Arzneimittel und Therapie

Aggressiv gegen extrem hohe LDL-Werte

Neuer LDL-Cholesterinsenker Lomitapid

Patienten, die unter der seltenen Erkrankung homozygote familiäre Hypercholesterinämie (HoFH) leiden, blieb bisher meist neben der lipidsenkenden Pharmakotherapie nur der regelmäßige Gang zur LDL-Apherese übrig, um ihr im extremen Überschuss vorhandenes Cholesterin zu reduzieren. Das seit Dezember 2013 verfügbare Lomitapid (Lojuxta®) stellt für diese Patienten erstmals eine Behandlungsoption abseits des zeitintensiven Blutwäsche dar, um die von der EAS (European Atherosclerosis Society) empfohlenen Zielwerte zu erreichen. Die aufgrund des Wirkmechanismus als Nebenwirkung auftretende Verfettung der Leber birgt jedoch ein noch nicht abschätzbares Risiko und ist Gegenstand von Langzeitbeobachtungen.

Die schlimmste Ausprägung einer familiären Hypercholesterinämie (FH) ist die homozygote familiäre Hypercholesterinämie (HoFH). Betroffene weisen mit Werten von über 500 mg/dl (> 13 mmol/l) immens hohe LDL- (Low Density Lipoprotein) Cholesterinspiegel auf, die sich jenseits der für die gesunde Bevölkerung empfohlenen Obergrenze von 160 mg/dl (4,1 mmol/l) befinden. Der erblich bedingten Fettstoffwechselstörung liegt ein genetischer Defekt des LDL-Rezeptors zugrunde, so dass überschüssiges LDL-Cholesterin nicht ausreichend aus der Blutbahn entfernt werden kann. Als Folge dieser extrem erhöhten LDL-Cholesterinspiegel entwickeln HoFH-Patienten schon in jungen Jahren eine Arteriosklerose mit damit einhergehenden Risiken für das Herz-Kreislauf-System (z.B. koronare Herzkrankheit, Herzinfarkt, Schlaganfall). Nicht verwunderlich ist daher die trotz maximaler lipidsenkender Therapie mit circa 30 Jahren geringe Lebenserwartung der Patienten. Betroffene müssen von Geburt an engmaschig medizinisch betreut werden. Schon früh steht die LDL-Apherese mit ein- bis vierstündigen Sitzungen im Abstand von ein bis zwei Wochen auf dem „Stundenplan“. Aber auch diese Therapie kann die Entstehung und das Fortschreiten einer Arteriosklerose und damit die Morbidität und Mortalität der Erkrankung nur verzögern.

Orphan disease

Da beide Elternteile Merkmalsträger des genetischen Defekts sein müssen, gibt es weltweit nur einige Tausend Betroffene. Schätzungen zufolge leidet nur einer von einer Million Menschen an der seltenen Erkrankung (orphan disease), in den USA geht man beispielsweise von 300 Patienten aus. Der nun zur Behandlung dieser seltenen Erkrankung zugelassene Wirkstoff Lomitapid trägt in den USA den Status eines orphan drug und wurde unter „außergewöhnlichen Umständen“ zugelassen. Für den Zulassungsinhaber bedeutet dies, zusätzliche klinische Daten und Informationen bereitzustellen, um weitere Nachweise für die Sicherheit zu erbringen. Die europäischen Behörden haben – anders als die FDA – bei der Zulassung auf den Orphan-drug-Status verzichtet. Die EMA sieht in der homozygoten familiären Hypercholesterinämie eine schwere Form der deutlich häufiger auftretenden familiären Hypercholesterinämie (FH) und erkennt sie nicht als eigenständige Erkrankung an. Daher muss Lomitapid den Prozess einer regulären Nutzenbewertung durchlaufen.

Wirkmechanismus

Lomitapid hemmt selektiv das in Leber- und Darmzellen ansässige mikrosomale Triglycerid-Transfer-Protein (MTP), welches am Zusammenbau von Cholesterin und Triglyceriden zu Lipoproteinen beteiligt ist. Die Hemmung des MTP senkt die Sekretion von Lipoproteinen und die zirkulierenden Konzentrationen von Lipiden, die von Lipoproteinen transportiert werden, einschließlich Cholesterin und Triglyzeriden; es gelangen weniger Lipoproteine in den Blutkreislauf.

Wirksamkeit von Lomitapid Nach 26 Behandlungswochen wurde eine durchschnittliche Reduktion der LDL-Cholesterin-Spiegel um 50% nachgewiesen (Quelle: [3]).

Nutzenbewertung

Aufgrund der äußerst geringen Prävalenz der Erkrankung wurde der zulassungsrelevante Nachweis eines Nutzens nur anhand von einer Studie, an der 29 Patienten mit homozygoter familiärer Hypercholesterinämie teilnahmen, erbracht. Es erfolgte kein Vergleich mit einer anderen Behandlung, wie dies sonst bei Zulassungen üblich ist. Die Wirksamkeit von Lomitapid wurde durch eine durchschnittliche Reduktion der LDL-Cholesterin-Spiegel um 50% nach 26 Behandlungswochen nachgewiesen. Am 17. März 2014 hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) sein Ergebnis aus der frühen Nutzenbewertung von Lomitapid bekannt gegeben: Er sieht keinen Beleg für den Zusatznutzen von Lomitapid in der Indikation homozygote familiäre Hypercholesterinämie. Als Begründung wird angegeben, dass das Dossier unvollständig sei. Der Herstellet Aegerion teilte mit, dass er nun die Bewertung intensiv prüfen und seine Sichtweise in das folgende Stellungnahmeverfahren vor dem G-BA einbringen wird.

Dosierung

Die Initiierung und Überwachung der Therapie sollte einem in der Behandlung von Lipidstörungen erfahrenen Arzt vorbehalten sein. Lomitapid wird zusammen mit einer fettarmen Diät und anderen lipidsenkenden Arzneimitteln mit oder ohne LDL-Apherese angewendet. Zu Therapiebeginn beträgt die Dosierung einmal täglich 5 mg. Bei guter Verträglichkeit und akzeptabler Sicherheit ist eine langsame Steigerung in mehrwöchigen Abständen bis zur Tages-Maximaldosis von 60 mg möglich. Patienten mit leichter Beeinträchtigung der Leberfunktion, dialysepflichtige Patienten sowie Patienten, die gleichzeitig CYP3A4-Hemmer einnehmen, müssen eine reduzierte Dosis erhalten (Details siehe Fachinformation).

Nebenwirkungen

In der zulassungsrelevanten Studie entwickelten mehr als 90% der Patienten gastrointestinale Nebenwirkungen unter Lomitapid. Eine besonders kritische Nebenwirkung scheint die Ausbildung einer Steatosis hepatis (Fettleber) zu sein, da diese einen potenziellen Risikofaktor für eine progressive Lebererkrankung, einschließlich Steatohepatitis und Leberzirrhose, darstellt. Das häufige Auftreten von erhöhten Leberenzymwerten (Alaninaminotransferase [ALT] und Aspartataminotransferase [AST]) war nach Dosisreduktion oder Absetzen von Lomitapid reversibel und nicht mit Erhöhungen des Bilirubins oder der alkalischen Phosphatase assoziiert. In der zulassungsrelevanten Studie wurden Erhöhungen um mehr als das drei- bis fünffache des oberen Normalwertes beobachtet. Um hier rechtzeitig intervenieren zu können, sind regelmäßige Leberfunktionstests vor und während der Behandlung erforderlich. Um das Auftreten und die Schwere der unerwünschten gastrointestinalen Arzneimittelwirkungen zu reduzieren, wird empfohlen, die Behandlung nur in Verbindung mit einer fettarmen Diät durchzuführen (d.h. weniger als 20% der Energie darf aus Fett stammen). Die Diät soll vor Beginn der Behandlung mit Lomitapid begonnen und während der Therapie fortgesetzt werden. Es wird dazu geraten, eine Diätberatung in Anspruch zu nehmen.

Wichtige Einnahmehinweise

Da Lomitapid mit Nahrung interferiert, muss der Patient die Kapseln auf nüchternen Magen, mindestens zwei Stunden nach dem Abendessen, einnehmen. Durch eine (fetthaltige) Mahlzeit würde die Exposition des Wirkstoffs steigen, wodurch zusätzliche negative Auswirkungen auf die gastrointestinale Verträglichkeit zu befürchten sind. Besondere Zurückhaltung bzw. Verzicht ist auch in puncto Alkoholkonsum geboten. Der hepatotoxische Alkohol kann die Fettspiegel in der Leber erhöhen und eine Leberschädigung verursachen oder verschlimmern. Ferner sollten während der Behandlung keine Grapefruits und kein Grapefruitsaft konsumiert werden. Hintergrund ist, dass Lomitapid über das Cytochrom P4503A4 metabolisiert wird und Inhaltsstoffe der Grapefruit bekanntermaßen CYP3A4-Hemmer sind und dadurch zu wesentlich erhöhten Lomitapid-Spiegeln führen könnten. Unter Lomitapid treten erniedrigte Spiegel an essenziellen Fettsäuren und Vitaminen auf, da ihre Resorption im Dünndarm beeinträchtigt ist. Daher sollten Patienten täglich Nahrungsergänzungsmittel einnehmen, die 400 IE Vitamin E, mindestens 200 mg Linolsäure, 110 mg Eicosapentaensäure (EPA), 210 mg Alpha-Linolensäure (ALA) und 80 mg Docosahexaensäure (DHA) pro Tag enthalten.

Steckbrief

Lomitapid

Handelsname: Lojuxta

Hersteller: Aegerion Pharmaceuticals GmbH

Einführungsdatum: 15. Dezember 2013

Zusammensetzung: 1 Hartkapsel enthält 5 mg; 10 mg bzw. 20 mg Lomitapid, als LomitapidmesilatStoffklasse: sonstige Mittel, die den Lipidstoffwechsel beeinflussen, ATC-Code: C10AX 12

Indikation: Lomitapid ist begleitend zu einer fettarmen Diät und anderen lipidsenkenden Arzneimitteln mit oder ohne Low-Density-Lipoprotein-Apherese (LDL-Apherese) bei erwachsenen Patienten mit homozygoter familiärer Hypercholesterinämie angezeigt.

Dosierung: Die empfohlene Anfangsdosis beträgt 5 mg Lomitapid einmal täglich. Nach zwei Wochen kann die Dosis bei einer akzeptablen Sicherheit und Verträglichkeit auf 10 mg und danach in Mindestabständen von vier Wochen auf 20 mg, 40 mg und die empfohlene Höchstdosis von 60 mg erhöht werden.

Foto: Aegerion

Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile; Patienten mit schwerer Beeinträchtigung der Leber sowie mit ungeklärten anomalen Leberfunktionswerten; Patienten mit bekannter chronischer Darmerkrankung wie einer entzündlichen Darmerkrankung oder Malabsorption; gleichzeitige Anwendung von > 40 mg Simvastatin; gleichzeitige Anwendung mit starken oder mittelstarken Hemmern des Cytochroms P4503A4; Schwangerschaft

Nebenwirkungen: Die schwersten Nebenwirkungen während der Behandlung waren Anomalien der Leber-Aminotransferasen. Die häufigsten Nebenwirkungen waren gastrointestinale Effekte, die von 27 (93%) der 29 Patienten in der Phase-III-Studie berichtet wurden. Diarrhö trat bei 79% auf, Übelkeit bei 65%, Dyspepsie bei 38% und Erbrechen bei 34%.

Wechselwirkungen: Lomitapid erhöht die Plasmakonzentration von Statinen, daher ist es bei Patienten, die mit hohen Simvastatin-Dosen (> 40 mg) behandelt werden, kontraindiziert. Lomitapid hemmt das P-Glykoprotein (P‑gp) in vitro und kann die Resorption von P‑gp-Substraten erhöhen. Lomitapid ist ein empfindliches CYP3A4-Substrat. CYP3A4-Hemmer erhöhen die Lomitapid-Exposition, die gleichzeitige Anwendung von starken oder mittelstarken CYP3A4-Hemmern ist kontraindiziert.

Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen: Lomitapid kann zu Erhöhungen der Alaninaminotransferase [ALT] und der Aspartataminotransferase [AST] sowie zu Steatosis hepatis führen. Es bestehen Bedenken, dass Lomitapid eine Steatohepatitis induzieren könnte, die im Verlauf mehrerer Jahre zu einer Leberzirrhose fortschreiten könnte. Vor Beginn der Behandlung mit Lomitapid sollten die Werte für ALT, AST, alkalische Phosphatase, Gesamtbilirubin, Gamma-Glutamyltransferase und Serumalbumin gemessen werden.

Fazit

Patienten mit homozygoter familiärer Hypercholesterinämie konnten bis vor kurzem meist trotz Stufentherapie aus Medikation und LDL-Apherese nicht befriedigend therapiert werden. Die bedeutsamste Behandlungsoption stellt für Betroffene von Kindheit an das zeit- und kostenintensive Verfahren der LDL-Apherese dar. Das Nutzen-Risiko-Verhältnis des neu zugelassenen MTP-Inhibitors Lomitapid wird derzeit aufgrund der substantiellen Senkung der LDL-Cholesterinspiegel als positiv angesehen. Inwiefern die Unsicherheiten bezüglich der hepatischen Sicherheit des Wirkstoffs diese Einschätzung noch ändern können, werden Ergebnisse von Langzeitbeobachtungen zeigen. 

Quelle

[1] Fachinformation Lojuxta®, Stand: Dezember 2013.

[2] The Task Force for the management of dyslipidaemias of the ESC and the EAS. ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidaemias. European Heart Journal (2011); 32: 1769–1818.

[3] Cuchel M et al. Efficacy and safety of a microsomal triglyceride transfer protein inhibitor in patients with homozygous familial hypercholesterolaemia: a single-arm, open-label, phase 3 study. Lancet 2013; 381: 40–46.

 

Apothekerin Dr. Verena Stahl

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