Arzneimittel und Therapie

Konkurrenz für Infliximab, Etanercept und Co?

TNF-Kinoid verhindert überschießende Zytokin-Reaktion

TNF α ist eine wichtige Zielstruktur bei entzündlichen Erkrankungen. Allein mit Infliximab (Remicade®) wurde in Europa 2012 ein Umsatz von über 2 Milliarden US-Dollar erzielt – Tendenz steigend. Rheumatoide Arthritis, Colitis ulcerosa, Morbus Crohn und andere chronisch entzündliche Erkrankungen bieten ein enormes Potenzial, um entsprechende Wirkstoffe zu entwickeln. Ein ganz neuer Ansatz geht jetzt in eine Phase-IIB-Studie mit 140 Patienten.

Was sind Kinoide?

Der Begriff „Kinoid“ leitet sich von Zytokinen, also den Molekülen, die in unserem Körper das Wachstum und die Differenzierung von Zellen steuern, sowie der Endung –oid von griechisch „-eides“ für „ähnlich“ ab. Angelehnt ist der Ausdruck allerdings auch an „Toxoid“, also der abgewandelten Form eines Toxins, das zur aktiven Immunisierung beispielsweise gegen Tetanus oder Diphtherie eingesetzt wird. So lässt sich leicht herleiten, dass es sich bei einem TNF-Kinoid um ein verändertes TNF-α-Molekül handelt, das nicht mehr seine eigentliche Wirkung im Körper entfalten kann, aber das Immunsystem zur Bildung von Antikörpern anregt. Diese Antikörper sind dann wiederum in der Lage, ein Zuviel an körpereigenem TNF α zu binden und dessen überschießende Signalwirkung zu verhindern.

Verschiedene Ansätze wurden bereits verfolgt, um Kinoide herzustellen:

  • Aldehyd-Inaktivierung, beispielsweise bei AntiferonTM,
  • Heterokonjugate aus einem kleinen Zytokinpeptid und einem Trägerprotein,
  • mit T-Helferzell-Epitopen (z.B. von Hühnerei-Lysozym oder Ovalbumin) versehene Zytokine,
  • inaktivierte Zytokine, die an virus-ähnliche Partikel gekoppelt sind,
  • Zytokin-DNA-Konstrukte oder
  • Heterokomplexe aus inaktiviertem Zytokin, gekoppelt an einem Trägerprotein.

Von diesen verschiedenen Ansätzen sind einige bereits wieder aufgegeben worden; die Heterokomplex-Variante ist bisher am weitesten fortgeschritten: Ein TNF-Kinoid wird derzeit in einer Phase-IIb-Studie an 140 Patienten getestet, die trotz Methotrexat unter aktiver rheumatoider Arthritis (RA) leiden.

TNFα als Zielstruktur

Der Tumornekrosefaktor alpha (TNF α) ist eines der wichtigsten pro-inflammatorischen Zytokine und steuert über andere Botenstoffe wie Interleukin 1 (IL 1) und Interleukin 6 (IL 6) wesentliche lokale und systemische Entzündungsreaktionen. Deshalb war es ganz logisch und naheliegend, entzündliche Prozesse mit Inhibitoren der TNF-α-Funktion zu therapieren. Drei monoklonale Antikörper, Infliximab (Remicade®), Adalimumab (Humira®) und Golimumab (Simponi®), ein pegyliertes Antikörper-Fab-Fragment Certolizumab pegol (Cimzia®) sowie das Fusionsprotein Etanercept (Enbrel®) aus dem TNF-α-Rezeptor (TNFR) und einem konstanten Bereich eines humanen IgG-Antikörpers (TNFR:Fc) sind bereits auf dem Markt. Biosimilars, also Nachahmerprodukte, von Infliximab sind zwar bereits zugelassen, aber aus patentrechtlichen Gründen noch nicht verfügbar. Insgesamt bot sich für diese Anti-TNF-α-Wirkstoffe im Jahr 2012 ein Markt von geschätzten 27 Milliarden US-Dollar, und der Trend geht eher noch weiter nach oben.

Phase-IIa-TNF-Kinoid-Studie

Dieser Markt würde gewaltig erschüttert werden, könnte sich das TNF-Kinoid durchsetzen. Dieses TNF-Kinoid besteht aus in Escherichia coli rekombinant hergestelltem TNF α, das über eine Reaktion mit Glutaraldehyd an KLH (Keyhole limpet hemocyanin) aus der marinen Schlüssellochschnecke Megathura crenulata gekoppelt wurde. Anschließend wurde der Heterokomplex mit Formaldehyd inaktiviert, so dass der TNF-α-Anteil keine Wirksamkeit als Zytokin mehr zeigt, allerdings immer noch immunogen ist. In einer Phase-IIa-Studie an 40 Patienten mit rheumatoider Arthritis, bei denen Anti-TNF-Wirkstoffe unwirksam blieben (Non-Responder), zeigte sich, dass eine aktive Immunisierung mit 180 µg oder 360 µg Antigen an den Tagen 0, 7 und 28 ausreichend war, um bei den Patienten selbst die Bildung von Antikörpern gegen TNF α zu induzieren. Diejenigen Studienteilnehmer, die Antikörper gebildet hatten, zeigten innerhalb der ersten drei Monate auch eine leichte Verbesserung der Symptome ihrer Arthritis.

Vorteile der Kinoid-Therapie

Nach Angaben der verantwortlichen Wissenschaftler bietet die Kinoid-Therapie erhebliche Vorteile gegenüber der passiven Anti-TNF-α-Immunisierung mit Infliximab und anderen Wirkstoffen:

  • Pro Jahr sind nur drei bis vier intramuskuläre Injektionen nötig, anstelle von Wirkstoff-Applikationen alle zwei bis vier Wochen.
  • Jährlich wird nur ca. 1 mg Kinoid benötigt gegenüber mehr als 1 g der klassischen Anti-TNF-α-Wirkstoffe.
  • Dadurch könnten sich die jährlichen Therapiekosten dramatisch reduzieren.
  • Die Patienten entwickeln selbst die Anti-TNF-α-Antikörper in einer geringeren Menge als die therapeutisch eingesetzten Moleküle.
  • Dadurch sind die Anti-TNF-α-Antikörper extrem gut verträglich.
  • Zudem sind die eigenen Anti-TNF-α-Antikörper polyklonal gegen verschiedene Epitope des Antigens gerichtet, eine Resistenz gegen diese Antikörper wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit nicht entwickeln.

Kann die Anti-TNF-α-Therapie mit Kinoiden überschießen?

Eine gefürchtete Komplikation der Applikation klassischer Anti-TNF-α-Therapeutika ist das vermehrte Auftreten von Infektionen durch die Reduktion der TNF-α-Konzentration. Während bei einer klassischen Anti-TNF-α-Therapie eine Therapiepause möglich ist, können die im Patienten induzierten Anti-TNF-α-Antikörper nicht einfach abgesetzt werden, sondern sind immer vorhanden. Könnte es also sein, dass es zu Entgleisungen des Immunsystems kommt, weil TNF α in Patienten mit rheumatoider Arthritis zu effizient inhibiert wird und nicht mehr seine positive immunstimulierende Wirkung entfalten kann? Ein Argument, das dagegen spricht, sind die unterschiedlichen Affinitäten: Während TNF α sehr affin an die entsprechenden Rezeptoren bindet (Kd zwischen 5 x 10–10 und 10–12 M), binden selbst hoch-affine Antikörper gegen TNF α nur mit einem Kd zwischen 5 x 10–8 und 10–10 M, so dass die körpereigenen Antikörper nur modulierend auf die TNF-α-Effekte wirken können.

Ob sich die theoretisch so positiven Effekte der Immunisierung mit einem TNF-Kinoid aber auch in Langzeittherapien bewähren, müssen die nächsten Studien, vor allem auch an mehr Patienten zeigen. Interessant ist der Ansatz allemal, und er könnte sich auch als eine massive Konkurrenz für Infliximab, Etanercept und Co. entpuppen, wenn sich die zugelassene Indikation für eine Impfung nicht nur auf Non-Responder der klassischen Anti-TNF-α-Therapie beschränken sollte. 

Quelle

Le Buanec H, Bensussan A, Bagot M, Gallo RC, Zagury D. Active and Passive Anticytokine Immune Therapies: Current Status and Development. Advances in Immunology 2012, 115; 187–227.

Neovacs Succesfully Enrolls First Patients in Its Phase IIb Study of TNF-Kinoid for the Treatment of Rheumatoid Arthritis. Pressemitteilungen der Firma Neovacs, Frankreich, 9. Dezember 2013.

 

Dr. Ilse Zündorf und Prof. Dr. Theo Dingermann

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