Arzneimittel und Therapie

Nach dem MCP-Rückruf

Indikationsabhängige Ausweichmöglichkeiten zu Metoclopramid-Tropfen

Von Petra Jungmayr | Seit Kurzem sind keine Fertigarzneimittel mit Metoclopramid-Tropfen mehr im Handel; des Weiteren wurde das Indikationsgebiet für Metoclopramid eingeschränkt. Ein kurzer Überblick zeigt mögliche Alternativen zu den nunmehr bestehenden Therapie-lücken auf.

Vor rund zwei Wochen kam es aufgrund einer Neubewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses zu einer Änderung der Zulassung von Metoclopramid (MCP) sowie zu einem Widerruf der Zulassungen MCP-haltiger Arzneimittel, die bestimmte Wirkstoffkonzentrationen überschreiten. Laut Einschätzung der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) übersteigt das Risiko für neurologische Nebenwirkungen (akute extrapyramidale Störungen, Spätdyskinesien) den Nutzen der prokinetischen und antiemetischen Wirkung von Metoclopramid. Das heißt für die Praxis, dass die häufig verordnete Tropfenform in der bisherigen Konzentration nicht mehr eingesetzt werden kann. Nicht von der Rücknahme betroffen sind MCP-Formulierungen in Form von Ampullen mit Konzentrationen unter 5 mg/ml, Zäpfchen in Einzeldosen unter 20 mg sowie Tabletten und Kapseln. Laut den Vorgaben der EMA finden sich auch Änderungen bei den Indikationsgebieten, eine Einschränkung der Anwendungsdauer, eine Begrenzung der Tageshöchstdosis und der Höchstkonzentration sowie Altersbeschränkungen (Einzelheiten s. DAZ 2014, Nr. 17, S. 28). Die Hersteller sind bemüht, Präparate, die den neuen Vorgaben entsprechen, auf den deutschen Markt zu bringen. In anderen europäischen Ländern sind orale MCP-Liquida mit einer Konzentration von 1 mg/ml verfügbar, z.B. Primperan®-Lösung u.a. in Frankreich.

Kurz gesagt, derzeit stehen hier keine MCP-haltigen Tropfen mehr zur Verfügung, und die Indikationsgebiete für die Anwendung von MCP sind eingeschränkt. Vergleichend sind in der Tabelle die neuen und alten Indikationsgebiete gegenübergestellt.

Dabei fällt auf, dass gewisse Anwendungsbereiche wie etwa Motilitätsstörungen in der neuen Zulassung nicht mehr aufgeführt sind.

Gesucht sind folglich Alternativen zur Arzneiform Tropfen, das heißt eine Arzneiform, die bei der Möglichkeit einer individuellen Dosierung einen raschen Wirkeintritt ermöglicht, sowie alternative Wirkstoffe zur Abdeckung der nicht mehr erwähnten Indikationsgebiete.

Für den ersten Fall – gesucht sind Tropfen – kommen beispielsweise Rezepturen mit MCP unter Einhalten der Höchstkonzentration infrage (s. Kasten). Des Weiteren können vergleichbare Wirkstoffe, die in flüssiger Form vorliegen, eingesetzt werden.

Metoclopramid-Lösung als Rezeptur (NRF)

  • Seit dem Zulassungswiderruf für Metoclopramid-Fertigarzneimittel mit Konzentrationen über 1 mg/ml sollen MCP-Tropfen rezepturmäßig hergestellt werden.
  • Konzentrationen über 1 mg/ml dürfen aber auch rezepturmäßig nicht hergestellt werden. Der Inhalt des Widerrufs ist auch auf Rezepturarzneimittel anzuwenden, auch wenn diese explizit keiner Zulassung bedürfen.
Rezeptursubstanz steht derzeit nicht zur Verfügung. Ersatzweise können erhältliche Infusions- oder Injektionslösungen mit der Wirkstoffkonzentration 5 mg/ml verdünnt werden.
  • Noch in der Apotheke befindliche MCP-Tropfen haben keine Zulassung mehr und dürfen auch nicht als Ausgangsstoff für Rezepturarzneimittel verwendet werden.
  • Das NRF schlägt folgende (nicht überprüfte) Rezeptur vor: Metoclopramid-Lösung 1 mg/ml (nicht praktisch überprüfte Vorschrift):

    Metoclopramidhydrochlorid-Injektions- oder Infusionslösung 5 mg/ml*: 23,6 ml
    Konserviertes Wasser DAC (NRF S.6.): zu 100,0 ml

  • In Anlehnung an die entfallene NRF-Rezeptur kann eine Aufbrauchsfrist von 6 Monaten angenommen werden.
  • Da bei der Dosierung nach Tropfen die Gefahr von Fehl- oder Überdosierung besteht, wird Dosierung nach Volumen empfohlen, z.B. mit Kolbenpipetten geeigneter Größe und Graduierung zur Entnahme kopfüber.


Weitere Rezepturhinweise finden Sie online auf den Seiten des DAC/NRF.

*Wichtig ist die Bezugsgröße des Fertigarzneimittels (Metoclopramid oder -Hydrochlorid

Für den zweiten Fall – zur Therapie von Erkrankungen und Symptomen, die nicht mehr im Indikationsgebiet von MCP aufgeführt sind – muss auf alternative Wirkstoffe ausgewichen werden.

„Ich vermisse MCP-Tropfen sehr in der Therapie; vielleicht zeigt sich in Resolor® eine mögliche Alternative bei bestimmten Indikationen“.

Dr. Wolfgang Vogt; Arzt für Innere Medizin und Gastroenterologe; Klinikum Esslingen

Mögliche Alternativen bei Motilitätsstörungen

Mögliche Alternativen sind Domperidon, eventuell Phytopharmaka sowie off label eingesetztes Erythromycin und Prucaloprid.

Domperidon (Motilium®; als Tropfen und Tabletten verfügbar). Das Antiemetikum und Prokinetikum Domperidon ist ein Antagonist an Dopamin-Rezeptoren in der Chemorezeptor-Triggerzone der Area postrema. Die Substanz ist gegen Übelkeit, Erbrechen und funktionale Oberbauchbeschwerden wirksam und fördert Bewegungen und Entleerung des Magens. Domperidon kann die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden und besitzt deshalb keine zentralen Wirkungen. Aufgrund kardialer Nebenwirkungen wie einer QT-Strecken-Verlängerung wurden von der EMA Anwendungseinschränkungen empfohlen (s. Kasten).

Vorsicht bei Domperidon

Epidemiologischen Studien zufolge kann eine Domperidon-Therapie mit einem erhöhten Risiko von schweren ventrikulären Arrhythmien oder plötzlichem Herztod verbunden sein. Besondere Vorsicht ist geboten bei

  • Patienten mit bestehender Verlängerung der QT-Zeit,
  • Elektrolytstörungen,
  • vorbestehenden Herzerkrankungen,
  • Einnahme von kardialen Medikamenten,
  • Patienten älter als 60 Jahre,
  • Einnahme von mehr als 30 mg Domperidon pro Tag.

Domperidon soll demnach nur noch bei Übelkeit und Erbrechen, aber nicht mehr bei Blähungen oder Sodbrennen eingesetzt werden. Außerdem rät die EMA, dass die Anwendungsdauer von Domperidon auf eine Woche beschränkt wird. Wann die Empfehlungen umgesetzt werden müssen, ist allerdings noch nicht entschieden.

Phytopharmaka wie etwa Iberogast®-Tropfen. Diese enthalten Tinkturen aus Schleifenblumen, Angelikawurzel, Kamillenblüten, Kümmel, Mariendistelfrüchten, Melissenblättern, Pfefferminzblättern, Schöllkraut und Süßholzwurzel und sind laut Fachinformation zur Behandlung von funktionellen und motilitätsbedingten Magen-Darm-Erkrankungen wie Reizmagen und Reizdarmsyndrom sowie zur unterstützenden Behandlung der Beschwerden bei einer Magenschleimhautentzündung zugelassen.

„Kann der Patient schlucken, wird MCP als Tablette gegeben, ansonsten als i.v.-Gabe. Kann so kein Therapieerfolg erzielt werden, erfolgt der Einsatz von Haldol oder Neurocil“.

Dr. Franz Bihr; Facharzt für Innere Medizin und Palliativmediziner; Ostfildern-Ruit

Weitere Optionen. Bei intestinalen Motilitätsstörungen wie der chronischen intestinalen Pseudoobstruktion (CIPO) wird im Off-label-use das Makrolid-Antibiotikum Erythromycin eingesetzt, das fast ausschließlich gastroduodenal wirkt. Diskutiert wird auch der Einsatz des 5HT4-Agonisten Prucaloprid (Resolor®; zugelassen zur Behandlung von Frauen mit chronischer Obstipation und unzureichendem Ansprechen auf Laxanzien). Bedingt durch die Verbreitung von 5HT4-Rezeptoren im Bereich des gesamten Gastrointestinaltrakts und in Analogie zur Wirksamkeit der „Vorgängersubstanz“ Cisaprid könnte ein therapeutischer Effekt zu erwarten sein, so die Aussage der Leitlinie zur Therapie intestinaler Motilitätsstörungen.

Bei diabetischer Gastroparese

Zur Therapie der diabetischen Gastroparese (Gastropathie) empfiehlt die aktuelle Leitlinie der Deutschen Diabetes Gesellschaft neben Ernährungsmodifikationen (häufige kleine Mahlzeiten, ballaststoffarm, fettreduziert) Metoclopramid und Domperidon, daneben Erythromycin im Off-label-use.

„Wenn erforderlich, werden wir MCP als Tabletten unter Berücksichtigung der Altersgrenze geben“.

Dr. Christian Hayd; Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin; Esslingen

Im onkologischen Bereich

Der MASCC (Multinational Association of Supportive Care in Cancer)-Leitlinie von 2013 zufolge wird für die Prävention von akuter Übelkeit und akutem Erbrechen bei Patienten, die eine Chemotherapie mit geringem Emesis-Risiko erhalten, Dexamethason, ein 5-HT3-Rezeptor-Antagonist oder Metoclopramid (jeweils als Monosubstanzen) empfohlen. Die ASCO (American Society of Clinical Oncology)-Leitlinie empfiehlt zur akuten Prävention bei Chemotherapien mit niedrigem Emesis-Risiko lediglich Dexamethason. Zur Prävention bei Bestrahlungen empfiehlt sie – jeweils als Monosubstanzen – bei geringem Risiko einen 5-HT3-Rezeptor-Antagonisten, MCP oder Prochlorperazin (in Deutschland nicht im Handel).

„MCP-Tabletten oder Domperidon-Tropfen sind die Alternative“.

Dr. Georg Trakkides; Arzt für Innere Medizin und Gastroenterologe; Klinikum Esslingen

Bei Schwangerschaftserbrechen

Den Angaben des Pharmakovigilanz- und Beratungszentrums für Embryonaltoxikologie (embryotox) zufolge gehört Metoclopramid zu den Mitteln der Wahl zur Behandlung von Übelkeit und Erbrechen während der Schwangerschaft. Als weitere Arzneistoffe werden Antihistaminika wie Dimenhydrinat oder Doxylamin genannt. Dimenhydrinat (Vomex®) liegt auch als Sirup und Zäpfchen vor. 

Literatur

Drug Safety Mail 2014-10 (Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) vom 24.04.2014). Metoclopramid-haltige Arzneimittel: Änderung der Zulassung einschließlich Widerruf der Zulassungen von Arzneimitteln bei bestimmten Wirkstoffgrenzwerten durch die Europäische Kommission. www.akdae.de/

Bublak R. MCP-Widerruf: Zweifel an Bewertung. ÄrzteZeitung 25.04.2014 www.aerztezeitung.de/

Fachinformation Motilium Tropfen; Stand November 2012.

Keller J. et al. S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und der Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM) zu Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie intestinaler Motilitätsstörungen AWMF-Registriernummer: 021/018. Z Gastroenterol 2011; 49: 374–390.

Ziegler D. et al. Diabetische Neuropathie. Praxisempfehlung der Deutschen Diabetes Gesellschaft. Diabetologie 2013; 8 (Suppl 2): S108–S118.

www.embryotox.de

MASCC/ESMO Antiemetic Guidelines 2013 www.mascc.org/

Antiemetics: ASCO Clinical Practice Guideline Update http://jco.ascopubs.org/

Autorin

Dr. Petra Jungmayr ist Apothekerin und schreibt regelmäßig Beiträge für die DAZ.

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