Arzneimittel und Therapie

Nicht zu schnell und nicht zu tief

Zu niedriger Blutdruck erhöht das Risiko für Nierenversagen

Ziel einer Hypertonie-Behandlung ist es, die Blutdruckwerte zu senken, um eventuellen Schäden an Organen und Gefäßen vorzubeugen. Dabei wird oft das Ziel verfolgt, den Blutdruck so niedrig wie möglich zu halten, da dies langfristig die Gesundheit fördern soll. Eine neue amerikanische Studie zeigt nun allerdings, dass – ähnlich wie bei erhöhten Blutdruckwerten – auch eine zu aggressive Senkung des Blutdrucks zu Schäden an den Nieren führen kann und sich das Sterberisiko erhöht.

Um die Gefahr für Folgeerkrankungen zu verringern, wird bei hypertensiven Patienten eine Normalisierung des systolischen und diastolischen Blutdruckes auf unter 140/90 mmHg angestrebt. Das individuelle Behandlungsziel berücksichtigt dabei idealerweise das Gesamtprofil persönlicher Risikofaktoren für kardiovaskuläre Ereignisse, sodass bei Diabetespatienten oder Personen mit Nierenerkrankungen die systolischen und diastolischen Zielwerte in der Regel noch niedriger liegen.

Bezüglich der Einschätzung des persönlichen Blutdruckes haben internationale Fachgesellschaften (WHO, Deutsche Hochdruckliga) in den letzten Jahren die Grenzen von „optimalen“, „normalen“ bis hin zu „hoch-normalen“ Blutdruckwerten in ihren Leitlinien definiert. Diese abstufende Einteilung führt letztlich zu der Erwartung, dass niedrigere Blutdruckwerte auch mit einem geringeren Risiko für Folgeschäden assoziiert sind. Eine Hypertonie-Behandlung scheint umso effektiver, je näher man sich den „optimalen“ Werten von 120/80 mmHg annähert. Es bleibt jedoch fraglich, ob diese Normwerte für gesunde Personen auch bei behandelten Hypertonikern als anstrebenswertes Ziel gelten sollen. Gerade bei therapieresistenten Formen der Hypertonie wurden bereits Erweiterungen der Grenzwerte auf bis zu 150/90 mmHg vorgeschlagen, anstatt eine forcierte Blutdrucksenkung medikamentös zu erzwingen, auch weil die Evidenz für letzteres Vorgehen selten durch klinische Studien gestützt werden konnte [1].

Nun sorgt eine retrospektive Kohortenstudie aus dem Journal of the American College of Cardiology erneut für Diskussion über die Behandlungsziele einer antihypertensiven Therapie [2]. Ziel der Ärzte um John J. Sim vom Kaiser Permanente Los Angeles Medical Center war es, die Rate an terminalem Nierenversagen sowie der damit assoziierten Sterblichkeit an 398.419 Hypertonikern, die zwischen 2006 und 2010 medikamentös therapiert wurden, zu evaluieren, um hieraus die Blutdruckwerte zu ermitteln, bei denen das Risiko eines tödlichen Nierenversagens am geringsten ist. Mit Regressionsmodellen wurde das jeweilige Risiko den verschiedenen Blutdruck-Kategorien angepasst und anschließend vergleichend betrachtet. Bei insgesamt 28.919 Patienten (7,3%) wurde im medianen Beobachtungszeitraum von 4,5 Jahren ein terminales Nierenversagen festgestellt. Überraschenderweise stellte sich dabei heraus, dass Personen mit einem eingestellten systolischen Blutdruck von 130 bis 139 mmHg das geringste Risiko besaßen, an Nierenversagen zu sterben, wohingegen Werte von über 140 mmHg das Risiko um das 1,4- bis 4,9-Fache erhöhten, aber auch Patienten mit niedrigeren Blutdruckwerten ein erhöhtes Mortalitätsrisiko besaßen (1,12- bis 4,1-fach). Für den diastolischen Blutdruck ergab sich ebenfalls eine U-förmige Kurve für das assoziierte Risiko und bestätigte optimale Werte von 60 bis 79 mmHg. Höhere Werte steigerten das Risiko erneut um das bis zu 3,65-Fache, niedrigere Werte um das bis zu 3,32-Fache. Weitere Subanalysen der Patientenpopulation bestätigten, dass diese Korrelation auch für Diabetespatienten galt, obwohl hier der optimale Blutdruck etwas niedriger lag als der für Nicht-Diabetiker (131/69 mmHg zu 142/73 mmHg). Auch bei älteren Menschen (>70 Jahre) tritt diese Abhängigkeit auf. Deren optimale Werte lagen aber generell höher als die jüngerer Patienten (140/70 mmHg zu 133/76 mmHg).

Die Autoren der Studie warnen daher vor einer zu aggressiven Blutdrucksenkung bei behandelten Hypertonikern, da dies, ähnlich wie bei zu hohen Werten, mit einem erhöhten Sterblichkeitsrisiko verbunden ist. Ziel einer effektiven Behandlung sei es, die idealen Blutdruck-Zielwerte zu erkennen, um einer möglichen Überdosierung mit antihypertensiven Medikamenten entgegenzuwirken.

Aktuelle Behandlungsleitlinien beinhalten bereits obere Grenzwerte von 140/90 mmHg, jedoch findet sich noch keine Angabe zu unteren Zielwerten, obwohl ein zu geringer Blutdruck ggf. zu orthostatischer Hypotension führt, was eine Minderperfusion lebenswichtiger Organe, wie der Niere, zur Folge haben kann [3]. Anhand der vorliegenden Studie ist daher ersichtlich, dass nur ein Behandlungsplan, welcher die individuellen Komorbiditäten und kardiovaskulären Risikofaktoren berücksichtigt, eine ausreichend sichere und effektive Therapie garantiert und die Einhaltung oberer und unterer Blutdruck-Zielwerte als absolute Voraussetzung für die Reduktion von Folgeschäden gilt. 

Quelle

[1] James PA, Oparil S, Carter BL, et al. 2014 evidence-based guideline for the management of high blood pressure in adults: report from the panel members appointed to the Eighth Joint National Committee (JNC 8). JAMA 2014;311:507-520

[2] Sim J J et al. Impact of Achieved Blood Pressures on Mortality Risk and End-Stage Renal Disease Among a Large, Diverse Hypertension Population. J Am Coll Cardiol 2014;64(6):588-597

[3] Andersson C, RS Vasan. Lower Is Not Always Better? Blood Pressure Treatment Targets Revisited. J Am Coll Cardiol 2014;64(6):598-600

 

Apotheker André Said

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