Praxis aktuell

Der Preis der Schmerzfreiheit

Erstattungsfähigkeit und Kosten von Cannabinoiden

jb | Vergangenen Monat erregte ein Urteil des Kölner Verwaltungsgerichts einiges Aufsehen. Chronisch kranke Patienten, denen außer der illegalen Droge Cannabis nichts gegen ihre Schmerzen hilft, dürfen diese in Ausnahmefällen zu Hause selbst zu Therapiezwecken anbauen, allerdings nur dann, wenn der Patient austherapiert ist, es keine Behandlungsalternative gibt und er sich einen Bezug über die Apotheke nicht leisten kann. Da liegt die Frage nahe, was Cannabis bzw. Cannabinoid-haltige Arzneimittel in der Apotheke eigentlich kosten und warum die Krankenkasse die Therapie nicht oder nicht immer bezahlt.

Generell ist Cannabis (= Marihuana sowie Pflanzen und Pflanzenteile der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen) ein nicht verkehrsfähiges Betäubungsmittel gemäß Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG. Allerdings gibt es Ausnahmen, unter anderem die, die in Anlage II und III benannt sind. So ist laut Anlage II Cannabis zur Herstellung von Zubereitungen zu medizinischen Zwecken zwar verkehrs-, aber nicht verschreibungsfähig. Zum Erwerb ist daher eine Ausnahmegenehmigung der Bundesopiumstelle notwendig. Cannabis, der in Fertigarzneimitteln enthalten ist, sowie Dronabinol sind hingegen Bestandteile der Anlage III. Diese Wirkstoffe sind sowohl verkehrs- als auch verschreibungsfähig und können unter Vorlage eines gültigen Betäubungsmittelrezeptes in jeder Apotheke bezogen werden. Der folgende Überblick zeigt, in welcher Form Cannabinoide zu medizinischen Zwecken in Deutschland zum Einsatz kommen.

Sativex®

Sativex® ist das einzige in Deutschland zugelassene Cannabinoid-haltige Fertigarzneimittel. Es enthält den Wirkstoff Nabiximols, eine Mischung aus zwei Dickextrakten, die durch Extraktion von Blättern und Blüten von Cannabis sativa L. mit Kohlendioxid gewonnen werden. Standardisiert wird der Extrakt auf den Gehalt an Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC) sowie Cannabidiol. Diese Mischung wird in Form eines Mundsprays angewendet und ist zugelassen bei MS-Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Spastik, die auf eine andere antispastische Therapie nicht ausreichend ansprechen.

Sativex® ist verkehrs- und verschreibungsfähig. Die Verschreibungshöchstmenge beläuft sich auf 1000 mg Tetrahydrocannabinol innerhalb von 30 Tagen. Der GB-A hat, befristet bis zum 21. Juni 2015, einen geringen Zusatznutzen von Sativex® gegenüber der Vergleichstherapie mit Baclofen, Tizanidin oder anderen Wirkstoffen zur Behandlung von Spastik bei neurologischer Grunderkrankung festgestellt. Im Rahmen der zugelassenen Indikation werden die Kosten für Sativex® von den Krankenkassen übernommen. Der Apothekenabgabepreis beträgt für eine Packung mit dreimal 10 ml 314,42 Euro (Stand: 01.08.2014). In der maximal zugelassenen Dosierung werden in etwa 1,2 ml am Tag benötigt (entspricht 12 Sprühstöße à 100 µl). Off-label-Verordnungen, beispielsweise bei Schmerzen, werden in der Regel von der Krankenkasse nicht erstattet und müssen vom Patienten aus eigener Tasche bezahlt werden.

Dronabinol

Dronabinol ist der INN für Δ9-Tetrahydrocannabinol und als Substanz der Anlage III verkehrs- und verschreibungsfähig. Die Verschreibungshöchstmenge innerhalb von 30 Tagen liegt bei 500 mg. In Deutschland ist Dronabinol nur als Rezeptursubstanz erhältlich. In der Regel werden daraus Kapseln oder ölige Tropfen nach NRF-Vorschrift hergestellt. Fertigarzneimittel sind beispielsweise in den USA oder in Canada (Handelsname Marinol) erhältlich und können bei Bedarf nach §73 AMG (Einzelimport) importiert werden.

Die Kosten von Dronabinol-haltigen Rezepturarzneimitteln belaufen sich bei einer mittleren Dosierung von 10 bis 15 mg pro Tag etwa auf 250 bis 400 Euro im Monat. So haben beispielsweise 10 ml ölige Dronabinol-Tropfen 2,5% nach NRF einen Abgabepreis von knapp 210 Euro (EK der Rezeptursubstanz (90 Euro) + 90% Rezepturaufschlag +5 Euro Anfertigung der Lösung plus Mehrwertsteuer + 0,26 Euro BtM-Gebühr).

Die Erstattungsfähigkeit hängt bei Dronabinol von der Indikation – Antiemetikum, Appetitstimulans oder Analgetikum – ab sowie von der jeweiligen Krankenkasse. So bestätigen beispielsweise einige Krankenkassen die Verordnungsfähigkeit zu Lasten der GKV, wenn Dronabinol für Indikationen verordnet wird, für die in den USA ein Dronabinol-haltiges Fertigarzneimittel zugelassen ist. Des Weiteren hat der Verband der Ersatzkassen vergangenes Jahr die Verordnung von Dronabinol in flüssiger Darreichungsform als Reservetherapeutikum bei Palliativpatienten im Rahmen der „spezialisierten ambulanten Palliativversorgung“ nach §§ 37b und 132d SGB V ausdrücklich anerkannt. Die NRF-Rezepturarzneimittelformulierung wurde in diesem Zusammenhang für die Indikationen „therapieresistente Übelkeit und Erbrechen“ und „therapieresistente Inappetenz (inkl. Waisting)“ als unproblematisch bewertet, allerdings eben nur für den Einsatz als Reservetherapeutikum in der Palliativtherapie. Zur Schmerz- und zur MS-Behandlung gibt es zwar klinische Erfahrung und auch einzelne Studien, eine allgemeine Aussage zur Erstattung lässt sich aber nicht treffen, da die Daten nicht immer als ausreichend erachtet werden. In Fällen lebensbedrohlicher Erkrankungen kann die Verordnungsfähigkeit von Dronabinol zu Lasten der GKV sogar auf der Basis einer höchstrichterlich Entscheidung (BVerfG vom 06.12.2005; Az.: 1 BvR; 347/98) geltend gemacht werden, wobei auch die Bewertung von „lebensbedrohlich“ nicht immer ganz eindeutig ist. Aufgrund der heterogenen Erstattungslage wird Ärzten, um Regressen vorzubeugen, in jedem Fall empfohlen, die Kostenübernahme im Vorfeld abzuklären.

Cannabisblüten und -extrakt

Cannabisblüten und Cannabisextrakt sind als Substanzen der Anlage II nicht verschreibungsfähig. Zum Bezug muss bei der Bundesopiumstelle kostenpflichtig eine Ausnahmegenehmigung (75 Euro, wird auf Antrag übernommen) beantragt werden. Unter anderem sind folgende Unterlagen beim BfArM einzureichen:

1. Ein aussagekräftiger Arztbericht, der folgende Angaben enthält:

  • Diagnose und aktuell bestehende Symptome,
  • bisherige Therapie mit Informationen zur Wirksamkeit und Nebenwirkungen,
  • Informationen zur Zuverlässigkeit des Patienten bei der Einhaltung der Therapie,
  • Erklärung, dass keine weiteren Therapiealternativen in Form der für die erforderliche Behandlung zugelassenen Arzneimitteln zur Verfügung stehen, bzw. Kontraindikationen bei weiteren für die erforderliche Therapie zugelassenen Arzneimitteln bestehen.
  • Risiko-Nutzen-Einschätzung für die Anwendung von Cannabis im konkreten Fall.

2. Ein vom Arzt auszufüllendes BfArM-Formular („Erklärung des betreuenden/begleitenden Arztes ...“), in dem der betreuende Arzt Angaben zur Dosierung macht.

3. Eine Erklärung des Antragstellers, wie der Cannabis in seiner Wohnung vor Diebstahl geschützt werden soll.

Die Kosten sind generell vom Patienten selbst zu tragen und belaufen sich auf 15 bis 18 Euro pro Gramm. Derzeit sind vier verschiedene Sorten Cannabis erhältlich, die sich hinsichtlich ihres THC-Gehaltes unterscheiden (s. Tabelle).

Da der Erwerb für jede Sorte separat genehmigt werden muss und es gelegentlich zu Lieferausfällen kommt, empfiehlt das BfArM, die Bezugserlaubnis für zwei Sorten zu beantragen. Dabei ist außerdem anzugeben, ob Cannabis zur Inhalation oder als Teezubereitung angewendet werden soll sowie die Einzeldosis, die Tagesdosis und der 4-Wochenbedarf jeweils in Gramm Medizinal-Cannabisblüten.

Soll die Genehmigung zum Bezug von Cannabis-Extrakt beantragt werden, ist die gewünschte Darreichungsform (Lösung zum Einnehmen, Lösung zur Inhalation, Kapseln) anzugeben sowie ebenfalls Einzel- und Tagesdosis und der 4-Wochenbedarf in Milligramm Δ9-Tetrahydrocannabinol.

Informationen im Netz

www.bfarm.de > Bundesopiumstelle >Betäubungsmittel > Erlaubnis: hier finden Sie alles zur Ausnahmegenehmigung für den Bezug von Cannabis

www.bionorica-ethics.de/ethics/: alles Wissenswerte zu Dronabinol von Rezepturhilfen über Hinweise zur Erstattung sowie rechtliche Hinweise.

Neben dem Bezug in der Apotheke wurde durch das oben genannte Urteil des Kölner Verwaltungsgerichts für eine kleine Anzahl von Patienten jetzt eine weitere Möglichkeit geschaffen, an Cannabis zu gelangen, nämlich die, ihn für therapeutische Zwecke selbst anzubauen. Das sei aber, darauf wies der vorsitzende Richter explizit hin, eine absolute Notlösung. Im Grundsatz ist und bleibt der Cannabis-Eigenanbau verboten. 

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