Metoclopramid-Widerruf

Konsequenzen für die Apotheker

Rechtliche Fragen zur Rezeptur und Abgabe von Metoclopramid-haltigen Arzneimitteln

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat Zulassungen für Lösungen zur oralen Anwendung mit dem Wirkstoff Metoclopramid in einer Konzentration über 1 mg/ml widerrufen. Bei Formulierungen zur parenteralen Anwendung liegt die Grenze bei 5 mg/ml, bei Formulierungen zur rektalen Anwendung bei 20 mg pro Einzeldosis (Bescheid des BfArM v. 9.4.2014, Gesch.-Z. 71.02N 3822-V-14728-197387/14). Soweit für Arzneimittel die Zulassung nicht widerrufen wurde, wurde der zugelassene Anwendungsbereich eingeschränkt (Änderung der Zulassung). Welche Konsequenzen hat dies für die Apotheker? Dürfen solche Arzneimittel als Rezeptur hergestellt und abgegeben werden?

Rezeptur und Fertigarzneimittel

Gemäß § 21 Abs. 1 AMG unterliegen nur Fertigarzneimittel der Zulassungspflicht, nicht dagegen Rezepturarzneimittel. Solche darf der Apotheker in seiner Apotheke zulassungsfrei herstellen und abgeben. Verwendet der Apotheker ein Fertigarzneimittel als Ausgangsstoff zur Herstellung eines Rezepturarzneimittels und erschöpft sich die anschließende Tätigkeit der Apotheke in eher untergeordneten Arbeitsschritten, so ist dies nur dann zulässig, wenn das Fertigarzneimittel zugelassen ist. Einen solchen untergeordneten Arbeitsschritt hat der Bundesgerichtshof (BGH) dann angenommen, wenn der Apotheker das Arzneimittel z.B. durch Hinzufügen von Kochsalzlösung lediglich verdünnt (BGH, Urteil vom 4. September 2012, Az.: 1 StR 534/11). Gleiches gilt z.B. für unbedeutendere Herstellungsvorgänge wie Abfüllen, Abpacken oder Kennzeichnen. Die Verwendung nicht mehr verkehrsfähiger Fertigarzneimittel für die Herstellung von Zubereitungen in der Apotheke ist insoweit nicht statthaft; sie wird vom Bundesgerichtshof als Inverkehrbringen des nicht mehr verkehrsfähigen Fertigarzneimittels gewertet.

Verwendung von Rezeptursubstanz

Beabsichtigt der Apotheker, kein zugelassenes Fertigarzneimittel, sondern Rezeptursubstanzen zu verwenden, so ergeben sich Grenzen aus § 5 Abs. 1 AMG, wonach es verboten ist, bedenkliche Arzneimittel in den Verkehr zu bringen. Bedenklich sind gem. § 5 Abs. 2 AMG Arzneimittel, bei denen nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der begründete Verdacht besteht, dass sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen.

Der oben genannte Widerruf erfolgte wegen eines negativen Nutzen-Risiko-Verhältnisses, das vor allem bei Überdosierung auftritt (schwere neurologische Nebenwirkungen wie etwa akute Dystonie) sowie zur Überdosierung führender Dosierungsungenauigkeit bei oraler Anwendung an Kindern. Die Beschränkung der oralen Darreichungsformen auf 1 mg/ml wird daher als wichtige Maßnahme zur Risikominimierung angesehen. Im Vordergrund steht allerdings nicht die Gefahr eines Schadens, wenn das Arzneimittel korrekt angewendet wird, sondern vielmehr die Gefahr der nicht bestimmungsgemäßen Anwendung. Den Ausschlag für den Zulassungswiderruf gegeben hat die Gefahr der Überdosierung. Doch ist die Gefahr des Fehlgebrauchs durch Überdosierung den oralen Darreichungsformen immanent. Er wird als typischer Fehlgebrauch anzusehen sein, welcher noch vom Begriff des „bestimmungsgemäßen Gebrauchs“ gem. § 5 AMG umfasst ist (vgl. die Nachweise bei Koesel/Cyran, § 5 Anm. 17 und 21). Deshalb ist nach derzeitigem Stand davon auszugehen, dass das Inverkehrbringen eines zur oralen Anwendung bestimmten Rezepturarzneimittels mit Metoclopramid 5 mg/ml unzulässig ist.

Gleiches gilt, wenn eine Zubereitung unter Verwendung eines zugelassenen Fertigarzneimittels (z.B. durch „Streckung“ von Fertigarzneimitteln zur parenteralen Anwendung) hergestellt werden soll. Denn die Abgabe bedenklicher Arzneimittel ist gemäß § 5 AMG ohne Einschränkung verboten.

Widerruf – welches Datum gilt?

Aus der in den Berufsordnungen niedergelegten Verpflichtung zur gewissenhaften Ausübung des Berufes resultiert die Pflicht des Apothekers, sich durch Verfolgung der Veröffentlichungen des Bundesanzeigers oder durch die Lektüre von Fachzeitschriften über aktuelle Maßnahmen der Zulassungsbehörden zu unterrichten (Kloesel/Cyran, § 34 Anm. 7). Eine Veröffentlichung des Widerrufs der Zulassung von Metoclopramid-haltigen Arzneimitteln im Bundesanzeiger ist noch nicht erfolgt.

Zu den Pflichten des Apothekenleiters gehört aber auch die Information über die aktuellen AMK-Mitteilungen. Alle AMK-Nachrichten sind über die Homepage der AMK (www.abda-amk.de, Mitgliederbereich) abrufbar. In Bezug auf den oben genannten Widerruf der Zulassung von Metoclopramid-haltigen Arzneimitteln erfolgte die Mitteilung am 15. April 2014 online. Außerdem hat die AMK in der Pharmazeutischen Zeitung und der Deutschen Apotheker Zeitung in der Rubrik „AMK-Nachrichten“ beziehungsweise „Wichtige Mitteilungen“ unter anderem über den Widerruf der Zulassungen informiert. Rote-Hand-Briefe, d.h. vom Zulassungsinhaber an die Vertriebsstufen versendete Mitteilungen, können zwar zusätzlich versendet und von den Apothekern zur Kenntnis genommen werden, bilden aber nicht die einzige und vor allem auch keine den AMK-Mitteilungen vorgehende Informationsquelle.

Kein Inverkehrbringen nicht verkehrsfähiger Arzneimittel

Da ein Widerruf der Zulassung, der wegen ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses erfolgt, kraft gesetzlicher Anordnung sofort vollziehbar ist (vgl. § 30 Abs. 3 Satz 4 i.V.m. § 25 Abs. 2 Nr. 2 AMG), sind die fraglichen Arzneimittel seit Wirksamwerden des Widerrufs nicht mehr verkehrsfähig (vgl. § 30 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AMG). Der Bescheid des BfArM weist auf die sofortige Vollziehbarkeit ausdrücklich hin.

Wirksam wird der Bescheid nicht etwa erst mit Bekanntgabe im Bundesanzeiger nach § 34 Abs. 1 AMG, sondern mit dessen Bekanntgabe. Der Bescheid ist datiert auf Mittwoch, den 9. April 2014. Ein Bescheid (Verwaltungsakt), der durch die Post im Geltungsbereich des AMG übermittelt wird, gilt mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, ein Verwaltungsakt, der elektronisch übermittelt wird, gilt am dritten Tage nach der Absendung als bekannt gegeben (§ 41 Abs. 2 VwVfG). Damit ist der Zulassungswiderruf am Dienstag, den 15. April 2014 wirksam geworden. Seither sind die betroffenen Arzneimittel nicht mehr verkehrsfähig und dürfen daher von Apotheken nicht mehr abgegeben werden.

Bei gleichwohl erfolgter ärztlicher Verschreibung ist der verschreibende Arzt über die mangelnde Verkehrsfähigkeit des von ihm verschriebenen Arzneimittels zu informieren.

Strafrechtliche Haftung

Gibt der Apotheker ein nach § 30 Abs. 4 Satz 1 AMG nicht verkehrsfähiges Arzneimittel ab, macht er sich nach § 96 Nr. 7 AMG strafbar, wenn das Inverkehrbringen vorsätzlich erfolgte, d.h. wenn er Kenntnis von dem Widerruf der Zulassung hatte. Andernfalls, d.h. bei fahrlässiger Nichtkenntnis, ist die Tat eine Ordnungswidrigkeit (§ 97 Abs. 1 AMG).

Das Nichtkennen der AMK-Mitteilungen dürfte regelmäßig den Fahrlässigkeitsvorwurf begründen. Fraglich ist lediglich, ob schon die Online-Mitteilungen auf der Homepage der AMK zur Kenntnis genommen werden müssen, oder ob es den Anforderungen an die erforderliche Sorgfalt entspricht, sich auf die Veröffentlichungen in den Print-Medien zu beschränken, und ob sofortige Kenntnisnahme erforderlich ist oder ob, – wie es die in § 34 Abs. 2 AMG zum Ausdruck kommende Wertung nahelegt, – dem zur Information Verpflichteten ein Zeitraum von zwei Wochen zur Kenntnisnahme zuzubilligen ist. Letzteres dürfte zu bejahen sein (so auch Kloesel/Cyran, § 34 Rdnr. 23: „Diese Vorschrift gibt den Betroffenen […] den nach der Lebenserfahrung notwendigen Zeitraum, um von dem Inhalt des Bundesanzeigers Kenntnis zu erhalten.“)

Zivilrechtliche Ansprüche

Außerdem haftet der Apotheker bei fahrlässiger Unkenntnis der mangelnden Verkehrsfähigkeit wegen Verletzung vertraglicher Pflichten sowie unerlaubter Handlung, wenn der Patient infolge der Anwendung des nicht verkehrsfähigen Arzneimittels einen Gesundheitsschaden erleidet. Auch der Arzt macht sich schadensersatzpflichtig, wenn er dem Patienten aus fahrlässiger Unkenntnis ein nichtverkehrsfähiges Arzneimittel verschreibt und der Patient durch dessen Anwendung einen Gesundheitsschaden erleidet. Arzt und Apotheker haften dann als Gesamtschuldner.

Die nicht mehr verkehrsfähigen Arzneimittel dürfen unter entsprechender Kenntlichmachung (vgl. § 21 Nr. 7 ApBetrO) an den pharmazeutischen Unternehmer zurückgegeben werden (§ 30 Abs. 4 Satz 2 AMG). Ob der pharmazeutische Unternehmer den Kaufpreis zurückerstatten muss, ist im Einzelfall zu prüfen. Zivilrechtliche Ansprüche sind durch die arzneimittelrechtlichen Regelungen nicht präjudiziert, das bedeutet, dass die Kaufverträge zwischen pharmazeutischen Unternehmern, Großhandel und Einzelhandel ihre Verbindlichkeit behalten. Grundsätzlich geht mit der Übergabe des verkauften Arzneimittels an den Käufer auch die Gefahr der Unverkäuflichkeit wegen Aufhebung der Zulassung nach § 446 Abs. 1 BGB auf ihn über. Besondere Konstellationen sind jedoch denkbar, insbesondere, wenn der pharmazeutische Unternehmer die Verkehrsfähigkeit des Arzneimittels bis zum Aufbrauchen des Vorrates zugesichert (Kloesel/Cyran, § 30 Rdnr. 39) oder er ihm bekannte Umstände über den sicher zu erwartenden Widerruf verschwiegen hat. 

Rechtsanwalt Dr. Valentin Saalfrank, Köln

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