Starke Analgesie - hohes Risiko

Update Schmerztherapie bei osteoporotischen Wirbelbrüchen

Von Ralf Schlenger | Akute Schmerzen nach Wirbel-Sinterungen sind überwiegend inflammatorisch bedingt. Die Therapie mit nichtsteroidalen Entzündungshemmern ist indiziert, trifft aber auf zahlreiche Gegenanzeigen und etablierte Vorbehalte. Opioide gelten als weniger organtoxisch. Aber: Gemessen an Sicherheitsendpunkten schneiden traditionelle NSAR im Vergleich mit ihren COX-2-selektiven „Verwandten“ und erst recht gegenüber Opioiden gut ab.

Starke Analgesie - hohes Risiko

Akute osteoporotische Wirbelkörper-Brüche können stärkste Schmerzen verursachen. Zu Beginn dominiert ein stechender Bewegungsschmerz, der bei vielen Betroffenen die maximale Schmerzstärke von 10 (schlimmster vorstellbarer Schmerz) auf der visuellen Analogskala (0 bis 10) erreicht. Der Bewegungsschmerz ist bei Frakturen im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) am schlimmsten beim Aufrichten vom Liegen ins Sitzen, im Bereich der Brustwirbelsäule (BWS) am stärksten bei Drehbewegungen. Zu den stechenden Bewegungsschmerzen kommen dumpfe, bohrende Schmerzen in Ruhe hinzu. Bei akuten Wirbelkörper-Frakturen korrelieren Schmerz und Behinderung meist mit dem Ausmaß der Deformität, dem Ausmaß der Kompressionsänderung bei Bewegung, aber auch mit psychosozialen Merkmalen: Depression und Einsamkeit verstärken die Schmerzempfindung, erläuterte Dr. med. Dieter Schöffel, Mannheim, bei einem Symposium der Interdisziplinären Gesellschaft für orthopädisch/unfallchirurgische und allgemeine Schmerztherapie (IGOST) beim Osteologiekongress 2014 in München.

Neurologische Begleitsymptome sind bei Wirbelkörper-Brüchen selten; die Schmerzen gehen vom Knochen selbst aus und halten in der Regel mehrere Wochen bis Monate an. Entscheidend für die Prognose sind die ersten zwei, drei Monate: „Der akute Frakturschmerz bleibt für eine bis mehrere Wochen auf einem Plateau und lässt dann allmählich nach, so dass die meisten Patienten nach drei Monaten bis auf Beschwerden bei bestimmten Bewegungen symptomfrei sind und nach mehr als zwölf Monaten oft gar keine Beschwerden mehr nachweisbar sind“, erklärte Schöffel. Dieser Verlauf sei unabhängig vom Alter. Nichtsdestotrotz sei bei einem Teil der Patienten ein Übergang in bleibende, chronische Schmerzen zu beobachten.

Schmerzmechanismen mit Einfluss auf die Therapie

Der stechende Bewegungsschmerz nach einer akuten Wirbelkörperfraktur entsteht mutmaßlich durch Bewegungen der Bruchfragmente gegeneinander. Dementsprechend kann ihn eine Ballonkyphoplastie oder Vertebroplastie umgehend verschwinden lassen. Bei den operativen Eingriffen werden Frakturfragmente durch Knochenzement „verblockt“ und mancher Wirbel wieder aufgebaut. Viele Patienten können schon kurz nach der Operation „wie durch ein Wunder“ aufstehen und gehen. Eine Langzeitanalgesie ist nicht belegt.

Zur Genese des anhaltenden Schmerzes nach Wirbelkörper-Frakturen gibt es zwei Hypothesen. MRT-Untersuchungen frisch gesinterter Wirbel zeigen ein Knochenmarködem sowie Hämatome im Frakturspaltbereich. Wahrscheinlich führen Schwellung und Entzündung in innervierten Bereichen des Knochens zu Schmerzen (vgl. Kasten „Warum schmerzen Wirbelbrüche (extrem?“). Des Weiteren werden entzündliche Reaktionen an der Bandscheibe als Schmerzauslöser diskutiert. Die gesunde Bandscheibe ist weder innerviert noch durchblutet; bei Kontakt mit Blut infolge der Fraktur kommt es zu immunologischen, somit entzündlichen Reaktionen, so Schöffel.

Warum schmerzen Wirbelbrüche (extrem)?

Die Bandscheibe ist weder innerviert noch durchblutet. Der Knochen hingegen ist – entgegen früherer Vorstellungen – sensibel und sympathisch innerviert. Die Innervierung im Bereich der Wirbelsäule dient der Feinorientierung des Körpers bei Bewegungen. Sensible Fasern finden sich nicht nur im Periost, der dünnen „Knochenhaut“, sondern auch im mineralisierten Knochen (Spongiosa und Compacta) und im Knochenmark. Das am dichtesten innervierte Knochengewebe ist das Periost; die höchste Zahl sensorischer und sympathischer Fasern führt das Knochenmark, gefolgt von mineralisiertem Knochen und dem Periost. Die Nervenfasern verlaufen grundsätzlich entlang der Blutgefäße.

Quelle: Mach DB et al. Origins of skeletal pain: sensory and sympathetic innervation of the mouse femur. Neuroscience 2002;113:155-166.

Therapie des akuten Frakturschmerzes

Ziele der Schmerztherapie sind die Linderung akuter und chronischer Schmerzen und die Verkürzung der Phase der Immobilisation. Denn eine schmerzbedingte Bewegungsunfähigkeit hat bei den überwiegend älteren Betroffenen unangenehme Folgen: einerseits die Schwächung der Muskulatur, damit der Knochenfestigkeit, andererseits Komplikationen wie Pneumonie und Thromboembolien.

Grundlage der medikamentösen Schmerztherapie ist auch bei Wirbelkörper-Brüchen das WHO-Stufenschema. Da gerade Akutschmerz der ersten Wochen, wie dargelegt, überwiegend inflammatorisch bedingt ist, sind initial antieentzündlich wirkende Analgetika der WHO-Stufe I, also NSAR oder Coxibe indiziert – sofern keine Kontraindikationen bestehen. Hier beginnt das Dilemma des typischen Osteoporosepatienten: Altersbedingt weist er häufig ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko auf, dazu eine eingeschränkte Nierenfunktion, er ist empfindlicher für gastrointestinale Nebenwirkungen und bekommt mehrere Medikamente parallel verordnet. Für solche Patienten sind Cyclooxygenasehemmer, ob selektiv oder nicht, in den Zulassungstexten kontraindiziert oder unterliegen Anwendungsbeschränkungen.

  • Alle NSAR, sowohl Coxibe als auch traditionelle NSAR (tNSAR) einschließlich ASS, erhöhen dosisabhängig das gastrointestinale Risiko. Eine Komedikation mit Protonenpumpenhemmern (PPI zum „Magenschutz“) mindert die Gefahr von Läsionen im oberen, aber nicht im unteren Gastrointestinaltrakt.
  • Die Langzeitanwendung von PPI erhöht laut aktualisierter Leitlinie zur Osteoporosetherapie (DVO 2014, www.dv-osteologie.org) das Frakturrisiko, wobei der Mechanismus unklar ist und nicht in einer verminderten Calciumresorption bestehen dürfte.
  • Eine Alternative besteht in der Gabe von Coxiben, die im Vergleich zu tNSAR ein signifikant geringeres Komplikationsrisiko im ganzen GIT aufweisen.
  • Alle NSAR, sowohl Coxibe als auch tNSAR können auch das kardiovaskuläre Risiko dosisabhängig erhöhen.
  • Tierexperimentell wurde unter der Anwendung von NSAR (und Tramadol) ein Abfall der Knochendichte und eine verzögerte Frakturheilung beobachtet.

Risikofaktoren für gastrointestinale Ereignisse
(Ulcus/Magenblutung/Perforation)

  • Alter über 65 Jahre
  • Rauchen
  • rheumatische Erkrankung
  • vorausgegangenes gastrointestinales Ereignis
  • Einnahme von Glucocorticoiden
  • Einnahme von Antikoagulanzien

NSAR: Herzrisiken nicht überschätzen

Bei engmaschiger Überwachung kann der Einsatz von Cyclooxygenasehemmern auch bei Risikopatienten zu empfehlen sein, so Schöffel – sogar bei Vorliegen formaler Anwendungsbeschränkungen. Dies auch vor dem Hintergrund, dass aktuelle Untersuchungen die kardiovaskulären Risiken von NSAR relativieren: Eine britische Studie, die rund 900 Patienten mit rheumatoider Arthritis aus einem englischen Patientenregister beobachtete, fand während zehn Jahren kein erhöhtes Herz-Kreislauf-Risiko [Goodson et al.]. Im Gegenteil, die konstante langjährige Einnahme von NSAR war in dieser Patientengruppe mit einer deutlichen Abnahme der kardiovaskulären Mortalität (odds ratio 0,54) und der Gesamtsterblichkeit (odds ratio 0,62) verbunden. Diese inverse Assoziation bestand abgeschwächt auch bei gelegentlicher Anwendung der COX-Inhibitoren. In dieselbe Richtung weist eine große australische Fallkontroll-Studie, die über 83.000 Anwendungen von NSAR bei älteren Personen untersuchte. Im Vergleich zu passenden Kontrollpersonen ohne NSAR-Anwendung (matched controls) erhöhte der Gebrauch dieser Arzneimittel während zwei Jahren nicht das kardiovaskuläre Risiko. Mit der Zahl von NSAR-Einnahmen nahm die Gesamtmortalität sogar ab. Man fand keinen Risikounterschied zwischen traditionellen NSAR und Coxiben.

Im Gegensatz zu NSAR wirken Novaminsulfon und Paracetamol nicht nennenswert anitentzündlich. „Auch bei Vorliegen formaler Anwendungseinschränkungen wird ein NSAR oder Coxib beim Frakturschmerz oft nicht zu umgehen sein“ resümierte Schöffel. Bei der Wahl zwischen NSAR + PPI oder einem der selektiven COX-2-Hemmer Etoricoxib und Celecoxib gibt er einem Coxib den Vorzug.

Andere Medikamente

In einer einzigen kontrollierten Studie wurde die analgetische Wirkung hoher Bisphosphonat-Dosen nach Wirbelkörper-Sinterungen untersucht. Es zeigte sich nach sieben bzw. 30 Tagen eine mäßige Linderung der Schmerzen im Stehen. Bei Osteoporose-üblichen Dosen ist im Langzeitverlauf ein geringeres Auftreten von Rückenschmerzen belegt. Ähnliches gilt für das rekombinante Parathormon-Fragment Teriparatid. Patienten hatten in einer Metaanalyse während 30 Monaten nach Behandlung mit rhPTH (1-34) im Vergleich zur Kontrollgruppe eine verringerte Inzidenz für Rückenschmerzen, insbesondere für schwergradige. Diese beiden Osteoporosemedikamente wirken nicht eigenständig analgetisch, sondern durch Verhinderung weiterer schmerzhafter Frakturen.

Eine von seiner antiresorptiven Wirkung unabhängige, vermutlich zentrale schmerzlindernde Wirkung wird dem Calcitonin zugeschrieben, das subkutan oder intranasal zu applizieren ist. In fünf randomisierten Studien mit 246 Patienten kam es unter einer Therapie mit Calcitonin innerhalb von einer Woche nach einer Fraktur zu einer signifikanten Reduktion der Schmerzstärke.

Opioide: Risiken nicht unterschätzen

Der Analgetika-Bedarf ist individuell sehr unterschiedlich. Bei einigen Patienten mit Frakturen der Brustwirbel lindern NSAR oder Coxibe die Bewegungsschmerzen hinreichend. Mitunter genügen auch die nebenwirkungsärmeren Substanzen Metamizol oder Paracetamol. Vor allem Wirbelkörper-Sinterungen im Lendenwirbelsäulen-Bereich können aber extreme Schmerzen bereiten, die den umgehenden Einsatz von Opioiden rechtfertigen, sagte Prof. Dr. med. Hans-Raimund Casser vom DRK Schmerzzentrum in Mainz. Opioide der WHO-Stufe II (Tramadol, Tilidin/Naloxon) unterliegen einem Ceiling-Effekt; bei Tramadol-Dosen jenseits 400 bis 600 mg pro Tag steigen nur noch die Nebenwirkungen. Anstatt die Dosis zu erhöhen, sollte mit NSAR kombiniert oder gleich auf ein Stufe-III-Opiod gewechselt werden (z.B. Oxycodon, Hydromorphon, Tapentadol, Fentanyl). Gerade bei alten Patienten gilt für das Aufdosieren „start low, go slow“. Gleiche Dosierungen in gleichen Einnahmeintervallen sind einzuhalten. Wegen der stabileren Plasmaspiegel ist die perorale oder transdermale Anwendung der rektalen, parenteralen oder subkutanen Gabe vorzuziehen, sagte Casser. Den Nutzen einer Bedarfsmedikation bei „Durchbruchschmerzen“ zieht der Experte in Zweifel.

Bei den unerwünschten Wirkungen stehen Obstipation, Nausea, Sedierung, Schwindelgefühl und Mundtrockenheit im Vordergrund, insbesondere zu Therapiebeginn. Die zentralnervösen Nebenwirkungen „erhöhen die Sturzgefahr und vermutlich die Frakturrate“, heißt es vorsichtig in der DVO-Leitlinie. Verschiedene Datenbankanalysen bestätigen eine signifikant erhöhte Rate osteoporotischer Frakturen unter Opioiden. Eine vergleichende Sicherheitsanalyse [Solomon et al.] von selektiven und nicht-selektiven NSAR und Opioiden bei durchschnittlich 80-jährigen US-Amerikanern kam zu folgenden Ergebnissen: Verglichen mit traditionellen NSAR

  • führten Opioide zu einer mehrfach höheren Frakturrate (relatives Risiko 4,47),
  • zeigten Coxibe und Opioide ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko (RR 1,28 bzw. 1,77),
  • wiesen Coxibe (RR 0,60), aber nicht Opioide ein verringertes gastrointestinales Risiko auf,
  • steigerten Opioide, aber nicht Coxibe, die Sterberate.

Gemessen an Sicherheitsendpunkten waren traditionelle NSAR ihren COX-2-selektiven „Verwandten“ und erst recht den Opioiden überlegen. „Dennoch haben Opiode in den letzten zwei Dekaden eine ‚Renaissance‘ mit einer Vervierfachung der Verordnungen erlebt“, merkte Casser an. Die S3-Leitlinie zur Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht tumorbedingten Schmerzen (LONTS/DGSS 2009) fand valide Studien, aber nur für bestimmte Opioide und für Zeiträume von bis maximal drei Monaten. Insgesamt gibt es zur medikamentösen Langzeitanalgesie bei Osteoporose zu wenig Evidenz, so dass oft pragmatisch gehandelt werden muss. 

Quelle

Update Schmerztherapie bei osteoporotischen Wirbelbrüchen, Symposium der Interdisziplinären Gesellschaft für orthopädisch/unfallchirurgische und allgemeine Schmerztherapie (IGOST) im Rahmen der Tagung Osteologie 2014, veranstaltet vom Dachverband Osteologie (DVO). München, 13. März 2014

Leitlinie zur Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose 2014, Dachverband Osteologie e.V. (DVO) 2014, www.dv-osteologie.org

Goodson et al. Non-steroidal anti-inflammatory drug use does not appear to be associated with increased cardiovascular mortality in patients with inflammatory polyarthritis: results from a primary care based inception cohort of patients. Ann Rheum Dis 2009;68:367-372

Solomon DH et al. The comparative safety of analgesics in older adults with arthritis. Arch Intern Med. 2010;170:1968–1976.

Autor


Ralf Schlenger, Apotheker, studierte Pharmazie, Soziologie, Musikwissenschaft und Journalistik. Er arbeitet als freier Autor und Medizinjournalist in München.

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