DAZ aktuell

Patientenwahlrecht schlägt Exklusivvertrag

Sozialgericht entscheidet über Zytostatika-Versorgung in Hessen

BERLIN (ks) | Die Zyto-Exklusivverträge der AOK Hessen haben ihre Grenzen: Nach einem aktuellen Urteil des Sozialgerichts Darmstadt ist die Null-Retaxation eines Apothekers, der Zytostatikazubereitungen an AOK-Versicherte abgab, obwohl er keinen Vertrag mit der AOK Hessen hat, rechtswidrig. Wie der Verband Zytostatika herstellender Apotheken (VZA) mitteilte, entschied das Gericht, dass das freie Wahlrecht der Patienten in jedem Fall gelte – auch wenn die Kasse die Zytostatika-Versorgung ausgeschrieben habe.

„Damit ist der Versuch gescheitert, das Wahlrecht der Patienten auszuhebeln und alle Apotheken mit Ausnahme einiger Ausschreibungsgewinner von der Versorgung auszuschließen“, meldete der VZA am 29. August. Für den Verband ist die Darmstädter Entscheidung ein „Meilenstein für das Selbstbestimmungsrecht kranker Menschen und zur Beendigung des Ausschreibungsunwesens“.

Auch beim Hessischen Apothekerverband (HAV) atmet man angesichts des Urteils auf: „Mit dieser Entscheidung hat das Gericht das Selbstbestimmungsrecht des Patienten verteidigt und die AOK Hessen klar in ihre Schranken verwiesen“, sagte der HAV-Vorsitzende Dr. Peter Homann.

AOK Hessen für Ausschreibungsmodell

Seit Dezember 2013 hat die AOK Hessen die Versorgung ihrer Versicherten mit onkologischen Zubereitungen im ambulanten Bereich neu organisiert. Nach einer öffentlichen Ausschreibung sollten nur noch zwölf Apotheken berechtigt sein, diese Zytostatika abzugeben – mittlerweile haben sich allerdings schon zwei von ihnen von den Verträgen mit der AOK gelöst. Nicht von der AOK Hessen bezuschlagte Apotheken, die dennoch Krebspatienten der Kasse versorgten, wurden retaxiert. Diese Praxis verurteilten VZA und HAV gleichermaßen. Der HAV legte für seine betroffenen Mitglieder Einspruch ein, die AOK Hessen wies diese zurück. Daraufhin unterstützte der HAV einzelne Mitglieder auf dem Klageweg. Auch das hessische Sozialministerium informierte der Verband über das Vorgehen der AOK. Dieses sagte zu, die Angelegenheit kritisch im Auge zu behalten.

Gericht entscheidet im Sinne der Apotheker

Letzte Woche Freitag, am 29. August, verhandelte nun das Sozialgericht Darmstadt in erster Instanz über die Klage eines Apothekers, bei dem die AOK Hessen die abgerechneten Rezepte für Zytostatika-Zubereitungen auf Null retaxiert hatte. Wie der VZA mitteilte, hat es vollumfänglich zugunsten des Apothekers entschieden. Das Gericht habe in aller Deutlichkeit festgestellt, dass nach dem Sozialgesetzbuch V gegen den Willen des Patienten nichts gehe. In der mündlichen Urteilsbegründung habe der Vorsitzende Richter ausgeführt, dass der Versicherte in der Regel das Wahlrecht unter den zugelassenen Leistungserbringern habe. Für die Versorgung mit Zytostatika ergebe sich nichts anderes, weil keine andere ausdrückliche gesetzliche Einschränkung des Patientenwahlrechts existiere. Der Apotheker habe daher Anspruch auf Bezahlung seiner abgerechneten Zytostatika-Zubereitungen.

Der VZA betonte erneut, dass eine gute und verlässliche Versorgung krebskranker Patienten der engen Kommunikation und eingespielten Koordination durch Onkologen und Apotheken vor Ort bedürfe. „Ausschreibungen stehen dem diametral entgegen, da sie auf die Zerschlagung der funktionierenden Versorgungsstrukturen gerichtet sind“, so VZA-Präsident Dr. Klaus Peterseim. Unter dem Deckmantel der „Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven“ würden durch Ausschreibungen nur die Qualität, die Sicherheit und das Vertrauen der Patienten in ihre bestmögliche onkologische Versorgung verspielt. Peterseim: „Ein auf Ausschreibungen beruhendes Konzept der Patientenversorgung in der Onkologie ist völlig verfehlt. Ich freue mich, dass das Sozialgericht Darmstadt diese patientenfeindliche Praxis in Hessen gestoppt hat.“

Laut HAV sind derzeit noch Verfahren an den Sozialgerichten Darmstadt, Kassel und Marburg anhängig. Weitere Verfahren gegen die AOK Hessen seien in Vorbereitung. Allein für das erste Quartal 2014 lägen beim HAV Einspruchsverfahren zur Bearbeitung vor, die sich auf mehr als drei Millionen Euro summieren.

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