsminister Hermann Gröhe im Gespräch mit DAZ-Chefredakteur Dr. Benjamin Wessinger und DAZ-Korrespondent Lothar Klein.

DAZ: Bringen Sie mehr mit als schöne Worte? Wie sieht es aus mit dem gemeinsamen Vorschlag von DAV und GKV-Spitzenverband zur gesetzlichen Festschreibung des Kassenabschlags auf 1,77 Euro?

Gröhe: Ich begrüße, dass es einen gemeinsamen Vorschlag gibt. Das hat für uns einen sehr hohen Stellenwert. Ich bin mit dem zuständigen Bundeswirtschaftsministerium und den Koalitionsfraktionen in Abstimmung, wie wir damit umgehen.

DAZ: Geben Sie dem Verhandlungsweg in der Selbstverwaltung oder einer gesetzlichen Regelung den Vorzug?

Gröhe: Ich bin ein großer Anhänger der Selbstverwaltung. Deshalb halte ich es auch grundsätzlich für richtig, dass solche Fragen von der Selbstverwaltung entschieden werden. Wenn beide Vertragspartner eine verlässliche gesetzliche Lösung für noch wichtiger halten, als eine Verhandlungslösung, dann müssen wir das ernst nehmen.

DAZ: Wann werden Sie entscheiden?

Gröhe: Wir haben hier keinen Zeitdruck, denn für 2015 gibt es bereits eine Verabredung. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass wir das weitere Vorgehen in dieser Frage im Rahmen eines der nächsten Gesetzgebungsverfahren diskutieren werden.

DAZ: Es gibt ja noch andere Wünsche der Apotheker an den Bundesgesundheitsminister, wie die regelmäßige Überprüfung des Festzuschlags. Wie stehen Sie dazu?

Gröhe: Die regelmäßige Überprüfung ist unsere Aufgabe, damit wir dort, wo es Anpassungsbedarf gibt, auch zeitgerecht handeln können. Nach langen Jahren hat es 2013 eine Erhöhung des Apothekenhonorars um insgesamt 190 Millionen Euro gegeben. Das war eine notwendige und auch spürbare Erhöhung. Darüber gab es einen breiten politischen Konsens.

DAZ: Es gab aus den Reihen der Koalition mehrfach Signale und Zusagen, dass eine Erhöhung der Rezeptur- und BtM-Gebühren nach langen Jahren überfällig ist. Wann geschieht dort etwas?

Gröhe: Ich berate gerade mit den Koalitionsfraktionen und dem Bundeswirtschaftsministerium, welche Fragen im Apotheken- und Arzneimittelbereich Vorrang haben. Sie haben Recht, dort, wo lange nichts passiert ist, gibt es am ehesten Handlungsbedarf. Bei der Beurteilung sind wir auch auf die Mithilfe der Apothekerschaft angewiesen, uns die notwendigen Daten zu den gestiegenen Anforderungen bei der Rezepturherstellung zur Verfügung zu stellen.

DAZ: Dann können Sie ja den Apothekern in München die frohe Botschaft einer Gebührenerhöhung übermitteln …

Gröhe: Mein Grundsatz ist: erst mit alle Verantwortlichen sprechen, dann Verabredungen treffen, dann öffentlich Zusagen machen.

DAZ: Nullretaxationen sind ein weiteres Thema, bei dem den Apothekern der Schuh drückt. Auch dort gab es Signale aus den Koalitionsreihen.

Gröhe: Die Frage ist, wie wirksam verhindert werden kann, dass kleine Formfehler zu wirtschaftlich überzogenen Konsequenzen führen. Darüber befinde ich mich auch im Gespräch mit dem Apothekerverband. Die Abgrenzung ist schwierig. Denn das Schutzinteresse der Apotheker vor wirtschaftlicher Überlastung durch kleine Formfehler ist ebenso legitim wie das Schutzinteresse der Versicherten an einer ordnungsgemäßen Arzneimittelabgabe. Wir sehen in vielen Fällen, dass die Selbstverwaltung durch ihre Sachnähe zu guten Lösungen kommt. Ich bin zuversichtlich, dass das auch hier gelingt.

DAZ: Seit dem Urteil des Bundessozialgerichts zeigen die Krankenkassen doch keine Gesprächsbereitschaft mehr.

Gröhe: Da gibt es durchaus Möglichkeiten der Selbstverwaltung zu vernünftigen Lösungen zu kommen. Das sehe ich in meinem Heimatland Nordrhein-Westfalen. In NRW gibt es einen Schlichtungsausschuss der Vertragspartner für solche Streitfragen. Auch die Apothekenrechenzentren bieten inzwischen eine Prüfung an, bevor die Rezepte an die Kassen gehen. Das Bundessozialgericht hat übrigens nur die Rechtslage bestätigt, mehr nicht.

DAZ: Zu den Rabattverträgen: Glauben Sie tatsächlich, dass Rabattverträge keinen Einfluss auf die Therapietreue der Patienten haben?

Gröhe: Die Umstellung der Medikation erfordert natürlich Beratung und Information. Das war schon so bei der Umstellung von Originalpräparaten auf Generika. Heute besitzen Generika einen Anteil von 75 Prozent an der Arzneimittelversorgung und helfen, die Ausgaben zu begrenzen. Auch die Apotheker leisten einen wichtigen Beitrag dazu, dass die Umstellung der Medikation durch entsprechende Beratung und Information nicht zu einem Verlust der Therapietreue führt.

DAZ: Also sind Rabattverträge für Sie unantastbar?

Gröhe: Wichtig ist doch, dass wir mit den Geldern der Versicherten sorgsam umgehen, damit wir uns teure Innovationen dort leisten können, wo sie für eine gute Versorgung der Patientinnen und Patienten dringend benötigt werden. Da wo es notwendig war, haben wir gehandelt und zur Sicherung der Versorgung Korrekturen vorgenommen, etwa bei den Impfstoffen. Aber ich werde den Wettbewerb im Arzneimittelbereich bei Standardmedikationen nicht zurückdrehen.

DAZ: Als Sie noch CDU-Generalsekretär waren, haben Sie mitgeholfen, den Apothekenbus auf die Räder zu stellen. Werden Sie als Bundesgesundheitsminister jetzt den ersten Gang einlegen?

Gröhe: Die CDU hat sich immer zu unserer bewährten Apothekenversorgung bekannt. Wir wollen die Arzneimittelversorgung durch ein flächendeckendes Apothekenangebot sichern. Und es gibt derzeit keinen Grund, davon abzuweichen. Wir erleben aber in Deutschland in einzelnen Regionen den stärksten Bevölkerungsrückgang seit 300 Jahren. Ich kann nicht ausschließen, dass wir in diesen Bereichen in einigen Jahren über andere Formen der Leistungserbringung nachdenken müssen. Es gibt bereits Zweigstellen von Arztpraxen, um fernab der eigentlichen Praxis Sprechstunden abzuhalten. Es gibt Patientenbusse. Ich möchte, dass die Gesundheitsversorgung unabhängig vom Wohnort für alle Bürger gesichert bleibt. Wir werden möglicherweise erleben, dass es kleinere Regionen gibt, für die es neue Lösungen geben muss, um eine gute Versorgung aller Bürger sicherzustellen. Da darf es keine Tabus geben.

DAZ: Also doch …

Gröhe: Ein Apothekenbus könnte immer nur ein Notbehelf sein, wenn eine angemessene Versorgung anders nicht möglich ist. Wir benötigen insgesamt mehr Flexibilität und sektorenübergreifendes Denken der Heilberufe zur Sicherung der ländlichen Versorgung. Deshalb sollten alle Beteiligten offen sein, für den Einsatz technischer Neuerungen.

DAZ: Der Nacht- und Notdienstzuschlag soll 120 Millionen Euro pro Jahr einspielen. Jetzt zeigt sich, dass dieses Ziel mit 16 Cent nicht erreichbar ist. Legen Sie zwei Cent drauf?

Gröhe: 16 Cent wurden vom Gesetzgeber beschlossen. Jetzt sind erst drei Quartale abgerechnet. 250 Euro pro Nachtdienst sind eine deutliche Verbesserung. Aber wir werden im Lichte der weiteren Quartalszahlen die Angemessenheit der Notdienstpauschale im Auge behalten.

DAZ: Am 15. September eröffnen Sie den Pharma-Dialog. Dabei geht es unter anderem um Versorgungssicherheit und Lieferengpässe. Warum sitzen die Apotheker nicht mit am Tisch?

Gröhe: Wir konzentrieren uns im Pharma-Dialog vor allem auf die Rahmenbedingungen für die Forschung und Produktion von Arzneimitteln in Deutschland. Wir wollen den starken Pharma-Standort Deutschland erhalten und ausbauen. Selbstverständlich stehen wir auch mit den Apothekern in engem Dialog. Dort, wo es um Themen geht, die andere Berufsgruppen, also z.B. die Apotheker betreffen, werden wir auf diesen Sachverstand nicht verzichten.

DAZ: Hat Ihr FDP-Amtsvorgänger der Pharmaindustrie die Daumenschrauben so stark angezogen, dass Sie jetzt wieder zurückdrehen oder mit einer Good-Will-Aktion besänftigen müssen?

Gröhe: Nein. Darum geht es nicht. Es ist weder eine Good-Will-Aktion noch wollen und werden wir das AMNOG in Frage stellen. Das AMNOG mit Nutzenbewertung und Preisverhandlung hat sich als lernendes System bewährt. Wir wollen daran arbeiten, wie wir den Innovationsstandort Deutschland und das gesellschaftliche Interesse an hochwertigen und bezahlbaren Arzneimitteln in einer guten Balance halten können.

Die Beratung der Apotheker ist unverzichtbar, betont Gesundheitsminister Gröhe – gerade mit Blick auf die Arzneimitteltherapiesicherheit.

DAZ: Nur wegen schöner Worte wird die Pharmaindustrie aber nicht investieren.

Gröhe: Die Lage für die Hersteller in Deutschland ist gut. Aber wir sehen neue Wettbewerber, internationale Übernahmen, es gibt Lieferengpässe bei Wirkstoffen. Darum müssen wir uns kümmern. Wir brauchen auch die Entwicklung neuer Antibiotika. Denn die weltweite Zunahme von Antibiotika-Resistenzen ist ein sehr ernstes Problem. Auch darüber müssen wir im Pharma-Dialog sprechen.

DAZ: Aber die Hersteller klagen stärker über das AMNOG als über Probleme in der Forschung.

Gröhe: In den allermeisten Fällen läuft das Verfahren gut. Natürlich sehen wir uns genau an, welche Probleme es im Einzelnen gibt. Auf bestimmte Kritik haben wir bereits reagiert. Nicht nur mit dem Verzicht des Bestandsmarktsaufrufs im Bereich des AMNOG, sondern z.B. auch mit der Absenkung des Herstellerabschlags.

DAZ: 700 Euro für eine einzige Tablette schocken Sie nicht?

Gröhe: Das ist in der Tat sehr viel Geld. Deshalb war es auch richtig, mit dem AMNOG ein Instrument zu schaffen, das den Preis eines neuen Medikaments ins Verhältnis zum Nutzen für den Patienten setzt. Den konkreten Vorgang, auf den Sie anspielen, nehmen wir sehr ernst. Der Vorgang darf nicht zur Blaupause für andere Arzneimittelhersteller werden. Diese besondere Situation beschäftigt auch meine Kollegen in Österreich, in Großbritannien und anderswo. Deshalb führen wir dazu auch im europäischen Kontext Gespräche.

DAZ: Wie wollen Sie den aufgetretenen Lieferengpässen begegnen?

Gröhe: Bei Impfstoffen haben wir sofort gehandelt. Das war aber nur ein Schritt. Internationale Konzentrationsprozesse führen in der Tat zu Problemen bei der Bereitstellung von Wirkstoffen. Darüber müssen wir mit der Pharmaindustrie und international diskutieren. Kann es uns gelingen, wieder mehr Wirkstoffe in Deutschland herzustellen? Auch das ist ein Thema des Pharma-Dialogs.

DAZ: Es tauchen in letzter Zeit vermehrt in Italien gestohlene Arzneimittel als Importe in Deutschland auf. Besorgt Sie das?

Gröhe: Ich setze darauf, dass die Kennzeichnung hochpreisiger Arzneimittel mit Sicherheitsmerkmalen helfen wird, das Problem zu lösen. Wir werden die Entwicklung mit Blick auf die Sicherheit der Patienten weiterhin aufmerksam verfolgen und, wenn nötig, weitere Schritte einleiten.

DAZ: Vielen Dank für das Gespräch! 

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