„Marcumar für meine Frau“

Wenn ein generischer Austausch nicht vermittelbar ist

Jede zwischenmenschliche Kommunikation basiert auf einem Informationsaustausch zwischen den Teilnehmern. Dabei sollte die inhaltliche Nachricht des Senders im Idealfall als identischer Sachinhalt vom Empfänger aufgenommen werden. Dass dies nicht immer ohne Probleme möglich ist, zeigen Missverständnisse, die auch im Apothekenalltag regelmäßig auftreten und ein z.T. nicht unerhebliches Risikopotenzial darstellen – so können z.B. Falscheinnahmen oder Fehldosierungen die Folge sein. Die Ursachen für solche Kommunikationsprobleme sind sehr unterschiedlich. Ein Beispiel zeigt die folgende Beratungssituation.

„Marcumar für meine Frau“

Herr Herz ist zugezogen und seit einigen Monaten Stammkunde in unserer Apotheke. Regelmäßig holt er zahlreiche Medikamente für sich selbst und seine Frau.

Frau Herz hatte einen Herzinfarkt und ist seitdem Marcumar®-Patientin. Als Herr Herz mir ein Rezept für seine Frau überreicht, muss Marcumar® gegen Phenprocoumon-ct® ausgetauscht werden. Dies erkläre ich Herrn Herz ausführlich und er bestätigt, verstanden zu haben, dass es sich um das identische Präparat handelt. Zur Sicherheit wurde trotzdem ein Aufkleber mit dem entsprechenden Vermerk auf der Packung aufgebracht.

Einige Tage später, am Pfingstsamstag, kommt Herr Herz erneut in die Apotheke und erklärt, dass er dringend Marcumar® für seine Frau benötige. Die alte Packung sei nun leer und Pfingsten stehe bevor, ein Rezept könnte er ja nachreichen. Ich erinnere mich an seinen letzten Besuch (und sehe dies auch in der Kundenkarte bestätigt) und erkläre ihm nochmals, dass er vor wenigen Tagen erst Phenprocoumon für seine Frau bekommen hat und dass dieses identisch zu Marcumar® ist. Herr Herz erinnert sich, ich schreibe ihm nochmals beide Namen auf. Er bedankt sich und scheint jetzt mit den Medikamenten zurechtzukommen.

Einige Wochen später bediene ich Herrn Herz wieder und erneut ist Marcumar® auf dem Rezept für seine Frau verordnet. Der Rabattvertrag sieht weiterhin Phenprocoumon-ct® vor, aber das müsste ja nun bekannt sein.

Fakten-Check:


Geschlecht:
weiblich

Alter: 83 Jahre


Diagnosen:

Diabetes mellitus Typ II
Hypertonie
Herzinfarkt in der Vergangenheit


Aktuelle Situation:

gutes Allgemeinbefinden trotz Umzugs
leichter Beginn einer altersabhängigen Demenz


Problem:

Risiko einer gefährlichen Fehldosierung von Phenprocoumon durch rabattvertragsgemäßen Präparateaustausch

In der Kundenkarte fällt mir jedoch auf, dass Frau Herz seit etwa acht Wochen im 14-tägigen Rhythmus Phenprocoumon bekommt (von unterschiedlichen Mitarbeitern bedient, sodass es bisher noch nicht aufgefallen ist). Ich erkundige mich nach der Dosierung, Herr Herz kann darüber jedoch keine Auskunft geben.

Analyse des Problems

Da 100 Tabletten für 14 Tage einer Tagesdosis von mehr als sieben Tabletten entsprechen würden, liegt hier offensichtlich ein Missverständnis vor. Herr und Frau Herz haben anscheinend doch nicht verstanden, dass es sich um ein zu Marcumar® identisches Arzneimittel handelt, das entsprechend einzunehmen ist.

Sofort wird der Arzt verständigt, welcher eingesteht, ungeachtet der Häufigkeit immer wieder ein Rezept über Marcumar® auf Nachfrage von Herrn Herz ausgestellt zu haben. Er bedankt sich ausdrücklich für den Hinweis („Gut, dass die Apotheke mitdenkt“) und übernimmt die Abklärung mit Herrn und Frau Herz unverzüglich selbst.

Konstruktive Lösung und Reflexion

Beim nächsten Besuch überreicht Herr Herz uns ein Marcumar®-Rezept mit aut-idem-Kreuz und freut sich, endlich wieder die altbekannte Packung zu erkennen. („Aha, jetzt bekommt meine Frau wieder ihre Blutverdünner“).

An diesem Beispiel wird deutlich, welches Risikopotenzial die Rabattverträge vor allem bei älteren Patienten bergen. Trotz ausführlicher Bemühungen konnte Herrn Herz aufgrund von Kommunikations- und Verständnisproblemen nicht vermittelt werden, dass das generische Austauschpräparat Phenprocoumon-ct® dem Original Marcumar®, das Frau Herz bisher eingenommen hatte, entspricht.

Weiterhin fällt auf, dass unter Umständen auch die Kommunikation in der Arztpraxis Lücken aufweist; es hätte auffallen müssen, dass das Medikament zu häufig verordnet wurde. Positiv zu bewerten ist in diesem Fall die Kooperationsbereitschaft des Arztes. Ohne sie hätte Gebrauch von der Sonder-PZN „6 – Nichtabgabe Rabattarzneimittel wegen pharmazeutischen Bedenken“ gemacht werden müssen.

Therapie mit Marcumar

Die Therapie mit dem Wirkstoff Phenprocoumon unterliegt einem stetigen Monitoring durch die INR-Messung (Bestimmung der Thromboplastinzeit), woraus sich die individuelle Dosis ableiten lässt. Der anzustrebende INR-Bereich liegt in der Regel zwischen 2,0 und 3,0 – je nach vorliegender Erkrankung. Bei gut eingestellter Therapie sollte dieser Wert in regelmäßigen Abständen von etwa drei bis vier Wochen beim Arzt überprüft werden. Patienten, die noch recht fit sind, können auch selbst die Messung durchführen, protokollieren und im Idealfall eigenständig die Dosisanpassung vornehmen (nach eingehender Schulung). Wenn der INR-Wert unterhalb des angestrebten therapeutischen Bereiches liegt, werden täglich beispielsweise 1,5 Tabletten (4,5 mg Phenprocoumon) gegeben, liegt der Wert im Sollbereich, wird eine Tablette gegeben (3 mg Phenprocoumon), liegt der INR-Wert oberhalb des einzustellenden Bereichs wird die Dosis zum Beispiel auf 0,5 Tabletten (1,5 mg Phenprocoumon) reduziert. Bei Werten oberhalb von 4,5 sollte keine Gabe erfolgen. Normale Erhaltungsdosen liegen in der Regel zwischen einer halben und 1,5 Tabletten täglich, um den INR-Wert konstant im Sollbereich zu halten.

Medikationsplan

Marcumar® (Phenprocoumon): 1-0-0 (nach INR)

Metformin: 500 mg 1-1-1

Metoprololsuccinat: 95 mg 1-0-0

Ramipril / HCT: 5/25 mg 1-0-0

Beta-Acetyldigoxin: 0,1 mg 1-0-0

Allopurinol: 100 mg 0-1-0

Ibuprofen: 600 mg bei Bedarf

Was wäre, wenn ...

... Frau Herz Marcumar® nicht aufgrund eines vorangegangenen Herzinfarktes, sondern zur Behandlung einer Thrombose einnehmen müsste?

Bei einer akuten Thrombose oder Embolie wird die Antikoagulanzientherapie durch intravenöse-Applikation von Heparin eingeleitet und frühestens nach zwei Tagen mit Phenprocoumon weitergeführt. Am ersten Tag erhält der Patient neben Heparin die Initialdosis Phenprocoumon (siehe Tabelle), denn Heparin hat keine Nachwirkung, während bei Phenprocoumon die Latenzzeit von 36 bis 72 Stunden bis zum Eintritt der gerinnungshemmenden Wirkung zu berücksichtigen ist.

Es wird solange Heparin weitergegeben, bis der gewünschte Grad der Antikoagulation durch Phenprocoumon erreicht ist. Während der gesamten Umstellung ist die Gerinnung engmaschig zu überwachen. 

Autorin


Katharina Untiet, Apothekerin und Apothekenbetriebswirtin (FH) in der Markt Apotheke Emsdetten

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