INTERPHARM 2014 - Schmerz

Zwischen Ulkus und Kardiotoxizität

Nebenwirkungsmanagement bei NSAIDs

pj | Zu den häufigsten unerwünschten Wirkungen nicht-steroidaler antiinflammatorischer Arzneistoffe (NSAIDs) zählen gastrointestinale, renale und kardiovaskuläre Begleiterscheinungen. Wie diese zu bewerten und teilweise zu vermeiden sind, erläuterte Prof. Dr. Burkhard Hinz, Rostock.
Prof. Dr. Burkhard Hinz

Gastrointestinale Nebenwirkungen unter einer Therapie mit NSAIDs sind auf die Hemmung COX-1-abhängiger Prostaglandine in der Magenmukosa zurückzuführen und äußern sich vornehmlich in Dyspepsien und Erosionen der Magenschleimhaut. Klinisch relevante Nebenwirkungen des oberen Gastrointestinaltrakts treten bei 3 bis 4,5% der Patienten auf, schwere Komplikationen bei 1,5%, und jährlich sind in Deutschland etwa 2000 Todesfälle auf die Folgen einer NSAID-Einnahme zurückzuführen. Auch unter Coxiben treten gastrointestinale Nebenwirkungen auf, wenn auch um etwa die Hälfte weniger als unter NSAIDs. Um das Ausmaß gastrointestinaler Nebenwirkungen unter einer Therapie mit NSAIDS und Coxiben möglichst gering zu halten, muss sich die Auswahl des Therapeutikums nach Risikofaktoren (s. Kasten) und weiteren Erkrankungen des Patienten richten.

Risikofaktoren ...


... für gastrointestinale Komplikationen unter einer Therapie mit NSAIDs und Coxiben:

  • höheres Lebensalter (älter als 65 Jahre)
  • Ulkusleiden oder Ulkuskomplikationen in der Vorgeschichte
  • Gerinnungsstörungen oder eine Therapie mit Antikoagulanzien
  • Komedikation mit Acetylsalicylsäure, Clopidogrel, Glucocorticoiden oder selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern
  • schwere Begleiterkrankungen
  • Verwendung hoher NSAID-Dosen

Es gelten folgende Empfehlungen: Besteht ein mittleres Risiko (ein bis zwei Risikofaktoren) soll entweder ein Coxib oder eine Kombination aus NSAID und Protonenpumpen-Inhibitor (PPI) gegeben werden. Bei hohem Risiko (mehr als zwei Risikofaktoren oder eine bereits erlittene Ulkuskomplikation) sind Coxibe in Kombination mit einem PPI indiziert. Bei einem akuten gastroduodenalen Ulzera sollten weder Coxibe noch NSAIDs eingesetzt werden. Bei der zusätzlichen Gabe eines PPIs muss beachtet werden, dass dadurch Komplikationen im unteren Gastrointestinaltrakt – diese machen rund ein Drittel der gastrointestinalen Nebenwirkungen aus – nicht verhindert werden können. Des Weiteren besteht unter der langfristigen PPI-Einnahme ein erhöhtes Frakturrisiko sowie ein Vitamin-B12-Defizit.

Renale Nebenwirkungen

Nebenwirkungen an der Niere sind auf die Hemmung der Prostaglandin-Synthese durch Coxibe und NSAIDs zurückzuführen. Es kommt zu einer Abnahme der glomerulären Filtration, der Renin-Freisetzung und Natriurese sowie zu einer verminderten renalen Durchblutung. Relativ häufig entstehen Ödeme (bei rund 20%) aufgrund einer Wasser- und Salzretention, bei einer vorgeschädigten Niere kann es auch zu einer akuten Niereninsuffizienz kommen. NSAIDs führen zu einer Erhöhung des arteriellen Blutdrucks um etwa 5 mmHg, was wiederum zu einer Verschlechterung einer bestehenden Herzinsuffizienz führen kann. Im Hinblick auf renale Nebenwirkungen sind Coxibe keine besseren Alternativen zu NSAIDs.

Kardiovaskuläre Nebenwirkungen

Unerwünschte kardiovaskuläre Wirkungen unter Coxiben und NSAIDs sind auf die Einschränkung der Nierenfunktion und auf die Hemmung der COX-2-abhängigen Prostacyclin-Synthese im Endothel zurückzuführen. Die derzeitige Risikoeinschätzung beruht auf den Daten einer großen Metaanalyse mit über 600 Studien und mehr als 350.000 Probanden. Ihre Kernaussage: Die langfristige Applikation von Coxiben erhöht ebenso wie hochdosiertes Diclofenac (150 mg/d) und Ibuprofen (2400 mg/d) das Risiko kardiovaskulärer Ereignisse wie Herzinfarkt oder Schlaganfall. Unter der Gabe von Naproxen (2 x 500 mg/d) kam es zu keiner Erhöhung des Infarktrisikos. Allerdings ist unter Naproxen (wie bei allen anderen NSAIDs und Coxiben) das Risiko einer Herzinsuffizienz erhöht. Ferner ist die Gabe von Naproxen mit höheren gastrointestinalen Risiken verbunden. Aus den Ergebnissen der Metaanalyse können folgende Zahlen abgeleitet werden: Auf 1000 Patienten mit einem mittleren kardialen Ausgangsrisiko bezogen, die ein Jahr lang ein hoch dosiertes NSAID (außer Naproxen) einnehmen, kommen drei schwere vaskuläre Ereignisse (davon eines mit letalen Folgen). Auf 1000 Patienten mit einem mittleren gastrointestinalen Ausgangsrisiko bezogen, die ein Jahr lang einen COX-Hemmer einnehmen, kommt es je nach Wirkstoff zu vier bis 16 gastrointestinalen Komplikationen. Davon treten die meisten unter Naproxen auf. Ein Fazit daraus: Patienten mit einem gastrointestinalen Risiko sollen unter einer Naproxen-Gabe zusätzlich einen PPI erhalten.

Langzeittherapie mit NSAID – ein schmaler Grat


Patienten mit gastrointestinalen Risikofaktoren

  • gastrointestinale Protektion (Coxibe, NSAID plus PPI, Coxibe plus PPI)
  • PPI-Prophylaxe bei Naproxen und Low-dose-ASS
  • Primärprophylaxe mit Low-dose-ASS hinterfragen


Patienten mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko

  • Beachtung der Kontraindikationen
  • Interaktion Ibuprofen plus Low-dose-ASS
  • Naproxen: kardioneutral


Kardiovaskulär asymptomatische Patienten

Ermittlung des kardiovaskulären Risikos (z.B. mithilfe frei verfügbarer Rechenprogramme wie dem PROCAM HeartScore

Vorgehen in der Praxis

Aufgrund fehlender Alternativen zu NSAIDs und Coxiben sind diese weiterhin die Basis der medikamentösen Schmerztherapie. Sie müssen jedoch unter Berücksichtigung möglicher Risikofaktoren ausgewählt werden. Ferner sind die niedrigste, noch wirksame Dosis und der kürzeste zum Therapieerfolg erforderliche Zeitraum zu wählen. Umstrittene Therapien, wie etwa die Gabe von ASS zur Primärprophylaxe kardiovaskulärer Ereignisse sind kritisch zu hinterfragen. Ideal wären Dosierungsschemata, die eine ausreichende Analgesie und ein temporäres Recovery der vaskulären COX-2 ermöglichen. Ein Ansatz hierzu ist die Bestimmung klinisch-biochemischer Marker wie etwa die Ermittlung der COX-2-Hemmung im Ex-vivo-Vollblutassay. 

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