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Arzneimittelentwicklung

Präklinische und klinische Prüfung, 1. Teil

Der Weg eines Wirkstoffs vom Reagenzglas in die Apotheke ist lang und dornenreich. Von tausenden potenziellen Kandidaten bleibt nach Abschluss der Forschungs-, Erprobungs- und Zulassungsphase oft nur einer übrig. Es dauert im Schnitt zehn bis zwölf Jahre, bis ein innovatives Arzneimittel zur Marktreife entwickelt ist. Nach Erhebungen der pharmazeutischen Industrie können die F & E-Ausgaben und sonstigen Kosten für die Entwicklung eines neuen Arzneimittels bis zu 1,3 Mrd. US-Dollar betragen. Immer mehr setzen auch große Pharmaunternehmen in den letzten Jahren auf Kooperationen, zum Beispiel mit kleinen, hochqualifizierten Start-ups, um möglichst schnell und effizient zu Innovationen zu kommen.

Von Helga Blasius

Der Entwicklungsplan für ein Arzneimittel ist kein statisches Gebilde, dessen erfolgreiche Umsetzung quasi „nur eine Frage der Zeit“ ist. Meist ergeben sich im Verlauf der Umsetzung neue Erkenntnisse, oder die regulatorischen Anforderungen ändern sich, sodass der Plan immer wieder überprüft und angepasst werden muss. 

Nicht-klinische Prüfungen

Ein potenzieller neuer Wirkstoff muss zuerst in nicht-klinischen Tests pharmakologisch und toxikologisch untersucht werden, bevor er in klinischen Prüfungen bei Menschen eingesetzt werden darf. Der Begriff „nicht-klinische Studien“ oder auch „präklinische Studien“ (Nonclinical Studies) ist im Arzneimittelgesetz zwar nicht definiert, aber de facto geht es hier um In-vitro-Untersuchungen und Tierversuche. Die Erkenntnisse, die hieraus gewonnen werden, sollen auf den Menschen übertragbar sein und somit in erster Linie einen gewissen Grad an Sicherheit für die erstmalige Anwendung am Menschen schaffen.

Prüfprogramm – Leitlinien – GLP

Die Anforderungen an die Unterlagen zur Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines potenziellen Arzneimittels, die ein Pharmaunternehmen für dessen Zulassung vorlegen muss, sind im Wesentlichen in den Arzneimittelprüfrichtlinien niedergelegt. In weiten Teilen wird hierbei auf europäisch harmonisiertes Recht verwiesen (europäische Prüfrichtlinie im Anhang zum Kodex für Humanarzneimittel, Richtlinie 2001/83/EG). Einen Überblick über das pharmakologisch-toxikologische Prüfprogramm gibt Tabelle 1.

Über diese allgemeinen Vorgaben hinaus hat die Arbeitsgruppe Unbedenklichkeit (Safety Working Party/SWP) des Ausschusses für Humanarzneimittel (CHMP) bei der Europäischen Arzneimittelagentur zahlreiche Leitlinien und Empfehlungen zu präklinischen Prüfungen herausgegeben, die ebenfalls beachtet werden müssen (Band 3 EudraLex). Die wichtigste ist die generelle Leitlinie über nicht-klinische Studien für die Durchführung klinischer Studien und Zulassung von Arzneimitteln: ICH M3 (R2).

Sämtliche präklinische Untersuchungen müssen in Übereinstimmung mit den Bestimmungen über die Gute Laborpraxis (Good Laboratory Practice) gemacht werden. In Deutschland sind die GLP Regeln im Chemikaliengesetz umgesetzt.

Gute Laborpraxis (Good Laboratory Practice, GLP)*

Qualitätssicherungssystem, das sich mit dem organisatorischen Ablauf und den Rahmenbedingungen befasst, unter denen nichtklinische gesundheits- und umweltrelevante Sicherheitsprüfungen geplant, durchgeführt und überwacht werden, sowie mit der Aufzeichnung, Archivierung und Berichterstattung der Prüfungen.

* Anhang 1 (zu § 19a Absatz 1) Chemikaliengesetz

Im Folgenden werden die Charakteristika des nicht-klinischen Prüfkatalogs kurz dargestellt.

Pharmakologie

Die Untersuchungen zur Pharmakodynamik werden in drei Gruppen eingeteilt:

  • Die primäre Pharmakodynamik erfasst die Wirkungen, die für die vorgeschlagene therapeutische Verwendung maßgebend sind.
  • Unter der sekundären Pharmakodynamik sind die allgemeinen inklusive möglicher unerwünschter pharmakodynamischer Wirkungen des Stoffes zu verstehen.
  • Sicherheitspharmakologie beschreibt die Auswirkungen eines Wirkstoffs auf wichtige physiologische Funktionen. Unverzichtbar sind hierbei Studien zu folgenden vitalen Organen/Systemen (Core Battery): Herz und Kreislauf (u.a. Verlängerung des QT-Intervalls am Herzen), Atemwege, Zentralnervensystem, zu denen gegebenenfalls auch Follow-up-Studien erforderlich sind.

Pharmakokinetik

Im Rahmen pharmakokinetischer Untersuchungen werden die mit der Abkürzung ADME bezeichneten folgenden Merkmale untersucht:

  • Aufnahme in den Körper (A = Absorption),
  • Verteilung (D = Distribution),
  • Verstoffwechselung (M = Metabolisierung),
  • Ausscheidung (E = Exkretion).

Vor Beginn der klinischen Prüfung sollten Daten zum Metabolismus und zur Plasmaproteinbindung in vitro und an der Tierspezies erhoben werden, die für die Prüfung auf Toxizität bei wiederholter Verabreichung eingesetzt wird. Weitere ADME-Informationen sowie In-vitro-Daten zu etwaigen Arzneimittelwechselwirkungen müssen erst für die Phase III der klinischen Prüfung vorliegen.

Die Beurteilung der pharmakokinetischen Daten ist besonders wichtig für das Dosierungsschema. Dabei kann es durchaus sein, dass ein Wirkstoff sich bei verschiedenen Tierarten sowie beim Menschen pharmakokinetisch anders verhält. Deshalb ist es wünschenswert, solche Studien an mehreren Tierarten zu machen, aus denen dann hoffentlich die optimale Testspezies für den Menschen in den weiterführenden Untersuchungen abgeleitet werden kann.

Toxikologie

Toxizität bei einmaliger Verabreichung (Single Dose Toxicity). Mit der Untersuchung auf akute Toxizität am Tier sollen vor allem mögliche Auswirkungen einer Überdosierung beim Menschen abgeschätzt werden. Die Dauer der Beobachtungszeit beträgt in der Regel 14 Tage. Wenn die entsprechenden Informationen aus den Untersuchungen zur Toxizität bei wiederholter Gabe ableitbar sind, werden Studien zur akuten Toxizität heute nicht mehr empfohlen.

Toxizität bei wiederholter Verabreichung (Repeated Dose Toxicity). Diese Prüfungen sollen Aufschluss geben über anatomische und/oder pathologische Veränderungen nach mehrfacher oder längerfristiger Verabreichung eines Wirkstoffs. Dabei liegt das besondere Augenmerk auf der Dosisabhängigkeit der Effekte, denn die Ergebnisse liefern wichtige Anhaltspunkte für die Bestimmung der Anfangsdosis bei der klinischen Prüfung. In der Regel empfiehlt es sich, zwei Prüfungen durchzuführen, und zwar eine kurze von zwei- bis vierwöchiger Dauer (subakute Toxizität) und eine längere, deren Dauer sich an den Bedingungen der klinischen Anwendung orientiert. Sie dauert gewöhnlich drei bis sechs (bis neun) Monate.

Genotoxizität. Genotoxizität ist die zusammenfassende Bezeichnung für die erbgutverändernden, krebserzeugenden und missbildenden Eigenschaften eines Stoffes. Die Risiken, die mit Genotox-Untersuchungen geklärt werden sollen, beziehen sich nicht nur auf die behandelte Person selbst (Infertilität, Krebs), sondern auch auf die möglicherweise nachkommende Generation (Geburtsfehler, Erbkrankheiten). Sie werden in vitro durchgeführt an Bakterien (Ames-Test an Salmonella typhimurium), Hefen, Pilzen, Säugetierzellen oder in vivo am Knochenmark von Säugern (Mikrokerntest an Mäusen). Auf jeden Fall werden für jeden neuen Stoff Untersuchungen zur Mutagenität verlangt.

Karzinogenität

Untersuchungen auf krebserzeugende Wirkungen werden gewöhnlich nur gefordert für Stoffe, die eine enge chemische Ähnlichkeit mit bekanntermaßen krebserregenden oder fördernden Stoffen besitzen, wenn sich während der sonstigen toxikologischen Prüfungen verdächtige Veränderungen gezeigt haben oder wenn das Arzneimittel dauernd über sechs Monate oder länger angewendet werden soll. Für die Prüfung wird der Wirkstoff über die gesamte Lebenszeit der eingesetzten Versuchstiere (meist über zwei Jahre) in drei Dosisstufen verabreicht.

Reproduktions- und Entwicklungstoxizität

Hiermit soll untersucht werden, ob ein Wirkstoff die männliche oder weibliche Fortpflanzungsfunktion beeinträchtigen oder Schäden bei Nachkommen auslösen könnte. Dabei geht es um toxische und teratogene Wirkungen auf allen Entwicklungsstufen. Je nach Expositionszeitraum wird unterschieden zwischen Studien zur Fertilität und frühen Embryonalentwicklung, zur embryo-fötalen und zur prä-/postnatalen Entwicklung. Der Umfang der Studien, die in diesem Bereich gefordert werden, bemisst sich an der vorgesehenen Anwendung. Bei Frauen spielt es zum Beispiel eine Rolle, ob das Arzneimittel überhaupt im reproduktionsfähigen Alter eingesetzt werden soll.

Lokale Verträglichkeit

Mit den Untersuchungen über die lokale Verträglichkeit soll festgestellt werden, ob ein Arzneimittel an den Stellen des Körpers vertragen wird, mit denen es nach der Verabreichung in Berührung kommt. Die Versuche müssen deshalb mit dem Fertigpräparat durchgeführt werden, das für die Anwendung am Menschen entwickelt wird.

Risikobasierter Zeitplan

Das nicht-klinische Prüfprogramm beruht auf einem Risiko-assoziierten Ansatz und steht im Zusammenhang mit den klinischen Prüfungen (Tab. 2). Der Begriff „präklinische Prüfung“ bedeutet demnach keineswegs (wie die Bezeichnung nahelegen könnte), dass alle pharmakologisch-toxikologischen Prüfungen vor dem Start der klinischen Prüfung abgeschlossen sein müssen. Sie dienen vielmehr dazu, für die drei Phasen der klinischen Prüfung den jeweils angemessenen Grad an Sicherheit herbeizuführen.

In vitro …

Wann immer möglich, werden im Rahmen der präklinischen Arzneimittelentwicklung In-vitro-Methoden eingesetzt:

  • bei primären Screenings mit therapeutischen Targets,
  • zur Untersuchung metabolischer Patterns,
  • in der Sicherheitspharmakologie wie auch
  • in der Toxikologie zur Vorauswahl potenzieller Arzneistoffkandidaten.

Wichtige In-vitro-Testmodelle für pharmakodynamische Studien sind isolierte Organe, Zellkulturen, Zellfragmente und Zellorganellen, Rezeptoren, Membrankanäle, Enzyme.

… und in vivo

Für viele toxikologische Untersuchungen sind Experimente am Tier jedoch nach wie vor unverzichtbar. Meistens werden Tests an zwei Spezies verlangt, einem Nager (Rodents: Ratten, Mäuse u.a.) und einem Nicht-Nager (Non-Rodents: Beagle-Hunde, Primaten, Mini-Schweine u.a.). Um eine möglichst hohe Aussagekraft zu erzielen, sollte als Tiermodell die dem Menschen ähnlichste Art („most human-like animal species“) ermittelt werden. Die Ähnlichkeit bezieht sich auf die Pharmakodynamik, die Pharmakokinetik und den Metabolismus des Wirkstoffs.

Wichtig: Bei Tierversuchen müssen die Vorgaben des Tierschutzgesetzes beachtet werden.

Voraussetzungen für „First in human“

Die maximale Initialdosis (maximum recommended starting dose, MRSD) für die erste Anwendung am Menschen wird aus der Toxizität bei wiederholter Verabreichung in Tierstudien (s.o.) ermittelt: Zuerst wird die Maximaldosis bestimmt, die am Versuchstier keine toxikologisch bedeutsamen Wirkungen hervorruft (no observed adverse effect level, NOAEL). Der NOAEL wird anschließend umgerechnet in die human equivalent dose (HED). Als Bezugsgrößen werden hierbei je nach Methode die Körperoberfläche, das Körpergewicht oder ein Kompartimentmodell herangezogen. Das Ergebnis wird um einen Sicherheitsfaktor verringert, und man erhält die empfohlene maximale Initialdosis.

Ein alternativer Ansatz für die Berechnung der MRSD ist die kleinstmögliche Konzentration eines Wirkstoffs, bei der ein messbarer Effekt gerade noch zu erwarten ist (minimal anticipated biological effect level, MABEL). Der MABEL basiert auf Ergebnissen pharmakologischer In-vitro- und In-vivo-Studien mit möglichst niedrigen Dosen und ist daher meistens deutlich niedriger als der NOAEL; er wird vor allem bei Hochrisikosubstanzen herangezogen.

Klinische Prüfung

Was eine klinische Prüfung (Clinical Trial oder Clinical Study) ist, wird im Arzneimittelgesetz definiert (s. Textkasten).

Klinische Prüfung


„… bei Menschen ist jede am Menschen durchgeführte Untersuchung, die dazu bestimmt ist, klinische oder pharmakologische Wirkungen von Arzneimitteln zu erforschen oder nachzuweisen oder Nebenwirkungen festzustellen oder die Resorption, die Verteilung, den Stoffwechsel oder die Ausscheidung zu untersuchen, mit dem Ziel, sich von der Unbedenklichkeit oder Wirksamkeit eines Arzneimittels zu überzeugen.“

(§ 4 Abs. 23 AMG)

Von den „interventionellen Studien“ zur Entwicklung innovativer Arzneimittel sind sogenannte „nichtinterventionelle Prüfungen“ (non-interventional studies, NIS) zu unterscheiden, die nach der Zulassung durchgeführt werden und auf epidemiologischen Methoden beruhen. Die häufigste NIS ist die Anwendungsbeobachtung (AWB). Weitere sind Kohortenstudien, Fall-Kontroll-Studien, Registerstudien und Querschnittsstudien. AWBs werden mit „lediglich dem Arzt über die Schulter schauen“ umschrieben. Die jeweiligen Arzneimittel werden wie üblich zulasten der Krankenkassen verordnet und in der Apotheke abgegeben. Mit AWBs können z.B. Erkenntnisse über Verschreibungsgewohnheiten, die Beachtung der Fach- und Gebrauchsinformationen, die Compliance oder auch zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) unter routinemäßiger Anwendung gewonnen werden.

Nichtinterventionelle Prüfung


„… ist eine Untersuchung , in deren Rahmen Erkenntnisse aus der Behandlung von Personen mit Arzneimitteln anhand epidemiologischer Methoden analysiert werden; dabei folgt die Behandlung einschließlich der Diagnose und Überwachung nicht einem vorab festgelegten Prüfplan, sondern ausschließlich der ärztlichen Praxis; soweit es sich um ein zulassungspflichtiges Arzneimittel oder eine genehmigungspflichtige Gewebezubereitung handelt, erfolgt dies ferner gemäß den in der Zulassung oder der Genehmigung festgelegten Angaben für seine Anwendung.“

(§ 4 Abs. 23 AMG)

Unbedenklichkeitsprüfungen oder Wirksamkeitsstudien nach der Zulassung (Post-Authorisation Safety Studies/PASS bzw. Post Authorisation Efficacy Studies/PAES), die entweder von den Pharmaunternehmen in Eigeninitiative durchgeführt oder auch von der Zulassungsbehörde angeordnet werden können, können sowohl interventionelle als auch nichtinterventionelle Studien sein.

Untersuchungen zur Bioverfügbarkeit müssen durchgeführt werden, wenn ein Wirkstoff entweder eine geringe therapeutische Breite hat oder wenn die vorangegangenen Tests Anomalien aufgezeigt haben, die zu den pharmakokinetischen Eigenschaften in Beziehung gesetzt werden können, wie etwa eine variable Resorption. Bioäquivalenzstudien sind erforderlich, um die Gleichartigkeit der Arzneimittel bei Zulassungsverfahren für Generika zu belegen. Hier gibt es Ausnahmen für bestimmte Zubereitungen (Biowaiver).

Wirksamkeitsbeleg mit bibliografischen Unterlagen

Die Wirksamkeit eines neuen Arzneimittels braucht im Zulassungsverfahren nicht unbedingt über interventionelle klinische Prüfungen mit dem jeweiligen Präparat nachgewiesen zu werden. Für Wirkstoffe, die irgendwo im EU-Binnenmarkt bereits länger als zehn Jahre auf dem Markt sind („allgemein medizinisch verwendet“, „well-established use“, WEU), könnenstatt dessen auch bibliografische Unterlagen vorgelegt werden (§ 22 Abs. 3 AMG). Dabei handelt es sich um einschlägige Literatur zu dem Arzneistoff bzw. zu dem Präparat oder auch zu Vergleichspräparaten. Die Literatur muss allerdings alle Aspekte der Wirksamkeitsbewertung abdecken und in der Bewertung ausreichend stichhaltig sein. Hier spielen z.B. systematische Reviews und Metaanalysen eine wichtige Rolle.

Gesetzliche Bestimmungen zur klinischen Prüfung

Klinische Prüfungen unterliegen einem engen Geflecht von Vorschriften (Tab. 3). Diese dienen zum einen dem Schutz der teilnehmenden Personen (Versuchspersonen), und auf der anderen Seite sollen sie dafür sorgen, dass die Untersuchungen wissenschaftlich aussagekräftig angelegt sind.

Das Arzneimittelgesetz regelt im Wesentlichen die Voraussetzungen für die klinische Prüfung, die Schutzbestimmungen der Versuchspersonen sowie die Genehmigungsverfahren. Die Planung, Durchführung und die Berichterstattung über eine Prüfung im Einklang mit der Guten Klinischen Praxis (Good Clinical Practice, GCP) sind Gegenstand der international harmonisierten ICH-GCP-Leitlinie und der deutschen GCP-Verordnung, die durch die 3. Bekanntmachung des BfArM und des PEI zur klinischen Prüfung von Humanarzneimitteln näher interpretiert wird.

In der revidierten Deklaration von Helsinki (Erklärung des Weltärztebundes) sind die ethischen Grundsätze niedergelegt, die Ärzte in der biomedizinischen Forschung beachten müssen. Hiernach soll die Sorge um die Belange der Versuchspersonen stets ausschlaggebend sein im Vergleich zu den Interessen der Wissenschaft und der Gesellschaft.

Schutz des Menschen bei der klinischen Prüfung

Eine klinische Prüfung darf beim Menschen nur durchgeführt werden, wenn

  • die vorhersehbaren Risiken und Nachteile gegenüber dem Nutzen für die Versuchspersonen und der voraussichtlichen Bedeutung des Arzneimittels für die Heilkunde ärztlich vertretbar sind (positive Nutzen-Risiko-Abwägung),
  • jeder Prüfer durch einen für die pharmakologisch-toxikologische Prüfung verantwortlichen Wissenschaftler über deren Ergebnisse und die voraussichtlich mit der klinischen Prüfung verbundenen Risiken informiert worden ist.

Bezüglich des Schutzniveaus für die einbezogenen Versuchspersonen unterscheidet das AMG zwischen

  • allgemeinen Anforderungen an Prüfungen, die für gesunde und kranke Versuchspersonen gelten (§ 40) und
  • besonderen Anforderungen an Prüfungen mit Patienten (§ 41).

Klinische Versuche mit einem rein wissenschaftlichen Ziel, das heißt ohne unmittelbaren diagnostischen oder therapeutischen Wert für die Versuchspersonen, unterliegen lediglich den allgemeinen Bestimmungen.

Einwilligung nach Aufklärung (Informed Consent)

Die allgemeinen Bestimmungen sehen vor, dass nur volljährige, geschäftsfähige Personen an klinischen Studien teilnehmen sollen. Bevor die Versuchspersonen in die Teilnahme einwilligen, müssen sie durch einen Arzt über das Wesen, die Bedeutung und die Tragweite der Prüfung aufgeklärt worden sein und eine allgemein verständliche Aufklärung bekommen haben. Die Einwilligung in eine klinische Prüfung kann nachher jederzeit widerrufen werden, ohne dass der betroffenen Person dadurch Nachteile entstehen. Beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte gibt es eine Patientenkontaktstelle, an die sich Versuchspersonen gegebenenfalls wenden können.

Einschränkungen für Minderjährige

Für gesunde Minderjährige gelten weitere Schutzbestimmungen. An ihnen dürfen nur klinische Studien mit Diagnostika oder mit Vorbeugemitteln durchgeführt werden, die für diese Altersklasse bestimmt sind, und auch nur dann, wenn eine Prüfung bei Erwachsenen keine ausreichenden Ergebnisse erwarten lässt. Auch hier gelten die Vorschriften über die Einwilligung, sei es durch den gesetzlichen Vertreter (in der Regel die Eltern) oder auch durch den Minderjährigen selbst, wenn er die Tragweite der Prüfung bereits erkennen kann.

Klinische Prüfungen an Patienten

Klinische Prüfungen an Patienten werden durchgeführt, um ihr Leiden zu bessern oder gar ihr Leben zu retten. Deshalb orientieren sich die Schutzbestimmungen hier an einer anderen Nutzen-Risiko-Abwägung als bei gesunden Versuchspersonen. Die besondere Voraussetzung für die klinische Prüfung ist hier der (zu erwartende) unmittelbare Nutzen für die erkrankte Person. Bei einwilligungsfähigen Erwachsenen und Minderjährigen darf die klinische Prüfung auch dann durchgeführt werden, wenn ein Gruppennutzen zu erwarten ist, d.h. ein Nutzen für alle Patienten, die an derselben Krankheit leiden.

Die Voraussetzungen für Studien an volljährigen einwilligungsfähigen, minderjährigen und volljährigen geschäftsunfähigen Patienten sind sehr komplex (§§ 40 und 41 AMG).

Ethikkommission und behördliche Genehmigung

Ob die Voraussetzungen für den Beginn einer klinischen Prüfung erfüllt sind, wird in einem dualen Prüf-/Genehmigungsverfahren entschieden. Nötig sind

  • das zustimmende Votum einer Ethikkommission und
  • die Genehmigung durch die zuständige Bundesoberbehörde (Zulassungsbehörde).

Votum der Ethikkommission

Die Bewertung des Studienvorhabens durch eine Ethikkommission (s. Textkasten) muss vom Sponsor (meist ein Pharmaunternehmen) beantragt werden. Viele Ethikkommissionen sind bei den Landesärztekammern oder auch bei den medizinischen Fakultäten von Universitäten ansässig.

Ethikkommission


„… ist ein unabhängiges Gremium aus im Gesundheitswesen und in nichtmedizinischen Bereichen tätigen Personen, dessen Aufgabe es ist, den Schutz der Rechte, die Sicherheit und das Wohlergehen von betroffenen Personen [Versuchspersonen] … zu sichern“. Sie prüft u.a. den Prüfplan, die Eignung der Prüfer und die Angemessenheit der Einrichtungen sowie die Methoden zur Unterrichtung der Versuchspersonen und zur Erlangung ihrer Einwilligung nach Aufklärung und das dabei verwendete Informationsmaterial.

(§ 3 Abs. 2c GCP-Verordnung)

Die Ethikkommission hat für ihre Entscheidung über den Antrag höchstens 60 Tage Zeit; die Frist kann unter bestimmten Voraussetzungen verlängert oder verkürzt werden.

Sie ist nicht nur für die „Eingangskontrolle“ zuständig. Auch im weiteren Verlauf der Studie muss sie über alle schwerwiegenden und bis dahin nicht bekannten schweren Nebenwirkungen (suspected unexpected serious adverse reactions, SUSARs) auf dem Laufenden gehalten werden, da diese die ethische Vertretbarkeit einer Studie entscheidend mit beeinflussen und sogar zum vorzeitigen Abbruch einer Studie führen können.

Genehmigung der Zulassungsbehörde

Darüber hinaus muss der Sponsor vor Beginn einer klinischen Studie eine Genehmigung der zuständigen Bundesoberbehörde (Zulassungsbehörde) beantragen. Diese prüft vornehmlich die Ergebnisse der analytischen und der pharmakologisch-toxikologischen Prüfung sowie den Prüfplan und die klinischen Angaben zum Arzneimittel einschließlich der Prüferinformation.

Wenn die Behörde innerhalb von höchstens 30 Tagen keine Einwände übermittelt, gilt die Genehmigung als erteilt (Zustimmungsfiktion). Für bestimmte Arzneimittel mit besonderen Sicherheitsanforderungen ist allerdings immer eine explizite schriftliche Genehmigung erforderlich.

Sowohl die Ethikkommission als auch die Zulassungsbehörde dürfen die zustimmende Bewertung bzw. die Genehmigung verweigern/versagen, wenn die klinische Prüfung ungeeignet ist, den Nachweis der Unbedenklichkeit oder Wirksamkeit eines Arzneimittels zu erbringen. Unter bestimmten Voraussetzungen kann die Genehmigung einer klinischen Prüfung zurückgenommen, widerrufen oder deren Ruhen angeordnet werden. Die Studie darf dann nicht fortgesetzt werden.

Anzeigepflichten und Überwachung

Die Meldepflichten für die Durchführung einer klinischen Prüfung sind sehr umfangreich und erstrecken sich über deren gesamten Verlauf. Während der Durchführung liegt der Schwerpunkt im Wesentlichen auf der Gewährleistung der Arzneimittelsicherheit für die Prüfungsteilnehmer. Schwerwiegende Einzelfälle (SUSARs) müssen unverzüglich gemeldet werden. Darüber hinaus muss der Sponsor während der Dauer der klinischen Prüfung einmal jährlich oder auf Verlangen einen Sicherheitsbericht (Development Safety Update Report, ASR) vorlegen, in dem sämtliche sicherheitsrelevanten Informationen im Berichtszeitraum zusammengefasst sind. Die Beendigung einer Studie muss ebenfalls innerhalb von 90 Tagen angezeigt werden.

Die Behörden können sich im Übrigen mit Studien-bezogenen GCP-Inspektionen und allgemeinen Überwachungsmaßnahmen in den Prüfstellen davon überzeugen, dass dort alles regelkonform abläuft.

Klinische Prüfpräparate

Prüfpräparate sind nicht nur die eigentliche Testmedikation, sondern auch Placebos und Vergleichspräparate. Sie müssen mit dem Aufdruck „zur klinischen Prüfung bestimmt“ gekennzeichnet werden. Ihre Herstellung und der Import unterliegen den Vorschriften der Guten Herstellungspraxis (GMP). Die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens vorzulegende Dokumentation des Prüfpräparats ist das „Investigational Medicinal Product Dossier“ (IMPD).

Probandenversicherung

Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Teilnehmer einer klinischen Prüfung körperlichen Schaden nimmt oder sogar getötet wird, muss für jede Versuchsperson eine Versicherung mit einem in der EU oder im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ansässigen Versicherungsunternehmen abgeschlossen sein. Der Umfang muss in einem angemessenen Verhältnis zu den mit der Prüfung verbundenen Risiken stehen und für Todesfälle oder dauernde Erwerbsunfähigkeit mindestens 500.000 Euro betragen (§ 40 Abs. 3 AMG). 

Literatur in der nächsten Folge: „Arzneimittelentwicklung: Klinische Prüfung, Teil 2“.

Autorin

Dr. Helga Blasius,

Fachapothekerin für Arzneimittelinformation,
Dipl.-Übersetzerin (Jap., Kor.)

helga.blasius@web.de 

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