Arzneimittel und Therapie

„Fleischfressende“ Bakterien in der Ostsee

Wie groß ist die Gefahr durch Vibrionen?

jb | „Todesfälle durch Vibrionen“, „Fleischfressende Bakterien! Wird das Baden in der Ostsee bald zur tödlichen Gefahr?“ Derartige, mehr oder weniger drastisch formulierte Meldungen waren vor einigen Tagen in den Medien zu lesen. Hintergrund war der Tod eines Urlaubers, der vor wenigen Wochen an einer Vibrionen-Infektion verstorben war.

Vibrionen sind fakultativ anaerobe, gramnegative Stäbchenbakterien aus der Familie der Vibrionazeen. Zur Gattung gehören verschiedene Spezies, zwölf davon sind derzeit als humanpathogen bekannt, darunter der Erreger der Cholera, Vibrio (V.) cholerae, sowie V. vulnificus. Letzterer Art sind die „fleischfressenden Ostseebakterien“ zuzuorden. Das Krankheitsbild richtet sich nach der Eintrittspforte. Werden Vibrionen über die Nahrung oder das Trinkwasser aufgenommen, verursachen sie gastrointestinale Symptome. Gelangen sie über die Haut in den Körper, zum Beispiel über offene Wunden, führen sie zu schweren Wundinfektionen und Sepsis.

Bestandteil der natürlichen Bakterienflora

Vibrionen sind mäßig bis ausgeprägt halophil (salzbedürftig) und natürlicher Bestandteil der Bakterienflora salzhaltiger Meerwässer. Sie vermehren sich insbesondere bei Wassertemperaturen über 20°C, bei niedrigeren Temperaturen befinden sie sich vor allem im Meeresboden. Steigt die Wassertemperatur über diesen Wert, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Vibrionen an der deutschen Ostseeküste nachgewiesen werden. Auch in der Nordsee wurde der Erreger in den letzten Jahren immer wieder gefunden. Obwohl Infektionen mit Bakterien der Gattung Vibrio verhältnismäßig selten sind, erregen sie aufgrund ihres teilweise dramatischen Ausgangs, wie im aktuellen Fall, oft einiges Aufsehen. Bereits seit 1985 werden im Bereich der Ostsee-Anrainerstaaten steigende Fallzahlen registriert. So stiegen die Infektionen von absolut deutlich unter 10 Fällen auf etwa 20 bis 30 Fälle pro Jahr (2010) an. Im Jahre 2005 wurde der absolute Ausnahmewert mit etwas über 60 Fällen registriert. Auch in diesem Jahr sind bereits Badegäste erkrankt. Für die Ostsee wird dabei eine weitere Zunahme der Fälle prognostiziert, da vor allem V. vulnificus hier mit dem relativ geringen Salzgehalt und den allgemein steigenden Wassertemperaturen der Meere, von dem die Ostsee besonders stark betroffen ist, günstige Wachstumsbedingungen vorfindet. Neben V. vulnificus wurden im Ostseeraum auch noch andere Vibrio-Arten nachgewiesen. So erkrankten im Sommer 2006 mehrere Personen an Wundinfektionen durch nicht Toxin-produzierende V. cholerae. Die Toxin-produzierenden Serotypen von V. cholerae, die die klassische Cholera auslösen können, werden in deutschen Gewässern aber nicht gefunden.

Besonders gefährdet sind Menschen mit chronischen Vorerkrankungen, geschwächtem Immunsystem und offenen Wunden. Sie sollten den Kontakt mit warmem Meerwasser meiden. Die Infektionen entstehen, wenn geschädigte Haut mit kontaminiertem Meer- oder Brackwasser in Kontakt kommt oder durch Schalentiere verletzt wird. Die Inkubationszeit für Infektionen mit V. vulnificus beträgt 12 bis 72 Stunden. Ohne adäquate Therapie kann sich die Infektion schnell ausbreiten und zu ausgedehnten Nekrosen führen, aus denen sich dann eine Sepsis entwickeln kann. Im schlimmsten Fall endet diese tödlich.

Frühzeitige Therapie ist entscheidend

Wegen des fulminanten Verlaufs ist es entscheidend, frühzeitig eine antibiotische Therapie einzuleiten. Ärzte sollten daher in allen Teilen Deutschlands bei Patienten, die gerade vom Meer zurückgekehrt sind und entsprechende Symptome aufweisen, an eine mögliche Vibrionen-Infektion denken.

Folgende Therapie-Optionen stehen zur Verfügung:

  • Kombination aus einem Tetracyclin und einem Cephalosporin der dritten Generation

  • alternativ ein Fluorchinolon

  • bei Kindern, da hier Tetracyclin und Fluorchinolone kontraindiziert sind, wird die Kombination von Cotrimoxazol mit einem Aminoglykosid empfohlen.

Meist sind zusätzlich chirurgische Eingriffe notwendig, bei denen das nekrotische Gewebe abgetragen wird. Wenn die Infektion zu spät behandelt wird, sind Amputationen oft unvermeidlich.

Infektionsquelle Meerestiere

Auch in Meerestieren (Miesmuscheln und Garnelen) der niedersächsischen Nordsee wurde bei bakteriologischen Routineuntersuchungen V. vulnificus nachgewiesen. Bei Gesunden ruft der Verzehr eine Gastroenteritis hervor, deren Verlauf meist mild ist. Bei Älteren oder Patienten mit Lebererkrankungen oder geschwächtem Immunsystem (beispielsweise durch Diabetes) kann es wenige Stunden nach Verzehr kontaminierter Lebensmittel zu einer primären Sepsis mit Multiorganversagen kommen. Diese Lebensmittel-bedingten Infektionen, sei es durch Verzehr nicht durchgegarter Meerestiere oder durch Verletzungen bei der Zubereitung, spielen aber eher in wärmeren Klimazonen eine Rolle. Bei den Erkrankungen im Ostseeraum sind die Haupteintrittspforten Hautverletzungen.

Keine explizite Meldepflicht

Eine explizite Meldepflicht besteht derzeit für Infektionen mit Nicht-Cholera-Vibrionen nicht. Sie sind aber nach § 6 Satz 1, Nr. 5a des Infektionsschutzgesetzes als weitere bedrohliche Krankheit meldefähig. Ärzte, die die entsprechende Diagnose stellen, sollten daher das zuständige Gesundheitsamt informieren, damit Schutzmaßnahmen wie Badeverbote eingeleitet werden können.

Quellen:

Vibrio vulinificus; Merkblatt des Niedersächsischen Landesgesundheitsamtes, 2. Auflage, September 2012

www.nlga.niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_id=6645&article_id=19317&_psmand=20; abgerufen am 4.9.2014

Vibrionen – Krankheitserreger in der Ostsee; Merkblatt des Landesamtes für Gesundheit und Soziales Mecklenburg-Vorpommern; Stand August 2014

Epidemiologisches Bulletin 32/2006; Robert-Koch-Institut; Erscheinungsdatum 11. August 2006

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