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Gastrointestinaltrakt und mehr

Fortbildungskongress der Apothekerkammer Niedersachsen

BAD ZWISCHENAHN (tmb) | Etwa 300 Teilnehmer informierten sich beim fünften Fortbildungskongress der Apothekerkammer Niedersachsen in Bad Zwischenahn über den Gastrointestinaltrakt. Ihnen wurde eine gelungene Mischung aus Theorie und praktischen Aspekten für den Beratungsalltag geboten. Bei der Tagung am 26. und 27. April erwies sich der Kurort wieder als angenehmer Rahmen für die Arbeit und den kollegialen Austausch. Während der Eröffnung vergab Kammervizepräsident Dr. Hans-Otto Burmeister den diesjährigen Preis der Dr. Hellmuth-Häussermann-Stiftung an Dr. Dirk Keiner, Suhl (siehe nächste Ausgabe).
Dr. Hans-Otto Burmeister, Vizepräsident der Apothekerkammer Niedersachsen, eröffnete den Kongress.

Sensation bei Hepatitis C

Die bedeutsamste Botschaft des Kongresses vermittelte Prof. Dr. Heiner Wedemeyer, Hannover: „Mitte nächsten Jahres werden wir jeden Hepatitis-C-Patienten binnen drei Monaten heilen können.“ Hepatitis C werde voraussichtlich zur ersten komplett heilbaren chronischen Erkrankung. Neue, sehr hochpreisige Arzneistoffe würden in den Apotheken für viel Unruhe sorgen, erwartet Wedemeyer. Bereits verfügbar ist der Polymerase-Inhibitor Sofosbuvir. Noch in diesem Jahr sollen der Proteasehemmer Simeprevir und Daclastavir, ein Inhibitor des viralen NS5B-Proteins (Nonstructural protein 5B), hinzukommen. Weitere Arzneistoffe dürften 2015 folgen.

Außerdem erläuterte Wedemeyer die Interpretation wichtiger Leberfunktionswerte. Da die Leber nicht weh tut, seien Labortests nötig, um Schäden früh zu erkennen. Marker für Entzündungen oder Zellschäden sind erhöhte Werte der Leberenzyme AST und ALT (früher als GOT und GPT bezeichnet). Erhöhte Werte von γ-GT, Bilirubin und alkalischer Phosphatase sprechen für einen Gallenstau. Erhöhtes γ-GT allein zeigt eine Fettleber an – dabei sei die Mortalität weniger durch Lebererkrankungen, aber erheblich durch kardiovaskuläre Ereignisse erhöht.

Als allgemeinen Ratschlag empfahl Wedemeyer: „Kaffee ist gut für Leber.“ Dabei seien vier Tassen täglich angebracht, denn hier gelte: „Viel hilft viel.“

Reflux und Ulkus

Fotos: DAZ/tmb
Prof. Dr. Heiner Wedemeyer

Die Symptome bei der Refluxerkrankung korrelieren nicht mit der Schwere der Schleimhautschädigung, erläuterte Prof. Dr. Jochen Wedemeyer, Gehrden. Mittel der Wahl bei solchen Ösophagusmotilitätsstörungen sind Protonenpumpenhemmer. Die Erfolgsraten sind hoch, aber die Beschwerden kehren wieder zurück. Daher sollten Patienten mit nachgewiesener Erosion dauerhaft behandelt werden, während zur Symptomkontrolle eine Bedarfsmedikation ausreicht.

Auch bei Ulkuserkrankungen sind Protonenpumpenhemmer Mittel der Wahl, so Prof. Dr. Klaus Mörike, Tübingen. Mögliche unerwünschte Wirkungen beschrieb er als Folgen der erwünschten Wirkung, also der verminderten Säurekonzentration im Magen. Aus pharmazeutischer Sicht sind Ulzera besonders bedeutsam, weil sie gemäß amerikanischen Daten als wichtigste arzneimittelinduzierte Todesursache gelten. Das Risiko für gastrointestinale Komplikationen durch nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) steigt nach dem 60. Lebensjahr deutlich an, so Mörike. Steroide seien allein kein Risikofaktor, sie potenzieren aber die Gefahr der NSAR. Noch größer sei das Risiko bei einer Kombination von NSAR mit oralen Antikoagulanzien, warnte Mörike.

Reizdarm, Obstipation und Diarrhö

Der Reizdarm ist eine Überempfindlichkeit des Darms auf Dehnungsreize, erklärte Prof. Dr. Stefan Müller-Lissner, Berlin. Ursachen sind beispielsweise frühere infektiöse Diarrhöen, Kohlenhydrat-Malabsorption, systemische Entzündungen, Gallensteinoperationen und veränderte Schmerzwahrnehmung. Neben dem Schmerz können Obstipation oder Diarrhö auftreten. Aufgrund dieser Vielfalt gibt es keine Standarddiät, und deshalb konnte Linaclotid entgegen der Forderung des IQWiG auch nicht mit einer Diät verglichen werden, kritisierte Müller-Lissner. Doch neue Arzneimittel seien nötig, um auch diejenigen Patienten mit Obstipation behandeln zu können, die nicht auf Bisacodyl ansprechen.

300 Personen nahmen am Fortbildungskongress teil; in der ersten Reihe von links: Dr. Ulrich Weißenborn, Prof. Dr. Stefan Müller-Lissner, Anke Böhmen.

Bei chronischer Obstipation sollte hinterfragt werden, ob diese auf einer anderen Grunderkrankung oder einer unerwünschten Arzneimittelwirkung beruht, riet Priv.-Doz. Dr. Ralf-Marco Liehr, Berlin. Weitere mögliche Ursachen sind anorektale Funktionsstörungen, die teilweise nur operativ behoben werden können. Wenn Ballaststoffe bei Obstipation nicht helfen, sieht die einschlägige Leitlinie Macrogole, Natriumpicosulfat und Bisacodyl als Mittel der ersten Wahl vor. An zweiter Stelle stehen Lactulose und Anthrachinone, deren angeblich toxische Wirkungen nicht verifiziert worden seien. Dagegen sollten Glauber- und Bittersalz wegen drohender Elektrolytentgleisungen und Paraffinöl wegen der Aspirationsgefahr nicht verwendet werden, erklärte Liehr.

Priv.-Doz. Dr. Jutta Keller

Bei über 90 Prozent der Patienten mit chronischen Durchfällen könne eine Ursache gefunden werden, erklärte Priv.-Doz. Dr. Jutta Keller, Hamburg. Besonders häufige Ursachen für Durchfälle seien Lactose- oder Fructoseintoleranz. Eine Lactoseintoleranz kann auch sekundär nach Gastroenteritiden erworben werden, ist dann aber reversibel. Fast alle Personen mit einer genetisch bedingten Lactoseintoleranz vertragen kleine Lactosemengen, wenn sie über den Tag verteilt werden. Eine Warnung vor den geringen Hilfsstoffmengen in Tabletten sei daher für die allermeisten Patienten überflüssig, so Keller. Außerdem drohe höchstens eine zeitweilige Befindlichkeitsstörung – kein Grund, um auf eine wichtige Medikation zu verzichten.

Weitere mögliche Gründe für chronische Durchfälle sind exokrine Pankreasinsuffizienz, Kurzdarmsyndrom, postinfektiöses Reizdarmsyndrom oder eine bakterielle Fehlbesiedlung, die antibiotisch behandelt werden kann.

Weitere Darmerkrankungen

Als Warnsignale für chronisch entzündliche Darmerkrankungen nannte Prof. Dr. Thomas Weinke, Potsdam, Diarrhö über vier Wochen, abdominelle Schmerzen und Blut im Stuhl, Letzteres eher bei Colitis ulcerosa. Grundlage der Therapie sei meistens Mesalazin, das je nach Lokalisation der Entzündung mit verschiedenen Freisetzungsorten eingesetzt werden sollte. Gemäß einer amerikanischen Studie werde Mesalazin häufig nicht hoch genug dosiert, oder eine rektale Therapie unterbleibe. Weinke riet, Biologika differenziert zu betrachten und nicht bei jedem Patienten primär einzusetzen.

Gegen Hämorrhoidalbeschwerden empfahl Dr. Martin Schmidt-Lauber, Oldenburg, ballaststoffreiche Ernährung, Verzicht auf Pressen beim Stuhlgang und eine Analhygiene mit viel Wasser, wenig Papier und ohne Seife – und als lokales Arzneimittel Zinkpaste. Ähnliche Beschwerden verursacht ein Analekzem (Hauptsymptome: Nässen, Jucken und Brennen), gegen die alle zwei bis drei Tage Gerbstoffbäder und bei Bedarf Lokalanästhetika eingesetzt werden können. Differenzialdiagnosen sind Kondylome, Oxyuriasis und Marisken. Starke Schmerzen sprechen eher für eine Analfissur, eine Fistel oder sogar einen Abszess, der sofort operiert werden muss.

Mehr als Fortbildung

Als Rahmenprogramm bot der Kongress am späten Samstagnachmittag ein breites Sportangebot, darunter das bereits traditionsreiche Nordic Walking rund um das Zwischenahner Meer. Der Binnensee bot danach eine eindrucksvolle Kulisse für den „Feierabend am Meer“.

Die nächste landesweite Großveranstaltung der Apothekerkammer Niedersachsen wird der Niedersächsische Apothekertag am 20. bis 21. Juni 2015 in Stade sein. 

Das Organisationsteam der Apothekerkammer (v.l.): Petra Voges-Barth, Martina Dorow, Dr. Ulrich Weißenborn, Anke Böhmen.

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